In der Blattwerk-Mensa wird jetzt geplündert. Nachdem KOPFZEILE bereits Anfang Dezember zu den Plünderungen eine Meldung veröffentlicht hatte, haben Jesko und Juri sich mit den Aktionen weiter auseinandergesetzt. Warum sie das gut finden, was dahinter steckt und weshalb die Angestellten eher bei Edeka klauen würden, sagen sie euch in diesem Kommentar.
Wer sich Mensa leisten kann, hat vielleicht schon mitbekommen: Seit Anfang November wird geplündert. Zwanzig oder dreißig Studis – es sind oft verschiedene Leute dabei – nehmen sich Essen und gehen, ohne zu bezahlen. So einfach kann das sein. Die Plündernden verteilen die Nahrungsmittel dann umsonst auf dem Campus. Weitere Aktionen sind bereits geplant, auch wenn es beim letzten Mal Versuche des Personals gab, die Plünderung zu verhindern.
Zuerst könnte man sich mal fragen: Was ist daran jetzt eigentlich so aufregend? Ein paar satte Menschen mehr, ein paar Euro weniger in der Mensakasse – für die satten Menschen ist das gut, allen Anderen kann es doch eigentlich egal sein. Oder? Können wir nicht einfach sagen: Je mehr geplündert wird, desto weniger landet später in der Mülltonne?
“Nicht legitim und nicht legal”?
Das Studierendenwerk jedenfalls stört sich daran und bezeichnet die Aktionen als “nicht legitim und nicht legal”. Plündern ist in der Tat illegal – egal, wie viel Hunger ein Mensch hat. Was aber legitim ist, entscheidet nicht das Studierendenwerk. Ob die Bedürfnisse hungriger Menschen wichtiger sind als geltendes Recht, ist keine Entscheidung, die wir an eine Institution auslagern können. Entweder wir akzeptieren, dass hungrige Menschen sich Essen nehmen, oder wir hindern sie unter Zuhilfenahme staatlicher Sanktionsgewalt. Auch die plündernden Studis möchten “zum Nachdenken über den Sinn und Zweck legaler Grenzen anregen” (siehe Flyer). Wenn wir uns fragen, ob wir die Plünderungsaktionen für legitim halten, dürfen wir uns nicht fragen, ob wir sie moralisch richtig finden oder selbst mitmachen würden. Die Frage ist: Wollen wir sie mit repressiven Mitteln verhindern? Denn wenn sie illegitim sind, ist das die Konsequenz. Es mag Studierende geben, die überhaupt die Beweggründe der Aktionen in Frage stellen. Das finden wir falsch. Unsere Kommiliton:innen sagen offen: Es ist genug! Ich kann mir das Essen nicht mehr leisten. Es ist nicht an uns, das zu bezweifeln. Wer das tut, schließt sich einer Politik an, die arme Studierende und ihre Probleme nicht ernst nimmt und kollektive Selbsthilfeversuche kriminalisiert.
Wir finden es also erstmal in Ordnung, dass hungrige Menschen sich helfen, indem sie plündern. Dass legitimer Protest legale Grenzen überschreiten darf, wird am Beispiel zivilen Ungehorsams offensichtlich. Fundamental demokratische Institutionen wie das allgemeine Wahlrecht gäbe es ohne politische Gesetzesüberschreitungen nicht. Und selbst wenn es bei den Plünderungen vorrangig um kollektive Selbsthilfe geht, so gibt es doch politische Forderungen: Das Essen in den Mensen soll für alle kostenlos und das Studierendenwerk dafür vernünftig ausgestattet werden – dessen Unterfinanzierung ist kein Geheimnis. Und sie trifft Studierende und Angestellte gleichermaßen.

