In Christian Dittloffs autofiktionaler Offenbarung wird ein Thema behandelt, das immer mehr Aufmerksamkeit erhält und im gesellschaftlichen Diskurs schwer umkämpft ist: Männlichkeit. „Prägung“ ist ein Plädoyer für absolute Transparenz und die radikale Auseinandersetzung mit dem männlichen Selbst, zugleich jedoch auch immer ein Versuch, die Worthülsen des cis-männlichen Feminismus in Tatkraft zu verwandeln.
Ein Plädoyer für die offene Auseinandersetzung mit sich selbst
Der autofiktionale Beitrag Dittloffs zum Männlichkeitsdiskurs ist durchzogen von Fragen, Zweifeln und einem Verdacht. Wie sinnvoll ist ein Buch über Männlichkeit von einem cis Mann, wenn es doch gerade ihm schwerfällt, die weitreichende und tiefgründige Rolle seiner Männlichkeit zu begreifen? Der Zweifel an der Motivation hinter diesem Buch und der Verdacht, Raum einzunehmen und ihn dadurch Anderen zu nehmen und dabei konsequent schädliches Männlichkeitsverhalten zu reproduzieren, verfolgt Dittloff bei jedem noch so gut durchdachten Satz. Er muss erkennen, dass die einzige Chance, dieses Buch zu schreiben, darin besteht, mit offenen Karten zu spielen. Sich verletzlich zu machen. Das Risiko einzugehen und aus den eigenen Fehlern zu lernen, indem Kritik mit offenen Armen empfangen und ernstgenommen wird. Dieser Text ist ein suchender Text.
Christian Dittloff versucht also, die Fallstricke der Reproduktion von Sexismus und schädlichen, männlichen Verhaltensweisen zu thematisieren, indem er sie nicht ignoriert oder verschleiert, sondern sie offen darlegt. Lektor und Freund*innen kommentieren diese Fallen, in die er sich verstrickt, und Dittloff geht auch damit transparent um. Es ist gut erkennbar, was für ein komplexer Lernprozess im Verfassen dieses Buches steckt.
Der Titel „Prägung“ verrät bereits, worum es in diesem Buch in erster Linie gehen soll: Vergangenheit und Kindheit, was in diesem Fall die 80er und 90er Jahre sind. Weitere große Kernthemen sind für Dittloff in dieser Selbstschau die Erziehung, Idole und Vorbilder, Sexualität, Beziehung, Pubertät, Schulzeit, aber auch die Musik, die eine Art Leitmotiv in Dittloffs Leben darstellt. Teil der Aufarbeitung sind etwaige sexistische Thematiken, Ausgrenzung, Vergewaltigung, der Tod von Dittloffs Eltern, und natürlich: Die verschiedensten Ausprägungen von Männlichkeitstypen, die Schaden anrichten. Wichtig zu betonen ist hierbei, dass sich nicht auf das eindimensionale, problematische Konzept der toxischen Männlichkeit bezogen wird. Jeder cis Mann richtet Schaden an, und Dittloff erkennt auch, dass das Potenzial der Gewaltausübung in ihm immer vorhanden sein wird.
“Prägung” ist ein Prozess mit Hindernissen
Einerseits driftet Christian Dittloff in teilweise zu abstrakte Gedankenspiele ab und überlädt seinen Text mit Metaphern, was manchmal dem Transparenzgedanken des Textes schadet. Dann kommt teilweise die Frage auf, für wen dieses Buch (gut) ist. Während „Prägung“ verschiedenste Männlichkeitstypen dargestellt , werden dieses Buch vielleicht nur Menschen eines bestimmten Männlichkeittypus lesen: Die cis Männer, die ein gewisses Vorwissen besitzen, einen gewissen akademischen Bildungsgrad und bereits eine gewisse Position in progressiven Kreisen innehaben. Wenn diese Vermutung zutrifft, ist das ein Problem. Es stellt sich dann die Frage, wie ein solch wichtiger Versuch über diese Lesergruppe hinausreichen kann.
„Prägung“ ist ein Buch, das der Versuch ist, „ins Handeln zu treten“. Es ist ein erster Schritt. Nicht nur von sich denken und behaupten, Feminist zu sein, sondern an sich zu arbeiten und das Ausmaß des eigenen Handelns zu erkennen. Das Buch gibt dabei sehr viel Anlass zur Reflektion, zum Hinterfragen und zum Diskutieren. Christian Dittloff thematisiert ehrlich seine Kindheit, Jugend und den Weg zum Erwachsenwerden und seine Rolle im patriarchalen Gesellschaftssystem. Gerade weil es ein erster Schritt der Auseinandersetzung sein soll, ist es schwer, seinen Erfolg zu beurteilen, weil nun umso mehr die Frage aufkommt, was jetzt folgt und wie es weitergeht. Das Beste an „Prägung“ ist vielleicht auch eine Hürde, deren Überwindung nicht möglich erscheint: Zweifel, Verdacht und Fragen können gar nicht beantwortet werden. Wichtig ist, sich immer darüber im Klaren zu sein, dass dieses Buch Teil eines Prozesses ist, der gerade erst angefangen hat. Und dabei nicht zu vergessen, dass es zugleich ein Appell ist, auch sich selbst als cis Mann diesem Prozess zu öffnen. Dafür ist „Prägung“ von Christian Dittloff ein sehr guter Anlass.
Autor | Christian Dittloff |
Verlag | Berlin Verlag |
Preis | 22€ |
Seitenzahl | 240 Seiten |