Aktivist:innen der Gruppe “Schwupps” haben am 3. Mai den Hörsaal im Gebäude Von-Melle-Park 9 der Uni Hamburg besetzt. Sie fordern die Hochschule auf, in Lehre, Forschung und Verwaltung Klimaneutralität bis spätestens 2025 herzustellen. Die Unileitung hält dagegen, bereits genug gegen den Ausstoß von CO2-Emissionen zu unternehmen.
Im Hörsaal des Gebäudes Von-Melle-Park 9 (VMP9) der Uni Hamburg (UHH) stehen jetzt Sofas und eine Tischtennisplatte. Seit die Klimaaktivist:innen der Gruppe “Schwupps” vergangenen Mittwoch (03.05.) den Hörsaal der Sozialökonomie besetzt haben, ist es hier deutlich gemütlicher geworden. Einige Studierende erzählen, dass sie im Hörsaal übernachten wollen. Was war passiert?
Laut Angaben von “Schwupps” besetzten am 3. Mai um 12 Uhr über 30 Menschen den Hörsaal im VMP9. Die dort stattfindende Vorlesung wurde mit Musik und Bannern gestört. Nach und nach befestigten Studierende Antifa-Flaggen und andere Plakate mit Slogans wie “Eat the Rich” oder “Freiheit für Kurdistan” an den Wänden des Raums.
Besetzung als Zeichen für Klimagerechtigkeit
Mit der Besetzung wollen die Aktivist:innen ein Zeichen für Klimagerechtigkeit setzen und dem Thema eine breite Öffentlichkeit verschaffen. Wie einst Friday for Future, nur ein bisschen energischer. Denn die Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung reichen den Besetzer:innen nicht aus. Vor allem die Verbrennung fossiler Energieträger möchten die Mitglieder von SCHWUPPS am liebsten sofort beenden. Gepaart wird das Ganze mit einer grundsätzlichen Kritik am Kapitalismus.
“Die Universität ist als Bildungsinstitution in der Vergangenheit ihrer Verantwortung, die Welt zu einem gerechteren Ort zu machen, nicht nachgekommen”
“Schwupps” über die Uni Hamburg
Auch die UHH kommt nicht ungeschoren davon. Auf der Website der Gruppe heißt es dazu: “Die Universität ist als Bildungsinstitution in der Vergangenheit ihrer Verantwortung, die Welt zu einem gerechteren Ort zu machen, nicht nachgekommen”. Die Hochschule dürfe sich nicht einer kapitalistischen Profitlogik unterwerfen, die zu hohen Mensapreisen oder Sparmaßnahmen in Professuren und Studiengänge führen würde. Schwupps fordert von der Uni außerdem stärkere Mitbestimmungsmöglichkeiten für Studierende. Dadurch soll die Uni demokratischer werden.
Die Universität Hamburg zeigte sich zunächst unbeeindruckt von der Besetzung. In einer Stellungnahme heißt es: “ Der Raum im Von-Melle-Park 9 kann bis auf Weiteres nicht für die Lehre genutzt werden und es kommt zu geringen Einschränkungen im Lehrbetrieb”.
End Fossil: Occupy! ruft zu Besetzungen an deutschen Unis auf
Die Besetzung in Hamburg ist kein Einzelfall. Schwupps gehört nämlich der deutschlandweiten Bewegung End Fossil: Occupy! an. Die hatte sich in den letzten zwei Jahren mit der Besetzung öffentlicher Bildungseinrichtungen einen Namen gemacht. End Fossil richtet sich mit seinen Aktionen an die Globale Klimagerechtigkeits-Bewegung und plädiert ebenfalls für ein Ende des “Fossilen Kapitalismus”.
Im vergangenen Winter hatte die Bewegung schon zahlreiche Unis in Deutschland besetzt. Anfang Mai startete nun die zweite “Besetzungswelle”, bei der wieder Schulen und Universitäten in ganz Deutschland besetzt werden sollen. Darunter auch die Uni Hamburg.
Universitäten in Regensburg, Berlin, Halle und München erlebten Anfang letzter Woche bereits erste Besetzungen. In Berlin besetzen Schüler:innen sogar die Aula des Hellersdorfer Melanchthon-Gymnasiums. Am 3. Mai traf es dann auch die Uni Hamburg. Dabei war der Plan der Besetzung schon seit ungefähr einem Monat bekannt, weil sich die Aktivist:innen auf Social Media Plattformen wie Telegram organisierten. Die entsprechenden Gruppen waren für jeden Nutzer zugänglich.
Die Bewegung will Stromerzeuger vergesellschaften
Für die aktuelle “Besetzungswelle” hat End Fossil zwei zentrale Forderungen aufgestellt: Die Energieproduktion vergesellschaften und einen Schuldenschnitt für die Länder des Globalen Südens. Große Stromproduzenten wie RWE sollen enteignet und in demokratische Hände überführt werden.
