Hamburg schockiert die Erasmus-Studierenden

Erasmus, Erasmus Uni Hamburg, Erasmus Hamburg, Erasmus-Semester, Uni Hamburg, UHH, Hamburg, Daphne Bossers, Kopfzeile Kyle, Guillaume, Tanya, Petar und sein Freund Burak (Foto: Daphne Bossers)

Nachdem sie für das Mitfahren auf einem Gepäckträger von der Polizei angehalten wurde, beginnt sich unsere Autorin über die deutschen Regeln und Bräuche zu wundern. Im Gespräch mit vier Erasmus-Studierenden arbeitet sie die größten Überraschungen heraus, die das Leben in Hamburg für diese bereithielt.

Von Daphne Bossers

Es ist ein Mittwochabend, als ich bei meinem Freund hinten auf dem Gepäckträger sitze. Wir sind zu einer Bar unterwegs, wo wir uns mit Freunden treffen wollen, als plötzlich ein Auto neben uns hält. Polizisten fordern uns auf, vom Fahrrad abzusteigen und unseren restlichen Weg zu Fuß weiterzugehen. Offenbar ist es in Deutschland verboten, zu zweit auf dem Fahrrad unterwegs zu sein. Das hat mich gewundert, weil wir das in den Niederlanden fast täglich machen. Vor allem in Großstädten sind die Studierenden zu zweit oder auf kaputten Fahrrädern zur Uni oder in die Stadt unterwegs.

Ich war mir sicher, dass ich nicht die einzige mit solchen Erfahrungen während meines Auslandsemesters war und bin deshalb auf die Suche nach anderen Erasmus-Studierenden gegangen. An der Anzahl ausländischer Studierender sollte es nicht scheitern, denn davon gibt es hier heutzutage viele. Deutschland hat laut aktuellen Daten von dem Deutschen akademischen Austauschdienst aus dem Wintersemester 2021 insgesamt 324.729 internationale Studierende an seinen Hochschulen empfangen. In Hamburg waren das 11.244 Studierende. Das heißt, dass 9,7 Prozent der Studierenden damals in Hamburg an eine andere Kultur gewöhnt waren. Dazu kommt, dass die Zahlen jedes Jahr steigen und die Corona-Krise in 2021 eine viel größere Rolle spielte, wodurch vielleicht auch weniger Studierende ein Auslandsemester gemacht haben. So hat Hamburg im Jahr 2020 nur 613 ausländische Studierende empfangen. Heute ist diese Zahl wieder gestiegen. Das heißt auch, dass wieder neue Erasmus-Erfahrungen gemacht werden können.

Guillaume, Tanya, Petar und Kyle sind im Jahr 2022 Erasmus-Student:innen an der Universität Hamburg und kommen alle aus verschiedenen Ländern. Sie haben alle besondere Erfahrungen mit der Hamburger Kultur gemacht.

Deutsche sind viel umweltfreundlicher

Die 22-jährige Tanya aus Sankt Petersburg ist schon seit April 2022 in Hamburg und musste sich am Anfang sehr an ihren neuen Alltag in Deutschland gewöhnen. „Es fing schon an bei meinem Umzug in die neue WG. Ich musste plötzlich meinen Müll trennen, während das in Russland gar nicht gemacht wird. Trotz einer kurzen Erläuterung von meinen neuen Mitbewohnern, hat es noch sehr lange gedauert, bis ich es verstanden habe‘‘. Mittlerweile habe sie sich aber an die Mülltrennung gewöhnt und würde das System gerne auch in Russland einführen, da ihr die Umwelt sehr wichtig sei. „In Russland wird nicht so viel an die Umwelt gedacht, wie ich das in Deutschland empfinde. Hier ist man sich des ökologischen Fußabdrucks bewusster. Das merkt man nicht nur an der Mülltrennung. Auch der Anteil der Personen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, ist viel höher.‘‘

Auch Petar aus Kroatien kann diese Aussage bestätigen. Er sagt, dass er noch nie so vielen Menschen begegnet sei, die kein Fleisch essen. Dies könne zwar auch daran liegen, dass Hamburg eine Universitätsstadt ist und er als Erasmus-Student fast nur andere jungen Personen kennenlerne. Der Verzicht auf tierische Produkte sei hier trotzdem alltäglicher als in seinem Herkunftsland.

