gefragt: Safe Abortion Day – Abtreibung ist politisch

Safe Abortion Day, Schwangerschaftsabbrüche, Abtreibung, Demonstration Weltweit kämpfen Feminist*innen für sichere, legale und zugängliche Abtreibungen. Hier beim Gegenprotest zum Marsch des Lebens in Berlin, sowie am Safe Abortion Day in Hamburg, (©Pro Familia in Aktion)

Am 28.09. ist der internationale „Safe Abortion Day“. Weltweit gehen Menschen auf die Straße um für sichere, legale und zugängliche Abtreibungen zu kämpfen. Warum es wichtig ist, weltweit, aber auch in Deutschland für Abtreibungsrechte und reproduktive Gerechtigkeit zu kämpfen, berichten Annika Kriegbaum von „Pro Familia in Action“ und Vanessa Le von „Medical Students for Choice“ in einem Interview über ihre aktivistischen Arbeit mit KOPFZEILE.  

Der Schwangerschaftsabbruch im StBG

Der §218 im Strafgesetzbuch (StGB)regelt Abtreibungen in Deutschland. Darin heißt es: Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft. Jedoch kann der Schwangerschaftsabbruch straffrei bleiben, wenn drei Ausnahmeregelungen eingehalten werden: Es muss an einem verpflichtenden Beratungsgespräch mit dreitägiger Bedenkzeit teilgenommen. Der Abbruchmuss von einen  Arzt vorgenommen werden. Außerdem der Abbruch vor der 12 Schwangerschaftswoche geschehen.

Der §219a zum Werbeverbot von Schwangerschaftsabbrüchen wurde 2022 gekippt.

KOPFZEILE: Abtreibung ist in Deutschland unter dem §218 im STGB geregelt und unter bestimmten Bedingungen ist es möglich, eine Abtreibung vorzunehmen. Was ist mit der  „Entkriminalisierung“ von Schwangerschaftsabbrüchen gemeint? Was fordert ihr?

Annika: Prinzipiell ist der Gedanke hinter „Pro Choice“, dass jede Person selbstbestimmt Entscheidungen über den eigenen Körper treffen darf. Aber durch den §218 ist das bei Schwangerschaftsabbrüchen nicht gewährleistet, weil die Hürden der Beratungsplicht und der anschließenden dreitägigen Wartezeit sehr groß sind. Außerdem sind die Ausnahmen unter denen Abbrüche straffrei sind sehr angreifbar. Deshalb muss §218 weg! 

Vanessa: Es ist außerdem sehr wichtig, dass es eine flächendeckende Versorgung von Schwangerschaftsabbrüchen gibt und gut ausgebildetes medizinisches Personal. Dadurch, dass Schwangerschaftsabbrüche im StGB stehen und dieser Eingriff letztlich kriminalisiert ist, stellt dies auch eine Hürde für Ärzt:innen da, diese durchzuführen.

Annika: Ja genau. Die Kriminalisierung trägt zur Stigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und zur Unterversorgung bei. Weil sich Ärzt:innen weniger dazu entscheiden, diese anzubieten, da es einfach in einem Rahmen von Kriminalisierung passiert

Vanessa Le bei einer Veranstaltung der Medical Students for Choice (l.) und Annika Kriegbaum bei einer Aktion von Profamilia in Action (r.), (© Medical Students for Choice, ©Pro Familia in Action)

KOPFZEILE: Ihr habt es schon angerissen, aber mit welchen Herausforderungen sind ungewollt Schwangere in Deutschland genau konfrontiert, wenn sie überlegen die Schwangerschaft abzubrechen? 

Annika: Da gibt es natürlich mehrere. Zum einen ist es die Beratungspflicht und die dreitägige Bedenkzeit. Die Pflicht der Beratung ist an sich bevormundend. Dann ist die Versorgungsnotlage eine Hürde, insofern, dass man wochenlang auf einen Termin warten muss und eventuell nicht mehr rechtzeitig einen Termin bekommt und weiter ungewollt schwanger sein muss. Oder insofern, dass man eben kilometerweit fahren muss. Außerdem sind 34% der Abbrüche medikamentös. Daher gibt es eigentlich auch keinen Grund dafür, dass Personen wochenlang auf einen Termin warten müssen und ewig weit fahren müssen, um sich eine Tablette in die Hand drücken zu lassen.

Vanessa: Die Strukturen für einen zugänglich Abbruch sind einfach noch nicht geschaffen. Eine weitere Hürde ist die Fristenregel von 12 Wochen, wobei die dreitägige Wartezeit im Anschluss an die Beratung in seltenen Fällen in Konflikt kommen, sodass die Frist dann nicht mehr eingehalten wird. Eine weitere Hürde ist, dass es keine Kostenübernahme der Schwangerschaftsabbrüche gibt. Das können sich dann wieder nur gewisse Leute leisten, das ist auch eine Klassenfrage. Außerdem gibt es viele Fake-Beratungsstellen, die nicht zertifiziert sind, den notwendigen Beratungsschein auszustellen und geben eben oft Falschinformationen, was Betroffenen oft kostbare Zeit bezüglich der 12 Wochen Frist nimmt. 

