gesehen: Sylvia

Auch auf Eros Fest lassen Sylvia die Erinnerungen an Aminta und Diana nicht los. (Foto: Kiran West)

Der Wald als lebendiger und mystischer Ort inspiriert schon seit Jahrtausenden Schriftsteller:innen und Poet:innen. Auch Diana, Göttin der Keuschheit und der Jagd, wohnt dort zusammen mit ihren Nymphen. Zu diesen zählt Sylvia, über deren Leben und Lieben John Neumeier ein Ballett choreografierte. Dieses feierte nun an der Staatsoper Hamburg seine Wiederaufnahme und gleichzeitig die Spielzeiteröffnung.

Es ist Nacht, als Eros (Christopher Evans) in den Wald kommt, in dem auch Diana (Anna Laudere) und ihr Gefolge leben. Als Hirte verkleidet mischt er sich unter andere Hirten und schließt sich ihrem bunten Treiben an.

Sie verschwinden, als unter lauten Rufen Dianas Nymphen, Jägerinnen, erschienen und ihre Pfeile abschießen. Die beste Bogenschützin und zudem ziemlich kess ist Sylvia (Madoka Sugai). Sie ist gleichzeitig Dianas Liebling, was sich besonders im gemeinsamen Tanz mit der Göttin zeigt, in den die anderen sich erst nach und nach einreihen.

Auch der Schäfer Aminta (Alexandr Trusch) hat sich heimlich in Dianas heiligen Wald geschlichen. Als er die Jägerinnen kommen hört, versteckt er sich vor ihnen. Dabei fällt ihm Sylvia auf und er verliebt sich in sie. Als alle anderen zum Baden aufbrechen traut Aminta sich, auf sie zuzugehen und die beiden tanzen ein Pas de Deux. Sylvia, heftig von Aminta umworben, weiß nicht wirklich wie ihr geschieht, beginnt aber langsam, sich auf den gemeinsamen Tanz und die Nähe zu Aminta einzulassen. Irgendwann sind die beiden so in ihren Tanz versunken, dass sie Diana und die anderen Jägerinnen nicht bemerken, bis diese sie überraschen. Von Diana zur Rede gestellt, die absoluten Wert auf Keuschheit legt, wendet sich Sylvia von Aminta ab und schließt sich wieder den anderen an.

Ein Erwachen jenseits des Waldes

Durch die Geschehnisse erinnert sich Diana an ihre Liebe zu dem ewig schlafenden Hirten Endymion (Jacopo Bellussi), den ihr Eros vor Augen führt und mit dem sie zärtliche Pas de Deux tanzt.

Aminta verfällt zunächst in stille Trauer, die aber bald in ausdrucksstark getanzte Wut und Verzweiflung umschlägt. Eros bemitleidet ihn und beschließt, Sylvia zu verführen, um in ihr Liebe und Sinnlichkeit zu wecken. Er nimmt sie daher mit in sein Reich und bei einem Fest entdeckt sie auch diese Seiten an sich. Sie tanzt schließlich kokett mit verschiedenen anderen Männern auf Eros Feier. Dennoch lassen sie die Erinnerungen an Aminta und Diana nicht los. Einige Zeit später zieht es sowohl Aminta als auch Sylvia wieder in den Wald, wo sie sich abermals begegnen.

Schlicht und klar

Der Wucht der Gefühle, die besonders der Tanz von Madoka Sugai, Alexandr Trusch und Anna Laudere eindrucksvoll vermitteln, bietet das Bühnenbild einen passenden Rahmen. Der griechische Bühnenbildner Yannis Kokkos schuf die eher schlicht gehaltene Szenerie. Zur Zeit ihrer ersten Begegnung ist der Wald der Jäger:innen dargestellt durch drei blaue Bäume vor grünem Hintergrund, auf dem eine schmale Mondsichel leuchtet. Der Kontrast zur Festhalle von Eros ist klar zu sehen, obwohl auch diese nur aus weißen Wänden mit zwei Türen und der Statur eines großen, antik-römischen Torsos besteht. Dass sich sowohl die Charaktere als auch der Wald im Laufe der Zeit verändert haben, zeigt sich unter anderem daran, dass dieser dann spiegelverkehrt ist und die Bäume ihre Farbe verloren haben.

Leder und Samt

Wie das Bühnenbild stammen auch die Kostüme von Yannis Kokkos. Sie sind ebenfalls einfach und eindrücklich. Die Hirten in ihren Latzhosen und die Jägerinnen mit Bögen, schwarzen Hosen und ledernen Oberteilen unterschieden sich klar von den Männern im Frack in Eros Reich. Der Unterschied zwischen Sylvias Kleidung als Jägerin und ihrem eleganten roten Kleid, das sie auf Eros Fest trägt, ist besonders deutlich. Ihre Entwicklung zeigt sich somit nicht nur im Tanz, sie wird auch durch das Kleid unterstrichen.

Die verschiedenen Welten, Emotionen und Veränderungen zeigt auch die Musik von Léo Delibes, live gespielt vom Philharmonischen Staatsorchester Hamburg. Schmettern die Blechbläser bei den Jägerinnen ein kräftiges Jagdmotiv, spielt das Orchester bei den Pas de Deux sanftere Töne und wechselt dann wieder zu fröhlicher Festmusik. Aus Musik und Tanz scheint die Handlung ganz natürlich zu wachsen.

Fazit

John Neumeiers schuf seine Choreografie „Sylvia“ bereits vor 25 Jahren. In Hamburg steht es jetzt nach mehr als zehn Jahren wieder auf dem Spielplan. Das Ballett ist immer noch bewegend und aktuell, erzählt es doch eine zeitlose Geschichte über Menschen, die Entwicklungen, die sie im Laufe des Lebens durchlaufen, vielleicht sogar durchlaufen müssen, und über die Liebe. Der eindrucksvolle und ausdrucksstarke Tanz von Solist:innen und Ensemble des Hamburg Balletts, der die Facetten von Liebe, Schmerz, Wut und Sehnsucht deutlich macht, sowie das Spiel der Musiker:innen des Philharmonischen Staatsorchesters lassen das Publikum eintauchen in eine Welt der Mythen und der Magie. Sie führen vor Augen, dass Erlebnisse und Menschen aus der Vergangenheit immer auch in unserer Gegenwart und Zukunft eine Rolle spielen.

Darsteller:innenEnsemble des Hamburg Ballett John Neumeier
Musiker:innenPhilharmonisches Staatsorchester Hamburg
Choreografie und InszenierungJohn Neumeier
Bühnenbild und KostümeYannis Kokkos
Musikalische LeitungMarkus Lehtinen

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