Der (steinige) Weg in die Wissenschaft – Wie promoviert es sich in den Geisteswissenschaften?

Philosophenturm Uni Hamburg Der Philosphenturm: Das Zuhause der Geisteswissenschaften (Foto: privat)

Sie dauert drei bis fünf Jahre, bereitet finanzielle Herausforderungen und erzeugt hohen Leistungsdruck: die Promotion. Das Resultat? Ein Doktortitel, um auf eine (meistens befristete) Anstellung an der Universität zu hoffen. Eine Promotion in den Geisteswissenschaften ist ein langer, steiniger Weg. Aber nur sie ist die Eintrittskarte zur wissenschaftlichen Karriere an der Universität – wenn dem Konkurrenz- und Leistungsdruck standgehalten werden kann.

Um zu erfahren, welche Hürden sich dabei auftun, wie es nach der Promotion weitergeht und was die Motivation dahinter ist, habe ich mit einem Doktoranden aus den Geisteswissenschaften gesprochen.

Tim (der Name wurde für diesen Artikel geändert) und ich treffen uns auf dem Hauptcampus und sitzen dabei mit Blick auf den Philosophenturm. Einen Großteil seines Studiums sowie das erste Jahr seiner Promotion verbrachte er am Überseering. Seit dem Wintersemester findet seine Arbeit zumindest wieder am belebteren Campus statt. Ein Lichtblick im Kontrast zum ausgestorbenen City Nord Gebäude.

Promotion: was ist das überhaupt?

Die geisteswissenschaftliche Promotion soll nach einer erfolgreichen Bewerbung im Schnitt 3-5 Jahre beanspruchen. Neben der schriftlich verfassten Doktorarbeit benötigt es eine Disputation (Vortrag mit Diskussion) nach Einreichung der Dissertation.

Betreut wird die Arbeit, wie bei Seminar- und Abschlussarbeiten, von einer/m Professor*in.

Nach dem Statistischen Bundesamt promovieren deutschlandweit ca. 205.000 Menschen (Stand 2022), darunter mein Gesprächspartner Tim.

Die Finanzierung dafür kann ganz unterschiedlich aussehen. Promovierende zahlen wie Studierende den Semesterbeitrag und erhalten keine Vergütung für die Arbeit an der Doktorarbeit. Eine Möglichkeit bietet daher ein Stipendium, mit dem sich mein Gegenüber seine Promotion ebenfalls aktuell finanzieren kann.

„Für mich war klar, dass ich weitermachen möchte“

Nach dem Abschluss seines Masterstudiums im Jahr 2022 begann Tims Arbeit an der Dissertation nahtlos, da sie thematisch an seine Masterarbeit anschließt. Für Tim war schon während des Studiums klar: Er möchte auf Universitätsniveau lehren. Neben dem wissenschaftlichen Schreiben für unzählige Seminararbeiten hat der Mitte 20-Jährige in seinem Studium schon einige Tutorien in seinem Teilfach gegeben. „Für mich war klar, dass ich weitermachen möchte“, erklärt er mir.

Auch wenn Tim Freude an seiner Dissertation hat; eine Promotion ist auf lange Sicht für eine wissenschaftliche Karriere unvermeidbar, vor allem bei der bestehenden Konkurrenz in den Geisteswissenschaften. Voraussetzung ist Durchhaltevermögen und Freude am Thema, „ansonsten geht man daran zugrunde“, sagt Tim realistisch.

„Ich hab‘ richtig Lust, in dem Thema zu versinken“

Grundsätzlich ist der Doktorand sehr zufrieden. Er promoviert in einem neuen und aktuellen Thema, zu dem noch vieles unerforscht ist, wie er beschreibt. Mit der Dissertation hat er erstmals die Möglichkeit, etwas ganz Neues zur Forschung beizutragen. Insbesondere, weil Tims Thema erst seit ein paar Jahren in seinem Fach als Forschungsbereich existiert.

