Während zum Muttertag oftmals ein reaktionäres Frauenbild reproduziert wird, kommt es am Vatertag zur Markierung von (durchaus auch toxischer) Männlichkeit. Die Zelebration beider Tage ist von Genderstereotypen durchzogen und könnte kaum unterschiedlicher ausfallen.
Vor genau 100 Jahren wurde der Muttertag in Deutschland eingeführt. Er wird weltweit gefeiert, wie und wann hängt dabei jedoch stark vom jeweiligen Land ab. Während der Muttertag in Schweden beispielsweise immer am letzten Mai-Sonntag begangen wird, zelebrieren wir ihn in Deutschland jährlich am zweiten Sonntag im Mai. Der Vatertag hingegen fällt in Deutschland regelmäßig auf Christi Himmelfahrt. Doch auch er wird in vielen Ländern an einem anderen Tag gefeiert. In Frankreich, Japan sowie in den USA werden Väter zum Beispiel am dritten Sonntag im Juni geehrt. Doch woher kommen diese Traditionen überhaupt?
Begründerin des Muttertags bereute ihre Erfindung
Der Muttertag, wie wir ihn heute kennen, geht auf die US-Frauenrechtlerin Anna Jarvis zurück: Sie etablierte 1907 den Muttertag in den USA. Er sollte auf die strukturelle Benachteiligung von Frauen im Allgemeinen und Müttern im Speziellen aufmerksam machen und ihre Rechte stärken. Da sie vor allem ihrer im Mai 1905 verstorbenen Mutter gedenken wollte, ernannte sie den zweiten Mai-Sonntag zum Muttertag. 1914 wurde dieser dann in den USA unter Präsident Woodrow Wilson zum nationalen Ehrentag für Mütter erklärt.
Handel und Industrie erkannten bereits früh das Potenzial des Muttertags und schöpfen ihn seither kapitalistisch aus. Anna Jarvis kämpfte bis zu ihrem Tod 1948 gegen die Kommerzialisierung des Ehrentags an und forderte aus diesem Grund sogar dessen Annullierung ein. Ihr ursprüngliches Ziel, die Rechte von Frauen zu stärken, wurde zunehmend von dem Kult um Blumen, Süßigkeiten und Grußkarten überschattet.
Der Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber trug maßgeblich dazu bei, dass auch in Deutschland ab 1923 der Muttertag gefeiert wurde. Später instrumentalisierten die Nationalsozialisten den Mutterkult vielfach für ihre Propaganda – im Zuge dessen erklärten sie den Muttertag 1934 offiziell zum Feiertag.
Der Vatertag: zwischen Christentum und Bollerwagen-Party
Der Vatertag, auch Herren- oder Männertag genannt, ist heutzutage vor allem durch das kollektive und ritualisierte Umherziehen von Männern mit Alkohol gefüllten Bollerwagen gekennzeichnet. Was sich dabei nicht unbedingt auf den ersten Blick erkennen lässt: Es gibt die Annahme, dass der Vatertag und Christi Himmelfahrt nicht zufälligerweise auf denselben Tag fallen.
Die im christlichen Glauben verankerte Auferstehung und Auffahrt Jesu zu seinem Vater wird seither von Christ:innen an Christi Himmelfahrt zelebriert. Im 16. Jahrhundert kam es dann an jenem Tag zu Flurprozessionen, bei denen sich bereits ein starker Alkoholkonsum verzeichnen ließ. Ab dem 19. Jahrhundert schien der religiöse Ursprung immer weiter zu verblassen und es wurden die ersten „Herrentouren“ begangen. Eindeutig belegen lässt sich der Zusammenhang zwischen Vatertag und Christi Himmelfahrt allerdings nicht. Es handelt sich lediglich um plausibel erscheinende Annahmen.
Der Vatertag als Fest, um Vätern (unter anderem mit Geschenken) zu danken, geht jedoch wie der Muttertag auf eine US-amerikanische Erfindung zurück: Sonora Smart Dodd rief 1910, kurz nach der Etablierung des Muttertags, den Vatertag ins Leben. Damit wollte sie ihren Vater und Kriegsveteranen William Jackson Smart ehren. Er zog seine sechs Kinder nach dem Tod seiner Frau allein groß – für diese Arbeit wollte sie ihm besonders danken.
Pralinen versus Grillsets
Pralinenschachteln in Zartrosa, opulente Blumensträuße, rosarote Herztorten und gefühlsbetonte, in Schnörkelschrift gedruckte Danksagungen auf Grußkarten – das alles sind nur einige Paradebeispiele für Muttertagsgeschenke, wie sie in den Prospekten von Discountern und Supermärkten gern in Szene gesetzt werden. Aber auch rosafarbene Duftkerzen und kleine Kissen mit kitschigen Sprüchen und vermeintlich niedlichen Hasen oder Bären, die sich umarmen oder ein knallrotes Herz in der Hand halten, sind nicht ungewöhnlich. Das Ganze wird dann unter Überschriften wie „Für die Größte ein kleines Danke“ (Aldi Nord 2023) beworben.


