gelesen: Männlichkeit verraten! (2023)

"Men of Quality Respect Womens Equality" Banner auf Demo Immer mehr Männer schreiben sich den Feminismus auf die Fahne, vergessen das aber schnell wieder, wenn es drauf ankommt. Kim Posster kritisiert den Unwillen und das Unvermögen von Männern, richtige profeministische Arbeit zu leisten. (Foto: Samantha Sophia/unsplash)

Kim Posster hat mit „Männlichkeit verraten!“ einen Essay geschrieben, der es in sich hat. Knallhart wird der profeministische Aktivismus beschrieben, der den Status Quo und auch gerne mal sich selbst kritisiert, aber ohne daraus wirkliche Konsequenzen zu ziehen. Possters Gedanken sind ein inspirierender Beitrag zur Debatte über Männlichkeiten und rufen zum Handeln auf. Es bleiben ein Wille zur Radikalität, aber auch offene Fragen und Probleme.

Possters „Männlichkeit verraten!“ grenzt sich lautstark ab

Die Diskussion zu Männlichkeiten und Feminismus nimmt weiter an Fahrt auf. Sei es der Barbie-Film im Mittelpunkt des kapitalistischen Mainstreams, der bereits über eine Milliarde Dollar eingespielt hat. Oder aber die deutsche, bürgerliche Literaturlandschaft: Diese hat etwa mit Christian Dittloffs „Prägung“ und einigen anderen eine Fraktion an cis1 Männern hervorgebracht, die über ihre und andere Männlichkeiten schreiben. Kim Possters Essay „Männlichkeit verraten!“ reiht sich dort nicht mit ein. Auch wenn die Thematisierung von Männlichkeiten eine sinnvolle Sache ist, grenzt sich „Männlichkeit verraten!“ klar von der Art und Weise der zurzeit stattfindenden Thematisierung in Feuilleton und Aktivismus ab. So ist „Männlichkeit verraten!“ deutlich radikaler, ehrlicher und kompromissloser.

 

Das Problem mit der (pro-)feministischen Männlichkeit

Kim Posster nimmt mit „Männlichkeit verraten!“ alle Arten von Männlichkeit in die Pflicht. Trotzdem richten sich viele von Possters Analysen in erster Linie an cis Männer, die sich den Feminismus auf die Fahne geschrieben haben. Das 2021 und in Berlin gegründete „Boykott“-Magazin bekommt besonders viel Kritik ab. Der Kritik liegt Possters These zugrunde, dass es keine Männlichkeit gibt, die sich in unseren patriarchalen Gesellschaftsstrukturen nicht schuldig macht. Es gibt im Patriarchat keine Männlichkeit, die nicht in Täterschaft verstrickt ist. 

Kim Posster wirft all den (pro-)feministischen2 Männerzirkeln, Magazinen wie „Boykott“ und Autor:innen vor, genau das auszublenden. Sie versuchen, eine “neue“, “nicht-toxische“ Männlichkeit zu kreieren. Doch in vielen Kreisen musste die Erkenntnis längst reifen: Ein Mann, der sich als Feminist bezeichnet, hat noch lange kein Interesse daran, seine Privilegien da abzugeben, wo es nötig ist. Posster schöpft dabei aus Erfahrungsberichten von Kollektiven und autonomen Gruppierungen, die sich dem Kampf gegen das Patriarchat und damit auch der Männlichkeit verschrieben haben. Die Summe der Erfahrungen zeigt ein Scheitern der sogenannten linken, “kritischen Männlichkeit“, die sich von stereotypischen Männlichkeiten abzugrenzen versucht. Grenzüberschreitungen und Dominanzverhalten bis zu Vergewaltigungen verschwanden durch sie aber nicht. Vielmehr verschwiegen Männer patriarchale Gewalt zu oft oder gingen sie nur halbherzig an. Kim Posster schließt daraus, dass die Suche nach der “neuen Männlichkeit“ das Patriarchat mehr schützt, als es zu seiner Abschaffung beiträgt.

 

„Männlichkeit verraten!“ ist erfrischend radikal und kritisch

Im Gegensatz zu vielen jüngst publizierten Erscheinungen über Männlichkeiten dreht sich Kim Possters Essay nicht um seine eigene Person. Wenn er aber seine Erfahrungen thematisiert, wird klar: Er hat es selbst mit den profeministischen Arbeitsweisen versucht, die er jetzt so sehr ablehnt. Alle Versuche sind krachend gescheitert. Unter anderem aus diesem Scheitern schöpft Posster ein erfrischend radikales Bild von sogenannter Männnlichkeitskritik. Aus feministischer Perspektive ist Männlichkeit nichts Gutes, kann nichts Gutes werden. Die kritische Auseinandersetzung mit ihr versinkt zu oft in Selbstmitleid, bleibt passiv und vermeidet die direkte Konfrontation mit dem eigenen, gewaltvollem Fehlverhalten.