Ein Vorgeschmack auf die Lehre

Hilfreich ist bei der Promotion ebenfalls ein Lehrauftrag – wenn die Doktorand*innen, so wie Tim, einen ergattern können. Der Lehrauftrag gibt dem PhD die Möglichkeit, seine ersten eigenen Seminare zu geben. Das Glück, einen Lehrauftrag zu bekommen, liegt häufig daran, wie gut die Vernetzung im eigenen Fach ist. Wer im Studium schon ganz gute Connections zu den Professor*innen hat, hat also höhere Chancen. Selbstverständlich ist diese eigentlich essenzielle Lehrerfahrung also leider nicht.

Vor allem die ersten eigenen Lehrveranstaltungen sind in der Regel noch sehr nah mit dem eigenen Promotionsthema verknüpft, wie Tim erklärt. Ganz anders als in den Tutorien, die er als Student gegeben hat, darf der Doktorand hier sein Seminar selbst gestalten. Der Austausch im Plenum mit den Studierenden kann damit einerseits neue Blickwinkel auf sein Thema öffnen, andererseits lassen sich hier wichtige Lehrerfahrungen sammeln. Diese geben ihm einen Pluspunkt bei der weiteren Jobsuche an anderen Universitäten.

Das praktische Lehren bereitet Tim genauso viel Freude wie das theoretische Schreiben an seiner Dissertation. Umso glücklicher schätzt er sich, dass er in seinem ersten Promotionsjahr bereits beides parallel machen kann.

Die Arbeitsbedingungen sind, wie der Doktorand erklärt, allerdings eher dürftig – es werden nur die Stunden der Seminarsitzungen bezahlt. Die Vor- und Nachbereitung der Lehrveranstaltung bleibt aus. So auch das Korrekturlesen von Seminararbeiten oder die dafür angebotenen Sprechstunden für die Studierenden. Die Auszahlung geschieht zudem erst nach Ende der Vorlesungszeit. Zwar bedeutet das eine etwas größere Summe auf einmal, gut planen lässt sich damit unter dem Semester aber nicht. Wer beispielsweise ohne Stipendium mehr auf das Einkommen angewiesen ist als Tim, wird mit einem anderen Job deutlich sorgenfreier glücklich.

„Ich bin Hanna“

Vor allem in Hinblick auf die Initiative „Ich bin Hanna“ zeigt sich, dass es selten so glatt läuft wie bei Tim bislang. Der auf Twitter/X entstandene Hashtag wurde im Herbst 2020 von den Wissenschaftler*innen Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon ins Leben gerufen. Seither sammeln sich unter dem Hashtag unzählige Geschichten, die „prekärer Arbeit in der Wissenschaft ein Gesicht g[eben].“ Ob unbefristete Verträge, mangelnde freie Stellen oder schlechte Bezahlung – ein kurzer Blick in den Hashtag zeigt, dass sich der harte Weg in die Wissenschaft oftmals schlecht auszahlt. Denn von Einzelfällen kann hier nicht mehr die Rede sein.

Tim gibt zu, dass er bisher eher wenig Berührungspunkte mit den Nachteilen seines Karrierewunsches hatte. Der Doktorand ist sich den Herausforderungen durchaus bewusst, versucht sich über das Thema vorerst aber erst wenig Sorgen zu machen. Bisher lief für ihn glücklicherweise alles nach Plan.

Finanzierung der Promotion

In Bezug auf die „Ich bin Hanna“-Initiative kommt mein Gesprächspartner schließlich auf sein Stipendium zu sprechen. Der langwierige und zeitaufwändige Bewerbungsprozess auf die finanzielle Unterstützung hat sich für ihn ausgezahlt. Die Alternative wäre ein Job, der sich zeitlich mit der Arbeit an der Dissertation vereinbaren lassen muss. Diese monatliche Zahlung bedeutet für Tim daher erstmal eine große Erleichterung.

Deutschlandweit gibt es insgesamt 13 Begabtenförderungswerke. Mit einem Stipendium steht den Promovierenden monatlich bis zu 1.466 € zu.