Annika: Und sie Stigmatisierung, die natürlich auch einfach durch den Paragrafen geschaffen wird, ist eine ganz große Hürde. Dadurch sind ungewollt Schwangere einem hohen emotionalem Druck ausgesetzt. Sei es jetzt vom direkten sozialen Umfeld oder von Ärzt:innen. Es herrscht einfach eine strukturelle Stigmatisierung.

Vanessa: Es ist einfach so, dass der Schwangerschaftsabbruch immer noch super viele Mythen mit sich bringt und ich glaube, dass einfach zu wenig Aufklärung herrscht. Daher wollen auch viele nicht offen darüber sprechen, weil es wie gesagt stigmatisiert und ein Tabuthema ist. Oft stehen Betroffene dann allein da und können nicht mal mit Freund:innen drüber reden.

Das können sich dann wieder nur gewisse Leute leisten, das ist auch eine Klassenfrage.

– Vanessa Le

KOPFZEILE: Ihr sprecht bei Instagram oft von ungewollt schwangeren Frauen oder von Personen mit Uterus und nicht ausschließlich von Frauen. Warum? 

Annika: Es können halt nicht nur cis* Frauen schwanger werden, sondern auch trans** Personen oder intergeschlechtliche oder nicht-binäre Personen. Deshalb ist es wichtig auch für diese Personen Zugang zu reproduktiver Care und Gesundheitsversorgung zu fordern. Es ist auch einfach ein queerfeministische Thema.

KOPFZEILE: Kommen wir zum „Safe Abortion Day“. Was ist das für ein Tag? 

Annika: Der internationale „Safe Abortion Day“ kommt eigentlich aus Lateinamerika und der Karibik. Da haben feministische Gruppen in den letzten 20 Jahren immer wieder rund um den 28. September mobilisiert, um ihre Regierungen dazu aufzufordern Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren, ihren Zugang zu gewährleisten und die Stigmatisierung zu bekämpfen. Das Datum wurde gewählt, um an die Verabschiedung von einem brasilianisches Gesetz aus dem Jahr 1971 zu erinnern, das Kindern von versklavten Menschen in Brasilien Freiheit bringen sollte. Auf der ganzen Welt organisieren Aktivist:innen jeher Aktionen für sichere und legale Abtreibungen für alle, jederzeit. Auch wir gehen in Hamburg zu zwei Aktionen. Dieses Jahr ist das Motto „Abortion Solidarity“, weil in ganz vielen Ländern Abtreibungsrechte massiv attackiert werden.

KOPFZEILE: Was sind eure Forderungen an diesem Tag? 

 Vanessa: Als „Medical Students for Choice“ fordern wir, dass der Schwangerschaftsabbruch in die medizinische Ausbildung aufgenommen wird, weil das bis heute kein Pflichtbestandteil ist. Weder im Studium, noch in der gynäkologischen Facharztausbildung. Schwangerschaftsabbrüche sind einer der häufigsten gynäkologischen Eingriffe, deshalb muss das Teil der Ausbildung sein. Als Resultat davon fordern wir, dass es zu einer besseren Versorgungslage kommt, dass mehr Kliniken und Praxen Abbrüche anbieten.  

Annika: Wir fordern, dass Schwangerschaftsabbrüche bzw. der §218 ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Abtreibungen müssen legal sein, zu jeder Zeit. Eine Person darf nie gezwungen sein, eine Schwangerschaft gegen ihren Willen austragen zu müssen. Wir fordern die Beratungspflicht abzuschaffen und durch ein Recht auf eine qualifizierte, freiwillige, ergebnisoffene Beratung zu ersetzen. Außerdem fordern wir, dass Schwangerschaftsabbrüche von der Kasse übernommen werden. Wir wollen außerdem, dass selbstdurchgeführte Schwangerschaftsabbrüche durch Medikamente ermöglicht werden.  

Vanessa: Wir fordern, dass konsequent gegen Gehsteigbelästigung von Abtreibungsgegner*innen vorgegangen wird. Sie versammeln sich vor Beratungsstellen und Abtreibungskliniken und protestieren dort. Sie planen oft auch große Events über zum Beispiel vierzig Tage und versuchen, ungewollt Schwangere von einer Abtreibung abzuhalten. Sie fangen Betroffene vor Kliniken ab und konfrontieren sie mit Falschinformationen und Bildern, die nicht der Realität entsprechen. Diese Belästigung ist eben auch eine Hürde für Betroffene.

