Shakespeare verfasste eines seiner berühmtesten Dramen über den dänischen Prinzen, selbst die Wise Guys besangen ihn. Auch der Chefchoreograf des Hamburg Balletts, John Neumeier, hat ihm mehrere Choreografien gewidmet. Sein neues Ballett „Hamlet 21“ eröffnete die 46. Hamburger Ballett-Tage und präsentiert eine Geschichte, die Bekanntes zeigt und den Blick für neue Perspektiven öffnet.
Das Ballett beginnt in der Schule. Hamlet (Alexandr Trusch) und sein Freund Horatio (Nicolas Gläsmann) sind nicht Teil des dänischen Hofstaates, sondern haben Unterricht in Latein und Geschichte. Hamlet tagträumt während des Unterrichts von drei Gauklern, die ihn ablenken, bis der Lehrer Polonius (Ivan Urbat) eingreift und Horatio den Bericht des dänischen Geschichtsschreibers Saxo Grammaticus laut vorlesen lässt. Die Geschichte des dänischen Prinzen und seiner Familie wird für die beiden Schüler real.
So tauchen sie ein in die Erzählung, von der auch der Lehrer Polonius ein Teil wird, und erleben zu den Klängen von Michael Tippetts Sinfonie Nr. 2, wie die beiden Brüder Horvendel (Florian Pohl) und Fenge (Félix Paquet) um die Gunst von Geruth (Hélène Bouchet), Tochter des Königs von Jütland, werben. Sie verspricht, den Sieger im Krieg gegen Norwegen zu heiraten. Horvendel siegt, aber während der Trauung verdeutlichen die drei Tänzer:innen immer wieder, dass eigentlich lieber Fenge und Geruth ein Paar wären. Geruth bringt bald darauf Hamlet zur Welt, dessen erste Schritte noch tapsig sind, der sich aber schnell zu einem eleganten, wissensdurstigen jungen Mann entwickelt. Mit den militärischen Ambitionen seines Vaters kann er aber nur wenig anfangen und versucht, diesem zu entwischen, als er ihm mit einer Wasserpistole das Schießen nahebringen will. Viel lieber spielt der Prinz stattdessen mit den drei Gauklern. Etwa um dieselbe Zeit beginnt Fortinbras (Christopher Evans), Sohn des norwegischen Königs, Truppen um sich zu scharen, um den Tod seines Vaters in der Schlacht gegen Horvendel zu rächen.
„Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode“
Hamlet entschließt sich, zum Studium nach Wittenberg aufzubrechen, wovon ihn auch die Liebe zu Ophelia (Anna Laudere) nicht abhalten kann. Ihr liebevolles, zärtliches und immer noch ein wenig verspieltes Pas de Deux zu den ersten beiden Sätzen von Tippetts „Sellinger’s Round“ zeigt tänzerisch und musikalisch sehr deutlich, wie schwer es den beiden jungen Liebenden fällt, sich zu trennen. Der Tanz von Anna Laudere und Alexandr Trusch schafft es, sowohl ihren Abschiedsschmerz als auch ihre jugendliche Leichtigkeit darzustellen.
Aber als der junge Prinz aus Wittenberg zurückkehrt, ist davon kaum noch etwas übrig. Sein Vater ist gestorben, die Mutter wird Fenge heiraten. An Horvendels Grab erscheint Hamlet dessen Geist und beauftragt den Sohn mit der Rache an seinem Mörder, Fenge. Beim Pas de Deux von Vater und Sohn wirkt es, als werde Hamlet in den Armen Horvendels zu dessen Marionette, ohne sich dagegen wehren zu können. Der junge Prinz wird immer verzweifelter, wahnsinniger, schreit stumm und konfrontiert seine Mutter. Dann stößt er Ophelia von sich, die verwirrt ist und schließlich ertrinkt.
Verantwortung für die Vergangenheit
Während all dies passiert, befragt Polonius Horatio zu dem Dilemma, in dem sich Hamlet befindet. Der Freund Hamlets antwortet, er würde viel lieber zurück nach Wittenberg, trage aber die Last der Vergangenheit seines Vaters, den er nun rächen muss. Während des Balletts wird das Geschehen immer wieder durch gesprochene Fragen und Anmerkungen von Horatio begleitete, ebenso wie durch Aufschriften auf der Schultafel, die vor Beginn der ersten großen Schlacht an den Rand der Bühne geschoben wird und auf der die einige der Charaktere und Geschehnisse beschrieben werden.
Durch die Kostüme behält das Publikum aber ohnehin einen guten Überblick, wer in welcher Verbindung zu wem steht und auch bei den großen Schlachten ist durch die Farbgebung der Uniformen der Soldaten und die getragenen Fahnen klar, wer für wen kämpft.
Das schlicht gehaltenen Bühnenbild lässt den Tanz für sich sprechen. Es besteht hauptsächlich aus Vorhängen, die je nach Szene hochgezogen oder fallengelassen werden, ein paar rechteckigen Würfel auf und in denen getanzt werden kann, sowie einer Schulbank und der Tafel.
Fazit
In „Hamlet 21“ verwebt John Neumeier geschickt und auf tänzerisch berührende Weise Shakespeares Drama mit den Berichten von Saxo Grammaticus. Zusätzlich verbindet er den Tanz des Hamburg Balletts mit Dialogen und Schrift. Die Entwicklung des Schülers, der in seiner Vorstellung zum dänischen Prinzen wird und dessen Verwandlung von einem fröhlichen jungen Mann zu einem verzweifelten, wahnsinnig anmutenden Rächer, der unter der Last seiner Aufgabe und unter der Vergangenheit seiner Eltern leidet, wird von Alexandr Trusch sehr gut dargestellt. Aber auch die Veränderung Ophelias, von einem blumenliebenden, verspielten Kind zu einer verwirrten jungen Frau ist fesselnd. Das gesamte Hamburg Ballett beeindruckt erneut mit ausdrucksstarkem, elegantem Tanz.
John Neumeiers Ballett überzeugt aber nicht nur choreografisch und tänzerisch, es regt durch Horatios Äußerungen auch zu Gedanken über Verantwortung für uns, unsere Eltern oder kommende Generationen an, die im Angesicht von Bewegungen wie etwa Fridays for Future immer präsenter werden. Somit passt das Ballett mit seinem Titel sowohl ins 21. Jahrhundert als auch in das Jahr 2021. So blieb es, entsprechend den an der Tafel geschriebenen letzten Worten aus Shakespeares Drama „And the rest is silence“, kurz still im Saal, bis das Publikum langanhaltenden Beifall spendete.
Darsteller:innen | Ensemble des Hamburg Ballett John Neumeier |
Choreografie, Inszenierung und Lichtkonzept | John Neumeier |
Bühnenbild und Kostüme | Klaus Hellenstein |
Weitere Informationen findet ihr hier.
Die 46. Hamburger Ballett-Tage finden noch bis zum 27. Juni 2021 statt. Jeden Abend werden in der Staatsoper Hamburg verschiedene Inszenierungen getanzt. Eine weitere Vorstellung von „Hamlet 21″ ist am 22. Juni zu sehen. Zu dieser können junge Menschen unter 30 Jahren sich um Karten für 5,00 Euro bewerben, dafür muss dieses Formular ausgefüllt werden. Für den Besuch in der Staatsoper müssen entweder ein tagesaktueller negativer Schnelltest, der Nachweis über eine vollständige Impfung oder ein Genesungsnachweis vorgezeigt werden. Zudem gilt im ganzen Gebäude und auch während der Vorstellung die Pflicht zum Tragen einer medizinischen Mund-Nasen-Bedeckung.