Zwar ist das Stipendium eine gute Möglichkeit, sich die Promotion zu finanzieren, allerdings ist das Geld nicht geschenkt. Tims Stipendium fordert sehr gute Leistungen im Studium – eine der Hauptkriterien vieler Stipendien, neben sozialem Engagement. Ebenfalls hilfreich war sein Nachweis von freiwilliger Weiterbildung im Studium. Dazu zählt beispielsweise das Lernen von Fremdsprachen. Außerdem wird in regelmäßigen Abständen überprüft, inwiefern Fortschritte in der eigenen Forschung zu erkennen sind.

Tim erklärt, dass die Nachweise teilweise viel kostbare Zeit beanspruchen, die sonst in die Doktorarbeit geflossen wäre. Der Leistungsdruck bleibt also weiterhin bestehen, ob in Bezug auf das Stipendium oder die Dissertation im Allgemeinen.

Neben diesen Grundvoraussetzungen, die alle Mitbewerber:innen mitbringen, muss das Dissertationsprojekt dementsprechend aktuell und sinnvoll sein. Durch die Konkurrenz zweifelte Tim vor der Zusage sehr daran, ob er überhaupt Chancen auf das Stipendium habe.

Je mehr wir über die Finanzierung sprechen, desto deutlicher wird: Das Stipendium bedeutet keine vollständige finanzielle Unabhängigkeit. Abgesehen von zwei möglichen Lehraufträgen, darf nicht über den ausgezahlten Betrag hinaus verdient werden, was in Zeiten von Inflation und hohen Mietkosten in Hamburg gar nicht so einfach ist. Trotz allem ist die finanzielle Unterstützung eine entlastende Möglichkeit, die Rechnungen während der Promotion bezahlen zu können.

Doktortitel, und dann?

Die Karriereaussichten und -pläne nach der abgeschlossenen Promotion sind, vor allem auch in Tims Fall, relativ eindeutig. Das Ziel meines Gesprächspartners ist für ihn klar an der Uni zu lehren. So weit, so gut.

Wäre da nicht die Hürde der festen Anstellung. Tim weiß, dass er seinen Traum nur verwirklich kann, indem er für den Arbeitsplatz nach einem Vertragsende in eine andere Stadt ziehen oder alternativ langes Pendeln auf sich nehmen muss. Daneben gibt es die Möglichkeit auf Stellen in Forschungsprojekten, bei denen die Forschung aber auch irgendwann abgeschlossen ist. Die Anstellung endet dann ebenfalls damit.

Plan B?

Der Doktorand sagt mir deutlich, dass sich jede Person, die an der Uni lehren möchte, im Klaren über diese Hürden sein muss. Denn allein der Doktortitel sichert keine Stelle in der Wissenschaft. Genau aus diesem Grund ist es sinnvoll, einen Plan B in der Rückhand zu haben.

In den geisteswissenschaftlichen Fächern kann eine Alternative das Lehren an Schulen sein – zumindest für die Personen, die weiterhin der Lehrtätigkeit nachgehen möchten. Tim schließt es daher nicht ganz aus, irgendwann doch Lehrer an einer Schule zu sein. Dafür wäre noch ein zusätzliches Referendariat erforderlich, mit dem der Doktorand als Quereinsteiger an Schulen lehren dürfte. Tims Promotion dauert voraussichtlich noch mindestens 2 Jahre, bis dahin bleibt er erst einmal planmäßig an der Universität.

Tims Fazit

Zum Ende unseres Gesprächs gibt mir der Doktorand sein Fazit: Wer promovieren möchte, muss sehr große Lust darauf haben und das nötige Durchhaltevermögen mitbringen. Genau das fordert aber schon das geisteswissenschaftliche Studium – die Jobaussichten sind nach Bachelor und Master oft eher unklar und nicht eindeutig vorgegeben. Wie mir die Einsicht in Tims Promotion gezeigt hat, bleibt eine gewisse Unsicherheit auch mit der Promotion.

Bevor wir uns verabschieden, stelle ich meinem Gegenüber noch eine letzte Frage:

„Hast du noch eine positive Perspektive für das Ende unseres Gesprächs?“

Ich erhalte darauf eine bestimmte, aber auch realistische Antwort:

„Ich weiß nicht, ob sich das lohnt. Das könnte auch komplett umsonst sein.“