Einer der Filme, dem in diesem Jahr am stärksten entgegengefiebert wurde, heißt Barbie. Gnadenlos ehrlich und hochpolitisch, überrascht er Kritiker*innen und Zuschauer*innen. Mit viel Humor und grandioser Optik verschreibt er sich einer Grundbotschaft: Der Gleichberechtigung von Frauen. Gerade deshalb geht dieser Film jeden etwas an – nicht nur Frauen.
von Verena und Lasse
Chaos im pinken Paradies
Willkommen im Barbieland, der Welt von Barbie! Hier leben alle Barbies, die der Spielzeughersteller Mattel jemals auf den Markt gebracht hat – und sie alle heißen Barbie.
Sie sind Richterinnen, Nobelpreisträgerinnen und Physikerinnen. Ken darf in Barbieland natürlich auch nicht fehlen. Der hängt allerdings den ganzen Tag am Strand rum und ist, wie im Spielzeugkosmos von Mattel, nur ein Sidekick für Barbie. In dieser aus warmen Pastelltönen bestehenden Welt gibt es nur perfekte Tage.
Die stereotypische Barbie (Margot Robbie) fühlt sich genau hier am wohlsten. Sie wird begehrt von Ken (Ryan Gosling), dessen Gefühle sie aber immer wieder zurückweist. So findet zumindest er nicht unbedingt sein Glück. Als diese perfekte Welt Risse bekommt, muss sich Barbie in die echte Welt begeben, um die Idylle und Perfektion von Barbieland wiederherzustellen.
Barbie ist divers und kritisch
Neben Margot Robbie und Ryan Gosling, die in ihrer Darstellung stark an das typische Bild von Barbie und Ken erinnern, gibt es viele Variationen der Beiden. Das berücksichtigt Regisseurin Greta Gerwig auch bei der Zusammensetzung ihres Casts. Die Barbies haben unterschiedliche Hautfarben, alle erdenklichen Körperformen und sogar diverse Geschlechtsidentitäten. Mit Hari Nef wird Barbie beispielsweise auch von einer trans Frau verkörpert.
Außerdem erkennen die Zuschauer*innen viele bekannte Gesichter aus populären Serien wie „Sex Education“ (Emma Mackey, Conner Swindels) oder „Bridgerton“ (Nicola Caughlan) wieder. Auffällig sind auch die prominenten Cameos von Sängerin Dua Lipa und dem Wrestler und Schauspieler John Cena (Suicide Squad), die dem Marketing des Films nicht geschadet haben sollten.
Wer die Diversität des Casts als Diversity Washing abtut, wird von der Handlung eines Besseren belehrt. Sie ist kompromisslos politisch und inspiriert von feministischen Theorien. Damit ist auch offensichtlich, wer eigentlich der Bösewicht des Films ist: Das Patriarchat und sexistische Männer, die ihre Machtpositionen gegenüber Frauen ausnutzen. So wird Barbie in der echten Welt penetrant von Männern angegafft und gecatcallt und erkennt, dass Barbieland eine Insel im Meer des Sexismus ist. Auf die Tatsache, dass alle wichtigen gesellschaftlichen Positionen von Männern besetzt sind, weiß sie sich keinen Reim zu machen.
Ein politisches Hörspiel
Allerdings wird diese politische Dimension des Films vor allem in der ersten Hälfte des Films immer wieder endlosen Dialogen zwischen den Charakteren verhandelt. Mitunter drängt sich der Gedanke auf, Barbie hätte als Hörspiel besser funktioniert.
Das Hauptanliegen des Films ist die Diskriminierung von Frauen. Es geht nicht nur um alltäglichen Sexismus am Arbeitsplatz oder der U-Bahn, sondern um die systemischen Auswüchse patriarchaler Strukturen. In diesem System ist die einzelne Person nicht in der Lage, die ihm/ihr zugedachte Rolle zu verlassen und muss wohl oder übel mitspielen. So darf man als Manager*in nicht Lachen, aber als Frau nicht aufstreben wollen. Demgegenüber zeigt der Film deutlich, mit welchen widersprüchlichen Erwartungen Frauen in unserer Gesellschaft konfrontiert werden: nicht zu dick, aber auch nicht zu dünn sein; durchsetzungsfähig sein, ohne anstrengend zu wirken und natürlich sexuell anziehend zu sein, sich aber nicht sexuell auszuleben.
So muss Barbie erkennen: Für Frauen gibt es kein richtiges Leben im Falschen.
Kein humorloses Feminismus 1x1
Der Film ist radikal ehrlich, ohne dabei den Humor zu verlieren. Nicht alle Gags sind dabei politisch. So ist es feinster Slapstick-Humor, wenn Autos und Menschen durch die Luft fliegen oder bei einer Verfolgungsjagd durch ein trostloses Großraumbüro hetzen. Die bissigste Kritik am Patriarchat verpackt Gerwig dabei in den witzigen Szenen des Films. Männer, die sich beim Mansplaining völlig lächerlich machen, ohne es selbst zu merken, sind tatsächlich urkomisch.
Die Inszenierung profitiert stark vom Kostümbild und den Kulissen, die einen glaubwürdig in die Puppenwelt von Barbie und mitunter in die eigene Kindheit hineinversetzen – alles natürlich im knalligsten Barbie-Pink. Die Tanzeinlagen des Films balancieren zwar zwischen Klischee und Kunst, transportieren aber eine wichtige Botschaft: Jede Barbie (jede Frau) ist gleich, egal ob sie eine Behinderung hat oder vielleicht nicht den gängigen Schönheitsidealen entspricht.
Mädelsabend oder Männerabend?
Viele Kinos vermarkteten den Film als idealen Anlass für einen „Mädelsabend“ mit den üblichen Klischees wie einem Gläschen Sekt. Allzu offensichtlich ist, wen die Kinos für die Zielgruppe des Films halten. Eine kolossale Fehleinschätzung. Denn mit seinen feministischen Debatten ist der Film nicht primär ein Film für Frauen, sondern vielmehr einer für Männer.
Viele Szenen erzählen vom Alltagssexismus, den vor allem Frauen zu spüren bekommen, und deshalb für Männer unter den Radar fallen. So ist der Film vielmehr an die Männer gerichtet, die dadurch vielleicht zum Nachdenken angeregt werden.
„Ideen leben für immer“ – das ist die Botschaft, die der Film verkünden möchte. Auch die Idee von der Gleichberechtigung der Frau wird weiter bestehen. Ausgerechnet Barbie, die Inkarnation des männlichen Blicks auf Frauen, ist in diesem Film die Überbringerin dieser Botschaft.