Feiern und Freunde treffen

„Das Hamburger Studentenleben ist gar nicht so wie in den USA. Ich feiere gerne, aber musste mich hier an die Party-Kultur anpassen. Trotzdem finde ich es hier ganz entspannt‘‘, erklärt Kyle, der seit Anfang des vergangenen Sommersemesters in Hamburg feiern geht. Laut Kyle bliebe man in den USA eher in einer WG, um dort zu feiern. Er sei zwar auch in den USA schonmal in einen Club gegangen, aber die seien weit von seinem Zuhause entfernt. Hier in Hamburg gehe er oft in Clubs, da diese auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen seien. Ein Getränk kaufe er aber nur selten – diese seien nämlich viel teurer als in den USA. „Jetzt feiere ich noch immer in der WG, dann aber eher zum Vorglühen. Danach geht es erst richtig los.‘‘

Mit seinen Freund:innen trifft Kyle sich nicht nur abends, sondern auch tagsüber, weil sie gerne im Park sitzen. Bei ihm in Kalifornien sei es fast immer so warm, aber wenn hier plötzlich 25 Grad herrschen, fällt Kyle auf, dass jeder froh ist und nach draußen geht.

Auch Petar sitzt bei gutem Wetter gerne draußen. Anders als in Hamburg, trifft er sich in Kroatien meist nur im Café. „Hier in Hamburg gibt es das nicht und das vermisse ich ein bisschen. In Kroatien findet man an jeder Ecke der Straße ein Café, wo sich alle treffen.‘‘ Wenn er nicht draußen ist, erholt er sich während der Mittagspause mit seinem Freund, Burak, den er hier in Hamburg kennengelernt hat. Er hat hier viele Freunde und sagt dazu, dass die Leute hier im Allgemeinen sehr offen und freundlich seien. Vorher habe er nicht damit gerechnet, aber er sei sehr froh, dass er sein Erasmus-Semester nicht allein verbringen müsse.

Regelkonformität und Campus-Gefühl

Guillaume aus Belgien war vor seinem Erasmus-Semester schon einmal in Hamburg. Er habe die Stadt aufgrund ihrer Größe ausgewählt, in der Hoffnung, viele neue Menschen und Orte kennenlernen zu können. Seine Erwartungen haben sich erfüllt und Hamburg gefalle ihm sehr gut, so Guillaume. Obwohl er nicht viele kulturelle Unterschiede erwartet habe, sind auch ihm einige Dinge aufgefallen.

„Von anderen Erasmus-Studierenden hatte ich schon gehört, dass Deutsche viel strikter und regelkonformer seien. Besonders am Anfang meines Auslandsemesters haben meine Erfahrungen das auch bestätigt. Zum Beispiel die Coronamaßnahmen und die Maskenpflicht, die wurden hier in Hamburg sehr ernst genommen. An der Universität fand ich es allerdings ein bisschen komisch, wie schlecht das Ganze geplant war. In Belgien erwartet man am Anfang der Vorlesungszeit eine gute Planung der Sitzungen und Prüfungsleistungen. An der Universität Hamburg sollten wir am Ende des Semesters nur eine E-Mail schreiben, wenn wir hierüber mehr Informationen wollten. Hätte man das in Belgien gemacht, wäre das von den Studenten gar nicht akzeptiert worden‘‘, sagt er lachend.

Trotzdem finde er das Leben an der Universität entspannt. Zum ersten Mal habe er ein Campus-Gefühl, denn an seiner Heimatuniversität gebe es nur verschiedene Gebäude, die weit voneinander getrennt seien. Und auch die Mensa in Hamburg gefalle ihm sehr. Da ist er nicht der Einzige. Petar sagt dazu, dass die Mensen hier viel besser seien als in Kroatien. „In Kroatien ist es zwar billiger, aber die Qualität der Gerichte finde ich hier viel besser. Auch gibt es eine sehr große Auswahl und es ist ein guter Ort, um sich mit Freunden zu treffen.‘‘

Dass es für Erasmus-Studierende in Hamburg Kulturschocks gibt, beweisen die Erfahrungen von Petar, Tanya, Kyle und Guillaume. Auch wenn man aus einem Nachbarland von Deutschland kommt und eigentlich keine Kulturunterschiede erwartet, gibt es manchmal Überraschungen. Mit einer Zahl von 11.244 ausländischen Studierenden je Semester, die noch immer wächst, machen sich auch immer mehr Kulturschocks auf den Weg.