Das Café Knallhart am Hauptcampus der Uni Hamburg lud am 9. Dezember zu einer offenen Lesebühne für die iranische Revolution ein. Gesprochen haben afghanische, kurdische und iranische Personen, um ihre Gedanken und Erfahrungen zu teilen. KOPFZEILE veröffentlicht einige der entstandenen Texte als Gastbeiträge. „Iran, meine Heimat“, geschrieben von Bahar, Medizinstudentin aus Hamburg, ist der zweite dieser Reihe.
Mahsa Jina Amini, Mohsen Shekari. Zwischen diesen beiden liegen noch paar Hundert andere Namen. Vor Mahsa liegen Tausende, und wenn wir aufgeben, folgen nach Mohsen unendlich viele weitere. Ich kenne keinen dieser Menschen persönlich. Keiner von ihnen war mit mir befreundet oder verwandt. Aber eins haben wir gemeinsam, und das verbindet uns stärker als jede Freundschaft und jede Blutsverwandschaft dieser Welt. Der Iran ist unsere Heimat.
Wisst ihr warum die ihren eigenen Tod in Kauf nehmen? (…) Weil sie ihre Heimat und ihre Mitmenschen mehr lieben als sich selbst.
Das Land, was mein Vater mit 17 Jahren alleine verlassen musste, um seinen akademischen Weg weitergehen zu können. Er musste in ein fremdes Land. Eine neue Sprache lernen, umgeben von Menschen, denen er genauso fremd war. Warum mussten er und Millionen andere Väter mit ihren Frauen aus der eigenen Heimat fliehen? Aus einer so wunderschönen Heimat, die wir bis heute unendlich stark lieben. Diese Liebe beweist sich in den letzten paar Wochen von Tag zu Tag immer mehr.
Ohne diese Liebe hätten wir bis heute nicht diese internationale Aufmerksamkeit gewonnen, man hätte uns nicht ernst genommen, uns ignoriert. Ohne diese Liebe hätten unsere Landsleute vielleicht schon aufgegeben. Dabei muss ich sagen, dass die Iraner:innen, die auf den Straßen Tehrans, Tabriz, Shiraz, Mahabads und vieler weiterer Städte stehen, die stärksten und mutigsten Menschen die ich je gesehen habe. Wisst ihr warum die ihren eigenen Tod in Kauf nehmen? Warum sie unbewaffnet vor Militärgewähr stehen? Weil sie ihre Heimat und ihre Mitmenschen mehr lieben als sich selbst. Weil sie die Kinder dieses Landes mehr lieben als sich selbst.
Und ich frage mich, womit hat unser Volk so viel Leid verdient?
Warum durfte ich nicht in meiner Heimat aufwachsen? Warum musste ich monatelang darauf warten, meine Großeltern zu sehen? Warum durfte ich nur für paar Wochen die Wärme meines Landes spüren? Die Gerüche von Benzin, Koobideh, Mais und vielen weiteren schönen und einzigartigen Düften des Iran.
Zuerst kommt die Diskriminierung, Beleidigung, Entführung, die anschließenden Schläge und wenn man Pech hat, wird man auf dem Revier vergewaltigt. So weit ist es bei mir nicht gekommen, aber auch ich hätte an Mahsas Stelle sein können.
Ich vermisse dieses Land so sehr, egal ob ich im Sommer kurz vor Ort war oder nicht. Ich werde nie das Gefühl vergessen wie es ist aus dem Flugzeug zu steigen und zu wissen: Ich bin angekommen. In meiner Heimat.
Ein paar Schritte weiter am Flughafen und schon wird man mit der bitteren Wahrheit seines eigenen Heimatlandes konfrontiert. Grüne Uniformen, schwarze Chadors, überall. Ich merke, wie mein Herz schneller schlägt.
Ich fange an, unruhig zu werden. Ich werde rot und mir wird warm. Ich bin zwar bedeckt, aber reicht denen das, um mich zu ignorieren und weitergehen zu lassen? Nein. Ich wurde oft ermahnt. Es ist denen egal, ob man Haare sieht, etwas von der Figur sieht oder nicht sieht, sie können dich mitnehmen. Zuerst kommt die Diskriminierung, Beleidigung, Entführung, die anschließenden Schläge und wenn man Pech hat, wird man auf dem Revier vergewaltigt. So weit ist es bei mir nicht gekommen, aber auch ich hätte an Mahsas Stelle sein können. Sie wäre heute so alt wie ich.
An dieser Stelle, und ich betone das, wird all das legal. Rechtsmäßig, schwarz auf weiß im Gesetz geschrieben. Seit 43 Jahren leiden unsere iranischen Frauen vor Ort. Wie kann ein Land Hölle und Paradies zugleich sein? So ist mein Land, der Iran für mich. Ein Ort nach dem ich mich sehne, aber zugleich auch vor dem ich mich fürchte.
Ich bin zusammengebrochen, als ich den Schrei von Mohsen Shekeris Mutter gehört habe.
Ich ertrage die Tränen meiner Landsleute nicht mehr. Iranische Mütter, Väter, Kinder, und Jugendliche mit einer dunklen Sicht in die Zukunft, die trotzdem an einem Funken Licht festhalten und weitermachen, obwohl sie sehen, dass ihre Unikamerad:innen vor ihren Augen erschossen werden. Obwohl sie sehen, dass Familien zerstört werden. Unser Land wurde uns genommen. Unsere Freude, unsere Talente, unser Glück, die Wärme des Landes, so viel wurde uns genommen. So viel Kultur und Intellekt, wofür viele Iraner:innen bekannt sind, all das wird im eigenen Land unterdrückt. Die jungen Leute, die so viel in ihren Köpfen haben und in ihrer Entwicklung gebremst werden. Es geht sogar so weit, dass unsere jungen Menschen sterben müssen.
Ich bin zusammengebrochen, als ich den Schrei von Mohsen Shakeris Mutter gehört habe. Und ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die so empfindet. Aber den richtigen Schmerz können nur jene Mütter nachvollziehen, die dasselbe durchmachen müssen. Und das tun in dieser Sekunde, bis zum Rest ihres Lebens, Hunderte Tausende von Müttern.
Aber meine Tränen sind mir egal, mein Schmerz, den ich seit Wochen empfinde, die Kälte und Taubheit, die ich an Händen und Füßen trage, sind mir egal. Mein Herz ist aus Iran, bei Iran, und wird immer für Iran schlagen. Ich möchte unsere Heimat in ihren schönsten persischen Melodien sehen und hören. Geschmückt mit den vielfältigsten Ethnien und Sprachen. Mit den liebevollsten und gastfreundlichsten Menschen der Welt.
Iran, ich glaube fest daran, dass unsere Kinder nur deine harmonischsten Töne hören und deine tollsten iranischen Farben sehen können, die sie verdient haben.
Bahar S.