Die Vatertagsgeschenke – die in ihrer Präsentation vielmehr Vatertags-Essentials gleichen – werden hingegen unter dem Motto „Grillgenuss zum Vatertag“ beworben: Barbecue-Soßen, Bierkästen, üppige Messergarnituren, Holzkohlegrills sowie überdimensionale Würstchenpakete werden en masse in Szene gesetzt. Eine Überschrift lautet zum Beispiel: „Grillspaß mit Papa“ (Aldi Nord 2023). Rosa-, Lila- oder Rottöne wie zum Muttertag sind auf diesen Prospektseiten nicht zu finden, stattdessen werden dunkle Grün-, Braun- wie auch Grautöne verwendet. Die Inszenierung von „Frauen- und Männerfarben“ trägt damit augenscheinlich zur sowieso sehr fragwürdigen Genderkonstruktion in den vorliegenden Prospekten bei.
Die Prospekte im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels machen deutlich: Offensichtlich gibt es genderspezifische Unterschiede zwischen Geschenken zum Mutter- und Vatertag, die Rollenklischees reproduzieren. Während man „der Größten“ am besten „ein kleines Danke“ besorgen sollte (aber bitte auch nur ein kleines Danke!), verbringt man mit Papa einfach einen schönen, spaßigen Grillabend.
Wie feministisch sind die Festtage?
Anlässlich des Muttertags kommt es häufig zu einer starken Biologisierung der Frau: Durch das Adressieren der Fortpflanzung als „biologische Pflicht“ beziehungsweise als „Hauptaufgabe“ der Frau kommt es zur Reproduktion eines reaktionären Frauenbilds. Dadurch werden sexistische und patriarchale Strukturen gefördert. Auch durch die konsistente Inszenierung von stereotypen Muttertagsgeschenken (Farbgebung, Inhalt, Ausdruck et cetera) werden Rollenklischees reproduziert und aufrechterhalten.
Der Vatertag hingegen ist eher ein soziales Event unter Vätern und Nicht-Vätern zur Markierung von Männlichkeit: Zahlreiche Männer ziehen in einer homogenen Personengruppe umher und feiern sich selbst. Sie sind oftmals stark alkoholisiert, was zur Folge hat, dass die Unfallzahlen jährlich an diesem Tag besonders hoch sind. Der Vatertag normalisiert und legitimiert dieses Verhalten gewissermaßen im Zuge seiner Tradition. Durch die Konstruktion von Vatersein beziehungsweise von Mannsein über die Teilhabe an jenem Event wird ein toxisches Männlichkeitsmodell entworfen.
Werden die beiden Festtage auf diese Art und Weise gefeiert und gelebt, so widersprechen sie grundlegenden feministischen Ansätzen.
Chancen des Mutter- und Vatertags
Die Kommerzialisierung des Mutter- und Vatertags hat sich scheinbar irreversibel mit den Festtagen verflochten. Dabei ist der Grundgedanke, der hinter den beiden Tagen steckt, sehr wichtig: Die (Care-)Arbeit von Eltern sollte angemessen wertgeschätzt werden und strukturelle Probleme und Benachteiligungen müssen sichtbar gemacht werden. Würden die beiden Tage von ihrer Kommerzialisierung entkoppelt werden, könnte besonders der Muttertag dem Ziel nachkommen, das Anna Jarvis ursprünglich bei seiner Erfindung verfolgte.
Die aktuell vorherrschende Reproduktion von Genderstereotypen sorgt jedoch vielmehr für die Aufrechterhaltung von Ungerechtigkeiten, anstatt diese zu bekämpfen. Denn man möge sich einmal vorstellen: Wie groß wäre der gesellschaftliche Aufschrei, würden sich die Mütter und Nicht-Mütter am Muttertag mobilisieren und mit Bollerwagen alkoholisiert um die Häuser ziehen?
Jede:r sollte für sich selbst entscheiden können, ob und wie er:sie jene Tage auslegen und gegebenenfalls feiern möchte. Es ist vollkommen legitim, sich als Mutter über Blumen oder Pralinen in rosafarbenen Verpackungen zu freuen oder als Vater einen Grillabend zu veranstalten – genauso legitim ist es, dies nicht zu tun.
Es geht weniger um eine Kritik am individuellen Umgang mit dem Mutter- und Vatertag. Vielmehr geht es um das Hinterfragen der einseitigen und grundlegend stereotypen Kommerzialisierung durch Industrie und Handel, wie sie Jahr für Jahr fortgeführt wird. Dafür sollte ein Bewusstsein vorhanden sein, um selbst entscheiden zu können, inwiefern man dies (nicht) unterstützen möchte.