“Gemeinsam und nicht gegeneinander kämpfen”
Deswegen wollen die Plündernden “gemeinsam und nicht gegeneinander kämpfen” (Flyer) und fordern steigende Löhne für die Angestellten des Studierendenwerks. Darüber haben wir letzte Woche mit Luca (Name geändert) gesprochen. Luca arbeitet als Aushilfe in der Mensa und sieht auch gewisse Parallelen zwischen den Plünder:innen und den Angestellten. Es “kommt schon mal vor, dass man Essen aus dem Müll “rettet”.” Weil das die Firmenpolitik nicht erlaubt, sei das dann eigentlich auch Diebstahl. Was die Beweggründe dafür sind, sagt Luca nicht. Generell gebe es aber im Studierendenwerk “keine schlechte Versorgung”. Luca sieht das mit den Plünderungen ein bisschen anders als das Studierendenwerk:
“Ich würde dazwischen gehen und genauer nach den Gründen Fragen. Für wen ist das Essen genau? Wenn man hier so Zettel auslegt, steckt ja wahrscheinlich mehr dahinter. Obwohl ich es in der Mensa unangebracht finde, ist das ein Punkt, der die Aktionen ein bisschen legitimiert: Wenn man sagt, man verteilt aktiv das Essen auf dem Campus.”
Die Mensa hält Luca dennoch für den falschen Angriffspunkt:
“Geh’ doch zu Edeka. Lieber bei jemandem klauen, der auch versucht, ‘nen Gewinn zu machen. Vom Preis her kann hier in der Mensa jeder Essen gehen.”.
Luca kann sich trotz des Personalmangels nicht vorstellen, zu streiken: “Es sind einfach sehr hohe Hierarchien. Da frage ich mich: Inwiefern kommt man da mit einem Streik durch?”.
“Geh’ doch zu Edeka”?
Eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Oktober zeigte, dass sich in den letzten Jahren die Preise der günstigsten Mensaangebote um 25% erhöht und manche gar verdoppelt haben (Seite 5 im Dokument). Wir können dennoch erstmal gut verstehen, dass das Studierendenwerk freundlicher aussieht, wenn man es mit profitorientierten Unternehmen vergleicht. Und in der Tat ist es ja schonmal schön, dass bisher gegen die Plündernden nicht rechtlich vorgegangen wird – bei Edeka wäre das wahrscheinlich anders. Aber das ist auch der Punkt: Wenn man wütend ist und ein politisches Statement abgeben will, dann gibt Edeka bestimmt einen besseren Bösewicht ab. Wenn man Hunger hat und Essen haben möchte, dann klappt das in der Mensa nunmal besser. Das macht klar: Es geht hier nicht um symbolischen Protest, sondern um Selbstermächtigung. Der erste Punkt auf dem “Plünderungsflyer”: “Wer Hunger hat, soll essen”.
Leider finden das nicht alle. Obwohl es keine Gegendemos gibt, fällt auch aus den Reihen der Studis mal ein abfälliger Kommentar – schließlich finanzieren wir ja über unseren Semesterbeitrag die Mensa mit! So schrieb jemand auf Twitter: “Das mag man als Protestform richtig finden, richtet sich aber gegen die Falschen. Das Studierendenwerk, welches demokratisch verfasst ist und von Studierenden gegründet wurde, vertritt einfach nicht das Kapital. Was wir denen “klauen”, klauen wir uns selber.”
Wenn man den Semesterbeitrag mit den durch die Plünderungen verursachten Schaden verrechnet, “klauen” wir uns selbst ungefähr 0,7 Cent im Monat (großzügige Rechnung von uns – der reale Betrag wird deutlich niedriger ausfallen). Davon abgesehen: Wenn das Studierendenwerk alle Studierenden verträte, wäre das Essen dort umsonst – da es vorgibt, uns zu vertreten, muss es der Adressat unseres Protests sein. Edeka schert sich nicht um arme Studierende.
Selbsthilfe statt symbolischer Protest

Die kollektiven Plünderungen sind nicht einfach eine “Protestform”, die man “richtig findet”. Das sind Menschen, die sich zusammentun, um ein persönliches Problem zu lösen. Klar ist das dann auch politisch. Aber in erster Linie ist es Hunger. Über 70% von uns Studierenden, die allein oder in einer WG leben, sind arm. Ohnehin übernehmen die ehrenamtlichen Tafeln seit Jahren Aufgaben, die ein funktionierender Staat selbst bewältigen müsste – nun ist die Zahl der Menschen, die auf ihre Hilfe angewiesen sind, innerhalb von nur neun Monaten um mehr als die Hälfte gestiegen. Über ein Drittel der Tafeln sind so überlastet, dass sie bedürftigen Menschen den Zugang verwehren müssen. Dass sich jetzt Hunger-Selbsthilfegruppen finden, sollte niemanden überraschen. Wir hoffen, dass sich bald mehr Menschen dem Plündern anschließen.