Toxikum „Schönheitsideal“

Schönheitsideale werden oftmals genderspezifisch konstruiert und reproduziert. (Foto: Dan Cristian Pădureț / Pexels)

Durch Shows wie Germany’s Next Topmodel werden Schönheitsideale immer wieder – teils auch subtil – konstruiert oder reproduziert. Nach einigen Jahren der (vermeintlich ernst gemeinten) Diversität zeichnet sich gesamtgesellschaftlich nun eine Rückkehr zu einseitigen und toxischen Schönheitsidealen ab.

„Schönheit liegt im Auge des Betrachters.”

Thukydides

Dass Schönheit grundsätzlich subjektiv ist und jede:r etwas anderes unter diesem Begriff verstehen kann, stellte bereits der Grieche Thukydides (ca. 454 v. Chr. bis etwa 396 v. Chr.) fest. Jedoch wird die subjektive Schönheitswahrnehmung oftmals durch gesellschaftlich weitgehend normierte Vorstellungen von Schönheit beeinflusst. Diese kristallisieren sich immer wieder – zum Beispiel in verschiedensten Medienprodukten – heraus und können unter dem Begriff „Schönheitsideal“ zusammengefasst werden. 

Vermittlung toxischer Schönheitsideale durch Germany’s Next Topmodel

Ein besonders repräsentatives Medienbeispiel für die Vermittlung von Schönheitsidealen ist die Castingshow Germany’s Next Topmodel. Die jüngsten Staffeln setzen auf Diversität – zumindest schmückt sich die Show gern mit diesem Image, indem beispielsweise Chefjurorin Heidi Klum immer wieder betont, wie sehr ihr dieses Thema am Herzen liege und wie lange sie dessen Umsetzung schon anstrebe. 

Bei der Betrachtung älterer Staffeln wird jedoch schnell deutlich, dass Bodyshaming gang und gäbe war, wodurch der plötzliche Diversity-Umschwung wenig authentisch scheint: Kandidatinnen wurden nicht nur vor der Jury, sondern vor dem Millionenpublikum der Show ausgemessen und daraufhin für ihre Maße abgewertet. Sehr schlanke Models wurden bei Shootings dazu aufgefordert, ihren Bauch weiter einzuziehen, gleichzeitig mussten aber auch „zu dünne“ Models aufgrund ihrer Figur die Show verlassen. Haben Bewerberinnen in der Zeit bis zum tatsächlichen Casting zugenommen, wurden sie dort offenkundig degradiert. Auch das Essverhalten einiger Teilnehmerinnen wurde von den Juror:innen aufs Schärfste kritisiert, weil beispielsweise eine Portion Pommes frites verzehrt wurde.

„Diversity Washing“ bei Germany’s Next Topmodel?

Die Degradierung junger Frauen und Mädchen aufgrund ihres Aussehens war wöchentliches Programm – Bodyshaming war tief in den Strukturen der Castingshow verankert und wurde darüber hinaus als Quotenbringer instrumentalisiert. Den Zuschauer:innen wurden auf diese Weise äußerst toxische, durchaus paradoxe und allem voran genderspezifische Schönheitsideale vermittelt. Der plötzliche Umschwung zu einem vermeintlich lang ersehnten diversen Cast scheint daher nicht sonderlich überzeugend. Vielmehr muss die Entscheidung der Produktion, die Show diverser zu gestalten, auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen zurückgeführt werden.

Die Body-Positivity-Bewegung beispielsweise kämpft seit den 1960er-Jahren gegen unerreichbare und diskriminierende Schönheitsideale und für die gesellschaftliche Akzeptanz und Toleranz aller Körper; vor allem seit 2017 verzeichnet sie große Erfolge. Derartige Bewegungen setzten und setzen nach wie vor Castingshows wie Germany’s Next Topmodel unter einen gesellschaftlichen Druck, der es ihnen unmöglich gemacht hat, nicht auf die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen zu reagieren und diese in ihre Produktionsweisen einfließen zu lassen. Germany’s Next Topmodel betreibt somit eine Art des „Diversity Washings“ zum Erhalt und zur Legitimierung der eigenen Produktion.

Ganz grundlegend lässt sich fragen, ob derartige Schönheitswettbewerbe nicht sowohl in der Produktion als auch in der Rezeption problematisiert werden sollten: Die Inszenierung und Ausschöpfung des „Zickenkriegs“ bei Germany’s Next Topmodel ist schließlich kennzeichnend. Es scheint, als ob dieses misogyne Narrativ von der Produktion bewusst für Klicks instrumentalisiert und jene Inszenierung auch in der Rezeption oftmals zur eigenen Unterhaltung akzeptiert würde.