Davon erhoffen sich die Aktivist:innen eine wirklich ökologische Stromproduktion und eine bedarfsgerechte Verteilung der Ressource. Die zweite Forderung knüpft an das Konzept der Klimagerechtigkeit an: Weil die Länder des Globalen Nordens für den Großteil der weltweiten Emissionen verantwortlich sind, haben sie eine sogenannte Klimaschuld gegenüber den Ländern des Globalen Südens. Daher sollten diesen ihre Schulden bei den Industrieländern sofort erlassen werden.
Schwupps fordert Klimaneutralität der Uni bis 2025
Diesen zentralen Forderungen schließen sich die Mitglieder von Schwupps an. Die Besetzer haben aber auch konkrete Forderungen an die Universität Hamburg. So sollen die Netto-Emissionen von Lehre, Forschung und Verwaltung in zwei Jahren null betragen. Damit schließen sich die Aktivist:innen der Forderung der Hochschulgruppe Students for Future an. Sie ermahnten die Universitätsleitung bereits Anfang dieses Jahres, bis 2025 Klimaneutralität zu erreichen.
Die Universität hält sich mit der Formulierung eines konkreten Ziel zurück. Der Klima- und Umweltbeauftragte der Hochschule erklärt auf seiner Website nur, die Uni strebe an, vor 2030 klimaneutral zu werden. Laura Marie Edinger-Schons , die seit Dezember 2022 Chief Sustainable Officer (CSO) an der UHH ist, drückt sich in einem Interview mit der WELT noch etwas skeptischer aus: “Wir wollen das (Klimaneutralität) erreichen. Aber so, dass wir das auch mit unserem Gewissen vereinbaren können.“
Uni zeigt sich uneinsichtig
Eine Annäherung beider Parteien scheint in diesem Punkt noch in weiter Ferne, auch weil die Uni sich uneinsichtig gibt. Denn sie ist überzeugt, bereits genug für den Klimaschutz zu tun. Der Pressesprecher des Uni-Präsidenten erklärte auf eine Anfrage von KOPFZEILE: “Die UHH übernimmt bereits große Anstrengungen im Bereich Nachhaltigkeit” […] Eine Nachhaltigkeitsstrategie mit verschiedenen Maßnahmen wird entwickelt und implementiert: u.a. umfangreiche Emissionsbilanzierung, Erstellung eines Klimaschutzkonzeptes, Kompensation von nicht reduzierbaren Emissionen, Einsparungen bei Neubauten und Sanierungen”. Weiter heißt es, dass auf dem Campus seit kurzem ein Tiny House stehen würde, in und an dem sich Studierende zum Thema Nachhaltigkeit austauschen können.
Eine Besetzung ist in der Logik der Uni also gar nicht nötig, weil das Tiny House schon als Ort der Auseinandersetzung fungiert.
Des Weiteren fordern die Klimaaktivist:innen eine kostenlose Umwandlung des Semestertickets in das Deutschlandticket. Studierenden der Uni Hamburg können ihr Semesterticket aktuell nur gegen einen monatlichen Aufpreis von 18,20€ in das “Deutschlandticket” upgraden. Eine Tatsache, die für viel Unmut sorgte. Zuletzt forderten die Studierenden mehr studentische Freiräume an der Uni, in denen sie sich politisch organisieren können.
Vorträge und Workshops im besetzten Hörsaal
Die Besetzung soll erst dann enden, wenn die Uni alle Forderungen umgesetzt hat. Eine Aktivistin erklärte Kopfzeile, dass die Gruppe für die nächsten anderthalb Wochen ein “Besetzungs-Programm” geplant hätte. Am Mittwochabend fand im Hörsaal der Sozialökonomie bereits ein queerfeministisches Rap-Konzert statt. In den nächsten Tagen sollen zahlreiche Workshops und Vorträge zum Thema Klimagerechtigkeit folgen.
Natürlich gibt es während der Besetzung nicht nur antikapitalistische Bildungsangebote. Jeden Morgen starten die Aktivist:innen beispielsweise mit einem gemeinsamen Frühstück in den Tag. In einer Ecke des Raums wurde ein kleines Tee-Tischchen eingerichtet.
Ob es weiterhin so gemütlich bleibt oder die Aktivist:innen den Hörsaal bald mit der Polizei teilen müssen, ist allerdings noch unklar. Auf die Frage, ob die Uni den Hörsaal mithilfe der Polizei räumen lassen würde, gab der Pressesprecher des Präsidenten keine Antwort. Schwupps hält einen Polizeieinsatz für unwahrscheinlich. Sie sind zuversichtlich, dass die Öffentlichkeit des Campus ihnen Schutz vor Polizeigewalt bieten wird.
Das erste Gespräch zwischen Schwupps, dem Uni-Präsidenten und dem AStA fand am Montag um 12 Uhr statt. Womöglich auf den Sofas im Hörsaal des VMP9.
Anmerkung der Redaktion: Inzwischen haben die Klimaaktivist:innen von Schwupps das im Artikel erwähnte Tiny House auf dem Campus besetzt (Stand 09.05.2023).