Die Überwachung des Wartens

Wollt ihr produktiv warten? Dann könntet ihr hier richitg sein. (Bild: Lea Walther; Logo: Finn Westphal)

Warten ist meistens eine eher langweilige, manchmal aber auch aufregende Tätigkeit, die alle sicherlich schon oft erlebt haben. Was aber, wenn selbst Warten jetzt vermarktet wird? Mit dieser Frage beschäftigt sich das neue Stück der Projektgruppe Gegen:wart des Ernst Deutsch Theaters. Kopfzeile hat mit Leiterin Mia Massmann, Bühnenbildnerin Nadin Schumacher und Darstellerin Naomi Taube über das Stück gesprochen.

Kopfzeile:  Das Stück heißt „waitwatchers“ und beschäftigt sich mit dem Thema Warten. Worum geht es denn in dem Stück genau?

Mia: Der Titel „waitwatchers“ – wait, englisch für warten und watchers, ist entstanden, indem wir gemeinsam gebrainstormed haben. Es geht sehr um eine Kommerzialisierung von Warten, darum etwas zu verkaufen. Unsere fiktive Firma, die dieses Produkt an den Mann und an die Frau bringt, heißt „waitwatchers“. Das Logo zum Beispiel ist eine kleine Uhr, wo man die beiden Ws ineinander verschlungen als Zeiger sieht.

Nadin: Es geht darum, aufzugreifen, dass man eigentlich alles trackt, was man macht. Es geht nur noch darum, dass man irgendetwas hinter sich bringt, sei es eine Gewichtsabnahme oder etwas anderes. Natürlich ist der Titel an sich auch eher ein humoristischer Link, dass man nicht nur sein Gewicht beobachtet, sondern dass man auch einen sehr passiven Vorgang des Wartens noch überwacht und trackt. So gibt es auch einen Zeitbezug zu unseren Apps, die uns alle kontrollieren und irgendwelche Prozesse abbilden.

Mia: Der Untertitel ist dann ja auch noch „Warte aktiv, Warte produktiv“. Etwas, das auf den ersten Blick nicht zusammengeht, weil Warten etwas sehr Passives ist. Die „waitwatchers“ drehen das um und verkaufen Warten als Lifestyleprodukt, mit dem man produktiver ist und noch besser an der Gesellschaft teilnehmen kann. Bei „waitwatchers“ geht es auch um die Frage: „Warum verkaufen die jetzt Warten?“ Alle sind sehr gestresst im kapitalistischen System, sind gefangen und rennen im Hamsterrad. Es ist also eine riesige Überforderung. Und dann kommen die „waitwatchers“ und verkaufen dir das passende Lifestyle-Produkt, nämlich Warten. Etwas, was dich runterbringt, damit du noch produktiver und aktiver unterwegs bist.

Nadin: Darin ist auch wieder das Absurde enthalten: Dass man eigentlich versucht, Ruhe ins Geschehen zu bringen. Aber selbst die ist irgendwie überwacht und selbst die hat diesen Druck. Dass man das Gefühl hat: Eigentlich will ich etwas anderem entgegenwirken, mache damit aber genau das Gleiche und erzeuge wieder diesen Druck.

Kopfzeile: Das heißt, es geht nicht nur um Warten, sondern auch um Kapitalismuskritik. Ihr habt die Texte für das Stück selbst entwickelt. Wie lief dieser Prozess ab?

Naomi: Die Texte sind hauptsächlich aus Konversation entstanden und dann hat Mia uns oft den Anstoß gegeben, wie wir das aufschreiben können. Wir haben das eher zu Hause erarbeitet oder manchmal kleine Schreibübungen gemacht.

Mia: Genau. Wir treffen uns schon seit September vergangenen Jahres einmal wöchentlich und haben uns zunächst dieses große Thema Warten angesehen. Wir haben diesen Begriff erst einmal bearbeitet und geguckt, was uns daran interessiert. Wir sind da in ganz viele verschiedene Richtungen gegangen und haben ganz viel geschrieben, einen riesigen Pool an Texten. Und dann haben wir uns nach und nach immer mehr spezifiziert und gesagt: Okay, uns interessiert zum Beispiel auch das Thema Macht, uns interessiert das Thema Kapitalismus. Die Texte wurden im Laufe der Zeit immer konkreter. Wir haben sie im Spiel vorgestellt und dann daran weitergearbeitet oder gemerkt: Hier fehlt noch etwas, lass uns da nochmal etwas schreiben. Und nach und nach setzt sich dann das Stück zusammen. Anfang des Jahres wurde es noch konkreter. Dann hatten wir eine Textgrundlage und haben nur noch abgeändert und verdichtet. Wir haben anfangs sehr viele Improvisationsübungen gemacht, auch in viele verschiedene Richtungen. Da fällt dann auch ganz viel weg, weil zum Beispiel eine erarbeitete Choreografie thematisch nicht mehr passt. Alles fließt dann in der Körperarbeit zusammen: Man arbeitet mit sich, mit dem Körper arbeitet, merkt, wie man sich im Raum bewegen kann und lernt den Raum auch sehr, sehr gut kennen.

Naomi: Das Stück ist schon performativ. Es ist eher eine Szenen-Collage und kein klassisches Theaterstück, es ist zum Teil auch etwas abstrakter.

Mia: Es ist eben eine performative Auseinandersetzung mit diesem Thema Warten, der Kommerzialisierung des Wartens.

Kopfzeile: Gibt es denn etwas, worauf ihr euch bei der Premiere besonders freut?

Naomi: Ich glaube darauf, vor Publikum zu spielen. Ich habe das das letzte Mal gemacht, als ich etwa 15 Jahre alt war. Es ist eher Aufregung, aber schon auch mit Freude verbunden. Und ich merke, ich muss richtig über mein Schatten springen. Aber das mag ich auch. Und ich freue mich auf Feedback, darauf, zu hören, wie das Stück ankommt, weil es irgendwie noch so unbeschrieben ist. Und es kann, was das Feedback betrifft, alles werden. Also ich bin sehr gespannt.

Mia: Die Premiere ist auch der Moment, an dem alles zusammenkommt. Wir proben und wir sind die ganze Zeit in unserem kleinen Schutzraum, wir probieren aus und die Projektionen kommen dann erst noch dazu, genauso wie Licht und Ton. Das alles zusammen passiert live vor Publikum. Vergangenes Jahr haben wir unser Stück aufgezeichnet. Es ist halt doch etwas anderes, wenn das Publikum da ist. Wir werden das erste Mal ausprobieren, dass die Premiere hier auf der plattform-Bühne in deutscher Gebärdensprache gedolmetscht wird. Das haben wir hier auf dieser Bühne, die ein sogenannter Freiraum ist und sehr offen, sehr intim und sehr nah, noch nie gemacht. Das wird auf jeden Fall ein spannendes Experiment, das sehr viel für die Zukunft der plattform-Bühne machen wird.

„waitwatchers“ feiert am Freitag, 13.05.2022 um 19.30 Uhr Premiere, eine weitere Vorstellung gibt es am 14.05.2022, ebenfalls um 19.30 Uhr. Karten für die Stückentwicklung des Jugendclubs des Ernst Deutsch Theaters kosten 10,00 Euro, ermäßigt 5,00 Euro. Weitere Informationen findet ihr hier.