Heidis (nicht mehr offiziell verfügbares) Statement

In den letzten Monaten wurden zahlreiche Stimmen laut, die deutlich Kritik an der Produktion von Germany’s Next Topmodel äußerten. Auslöser war das YouTube-Video (Mai 2022) der Ex-Kandidatin Lijana Risen, die der Show unter anderem Manipulation vorwarf. In der ersten Folge der aktuell laufenden Staffel nahm Heidi Klum schließlich Stellung zu den Vorwürfen. Mittlerweile ist dieses Statement jedoch nur noch in Form von Mitschnitten in den sozialen Medien abrufbar, da der Sender es nachträglich aus der Folge herausgeschnitten hat.

In Bezug auf die Etablierung von Diversität berichtet Heidi Klum in ihrem Statement davon, wie sie selbst trotz eines sehr schlanken Körpers früher für einige Jobs nicht die richtigen Maße gehabt hätte. Durch das Einblenden alter Interviews, in denen sie über jenes Thema spricht, kommt es zur Personalisierung. Diese soll ihren Willen, Diversität in der Modewelt zu etablieren, beglaubigen. 

Insgesamt wirkt es, als wollte die Produktion die Gutmütigkeit Heidis sowie die Ernsthaftigkeit ihrer Diversity-Bestrebungen über die Inszenierung ihrer Person als stets wohlwollende „Mutter der Castingshow“ authentisieren. Eine reflektierte Auseinandersetzung mit den im Raum stehenden Vorwürfen wird umgangen, stattdessen wird immer wieder Gaslighting betrieben. Das Statement zeigt deutlich: Heidi Klum ist sich (zumindest vermeintlich) keiner Schuld bewusst. 

„Size Zero“ und „Heroin Chic“ sind zurück 

Auch auf den Laufstegen in den Modemetropolen Mailand, London, New York und Paris spielte Diversität in den letzten Jahren eine wesentliche Rolle. Nun erlebt jedoch „Size Zero“ eine Renaissance. Es handelt sich dabei um eine US-amerikanische Damenkonfektionsgröße, die wir in Deutschland in etwa mit einer Größe 32 übersetzen. Der Size-Zero-Trend zeichnet sich durch ein besonders schlankes Aussehen aus. Beispielsweise stehen die Hüftknochen eindeutig hervor und auch ein konkaver Bauch ist charakteristisch.
Wie die Vogue-Business-Analyse für die Herbst/Winter-Saison 2023 zeigt, werden die Looks renommierter Designer:innen auf den Fashion Weeks zu 95,6 Prozent von sehr schlanken Models (US 0-4) präsentiert, während Plus- und Mid-Size-Models kaum vertreten sind. 

Die Idealisierung eines sehr schlanken Körpers lässt sich auch anhand der erneuten Glorifizierung des „Heroin Chic“-Trends erkennen. Dieser war bereits in den 1990er-Jahren populär und wird derzeit besonders in den sozialen Medien reinszeniert. 

Neben tiefen Augenringen und blasser Haut ist wie bei „Size Zero“ eine besonders schlanke beziehungsweise vielmehr abgemagerte Figur kennzeichnend. Wie der Name „Heroin Chic“ schon verrät, wird der Missbrauch harter Drogen im Sinne eines wiederkehrenden Körpertrends idealisiert.

Abkehr von Diversität, Rückkehr zum Toxikum?

Die Rückkehr zu diesen Körpertrends lässt eine erneute Hinwendung zu toxischen und einseitigen Schönheitsidealen befürchten, die den Zielen der Body-Positivity-Bewegung entgegenwirken. Sie können als Initiator von Unzufriedenheiten oder gar als Auslöser von Essstörungen fungieren. Auch Schönheitsoperationen zur „Selbstoptimierung“ können zu den Folgen zählen. Genau aus diesem Grund ist es wichtig, ein diverses Bild von Schönheit zu vermitteln und auf die Reproduktion ungesunder, toxischer Schönheitsideale endgültig zu verzichten.

Körpertrends sind gegen unsere Körper

Schönheitsideale sorgen nie dafür, dass ein diverses, individuelles und vor allem inklusives Bild von Schönheit gesellschaftlich verankert wird. Sie privilegieren vielmehr diejenigen, die dem aktuellen Schönheitsideal entsprechen, und benachteiligen jene, die es nicht tun. 

Wie sich zeigt, gibt es aktuell wiederkehrende genderspezifische Schönheitsideale, die aufgrund ihrer Einseitigkeit und Unerreichbarkeit für einige – genetisch bedingt kann schließlich nicht jede:r jegliche Körperform auf natürliche Weise annehmen – als Toxikum betrachtet werden können oder sogar müssen. Anhand der möglichen Folgen von toxischen Schönheitsidealen zeigt sich die Relevanz, auf die Problematik von Schönheitsidealen aufmerksam zu machen und ihnen im Sinne der Body Positivity entgegenzuwirken.