Possters Radikalität ist genau das, was die Kritik an Männlichkeiten heute braucht. Denn die erfreuliche Tendenz, dass es immer mehr Männer gibt, die mit Stereotypen brechen und über ihre Gefühle sprechen wollen, begleitet ein zunehmend bitterer Nachgeschmack. Feminismus ist nämlich längst sehr profitabel, wie es spätestens der Barbie-Film eindrücklich gezeigt hat. Viele Männer ziehen aus dem Feminismus das heraus, was ihnen Vorteile bringt. Das zeigt nicht zuletzt die Veröffentlichung von des Sammelbandes „Oh Boy: Männlichkeit*en heute“, in dem ein Autor gegen den ausdrücklichen Willen des Opfers seine eigene Tätergeschichte thematisiert. Sobald es ungemütlich wird, ist die Bereitschaft, Männlichkeiten zu kritisieren und Konsequenzen aus dem eigenen Fehlverhalten zu ziehen, verschwindend gering.

Kim Posster plädiert deswegen dafür, diese Art von profeministischer Arbeit zu stoppen. Eine aufrichtige Auseinandersetzung mit der eigenen Männlichkeit kann so nicht stattfinden. So wirbt er schließlich für eine direkte Kopplung der Männlichkeitskritik an feministische Kämpfe. Wenn eine ehrliche Auseinandersetzung geleistet werden soll, darf sie nicht im geschlossenen, passiven Rahmen stattfinden. Auch soll sie nicht darauf ausgerichtet sein, den Widerspruch zwischen Feminismus und Männlichkeit aufzulösen. Laut Posster darf Männlichkeit nicht verzweifelt positiv gewertet werden, sondern muss immer konsequent negativ und im patriarchalen Kontext thematisiert werden: Als „leidenschaftliches Aufbegehren“ im Kampf gegen die Männlichkeit.

 

Possters Männlichkeitskritik: Es bleiben Probleme und offene Fragen

„Männlichkeit verraten!“ war ursprünglich als Projekt mit Bilke Schnibbe und Jeja Klein geplant. Beide arbeiten als freie Journalist*innen unter anderem zu den Themen Männlichkeiten. Posster spricht von „unvorhergesehenen Widrigkeiten“ und private Gründe können mit gutem Recht auch genau das bleiben. Es ist trotzdem sehr schade, dass ein Projekt zum Thema Männlichkeit letztlich allein vom cis Mann veröffentlicht wird. Womöglich ist auch gerade in dieser Debatte der Entstehungskontext zu wichtig, um den Ausstieg von Schnibbe und Klein nicht wenigstens ansatzweise zu erklären.

Posster beschreibt eine Schwäche der profeministischen Arbeit treffend: Es gibt einfach zu wenig Männer, die aufrichtig und nachhaltig interessiert an einer kritischen Auseinandersetzung sind. Das würde ja bedeuten, die strukturelle Überlegenheit der eigenen Person tatsächlich abzugeben! Gerade diese Männer zu einer konsequenten Kritik zu bewegen, sorgt jedoch dafür, dass diese ihnen schmackhaft gemacht werden muss. Kim Posster verfällt dieser Tendenz definitiv nicht, stattdessen vertritt er eine umso ehrlichere Kritik, das alte Problem bleibt jedoch. So beschreibt er auch eine der Sackgassen, in denen sich die heutige Männlichkeitskritik zu befinden scheint. 

Die Frage der Zielgruppe bereitet auch auf einer anderen Ebene Sorgen. So ist etwa ein Großteil der Quellen, die Kim Posster nutzt, öffentlich. So ermöglicht er eine tiefere Auseinandersetzung mit der Debatte. Allerdings ist der Essay in Teilen sehr akademisch geprägt, was den Zugang zum Text manchmal erschwert, gerade, wenn jeder Absatz so wichtige und sensible Inhalte behandelt. Die Debatte bleibt damit in erster Linie einem akademischen Kreis vorbehalten. Das ist immer ein Versäumnis.

Männlichkeitskritik aushalten!

Nichtsdestotrotz hat „Männlichkeit verraten!“ sehr viel zu bieten. Die Aufrichtigkeit in der Auseinandersetzung mit Männlichkeiten sollte für jeden Mann erstrebenswert sein, wenn er antipatriarchale, feministische Arbeit leisten will. Wer sich von der schonungslosen Kritik angegriffen fühlt, sollte sich ernsthaft fragen, warum. Oder wie Kim Posster es gewohnt undiplomatisch bereits in seiner Einleitung des Essays „Männlichkeit verraten!“ formuliert: „Ich bin mir trotzdem sicher, dass einige, vor allem cis Männer, diese Kritik an kritischer Männlichkeit nutzen werden, um sich der Männerfrage im Feminismus ganz zu entledigen. Ich will ihnen deshalb an dieser Stelle meine herzliche Verachtung aussprechen.“

cis1: Ein cis Mann identifiziert sich mit dem Geschlecht, das ihm bei seiner Geburt zugewiesen wurde. Profeminismus2Der Profeminismus ist eine politische Praxis aus der Männerbewegung, die feministische Kritik an z.B. Männlichkeit und Patriarchat äußern will.

AutorKim Posster
Titel

Männlichkeit verraten! Über das Elend der

‚Kritischen Männlichkeit‘ und eine Alternative zum heutigen Profeminismus

Verlag und SeitenanzahlNeofelis Verlag, 108 Seiten
Preis12€