Gegenprotest Marsch fürs Leben, Demo, Pro Familia in Aktion, Safe Abortion Day
Aktivist:innen von Pro Familia in Action waren beim Gegenprotest des Marsch fürs Leben in Berlin. (© Pia Profamilia)

Kopfzeile: Abtreibungsgegner:innen versammeln sich außerdem jedes Jahr am 16.09. in Berlin zum Marsch fürs Leben, dieses Jahr erstmals auch in Köln. PIA war beim Gegenprotest in Berlin, warum wart ihr da und was geht da vor sich? 

Annika: Dort finden sich Abtreibungsgegner:innen, christliche Fundamentalist:innen, Reaktionäre, Konservative Parteien wie die CDU und extreme Rechte. Sie setzten sich vermeintlich für den Schutz des Lebens ein und präsentieren sich eben als sehr familienfreundlich. Sie eigenen sich auch linke Sprache an. Statt „Kein Mensch ist illegal“ heißt es dann „Kein Mensch ist egal“. Sie bezeichnen sich als die wahren Feminist:innen. Im Grunde fordern sie ein komplettes Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Dahinter steht eine antifeministische, queerfeindliche und autoritäre Ideologie. Der Marsch ist Ideologisch nach rechts offen. Sie bilden ein Scharnier zu rechtsextremen Gruppen und Gedankengut. Deshalb waren wir auf der Gegendemo und haben ihnen ihren Marsch ein bisschen vermiest. In Köln konnte der Gegenprotest des Marsch sogar stoppen.

Kopfzeile: Vanessa, ihr macht bei MSFC regelmäßig sogenannte „Papaya Workshops“, was ist das und warum macht ihr das? 

Vanessa: Papaya Workshops sind von Medizinstudierenden organisierte Workshops zur Methodik des Schwangerschaftsabbruchs. Da dies eben kein fester Bestandteil im Curriculum ist, organisieren Medizinstudierende weltweilt diese Workshops als freies Angebot. Dazu gehört einmal ein Theorieteil rund um die Methodik, sowohl die medikamentöse als auch die operative Form. Ärzt:innen, die das mit uns machen, sprechen dann auch nochmal mit uns über die Gesetzteslage und natürlich setzten wir uns damit auch kritisch auseinander. Am Ende gibt es dann immer noch einen praktischen Teil, wo man den Eingriff an einer Papaya übt, weil die gut als Uterusmodell funktioniert. Man kann die Kerne in der Papaya gut als Schwangerschaft in der Gebärmutter sehen, die man dann ganz gut absaugen kann. Die Ärzt:innen meinten auch, dass dies echt sehr realitätsnah ist und es sich ähnlich anfühlt. Bis jetzt hatten wir immer sehr gute Resonanz von den Teilnehmenden und von der Klinik, mit der wir zusammenarbeiten.

Papaya Workshop, Schwangerschaftsabbruch
Bei von selbst organisierten Papaya Workshops lernen Medizinstudierende an einer Papaya über den operativen Schwangerschaftsabbruch (© Vanessa Le).

Man denkt immer, dass die Entscheidung ein Kind zu bekommen so etwas ganz persönliches und individuelles ist. Aber diese Entscheidung ist abhängig von so vielen Faktoren und Zugängen, die sehr ungleich verteilt sind.

Annika Kriegbaum

KOPFZEILE: Was wünscht ihr euch für die Zukunft? 

Annika: Ich würde mir wünschen, dass reproduktive Gerechtigkeit mehr Einzug findet in feministische, aber auch generell politische Debatten. Da geht es nicht nur um Abtreibung, sondern auch Sexualaufklärung, sicherer Geburt, Familienplanung und Verhütungsmittel. Man denkt immer, dass die Entscheidung ein Kind zu bekommen so etwas ganz persönliches und individuelles ist. Aber diese Entscheidung ist abhängig von so vielen Faktoren und Zugängen, die sehr ungleich verteilt sind. Diese Zugänge sind eben auch beeinflusst von Herkunft, Hautfarbe, Behinderung, Klasse und vielem mehr. Bei ungleichen Zugängen ist es keine individuelle Entscheidung eine Schwangerschaft abzubrechen oder auszutragen, sondern eine höchst politische.

Vanessa: Ich wünsche mir auch, dass es in feministische Debatten aufgenommen wird, sowohl als auch darüber hinaus. Es ist für mich auch kein rein feministisches Thema. Man sollte reproduktive Rechte auch immer etwas kritisch betrachten. Oft werden Rechte eingeführt, um politische Strategien und Ideologien durchzusetzen und es geht selten um das Individuum an sich. Der Fokus sollte auf Gerechtigkeit gesetzt sein, dass eben alle Menschen diese Rechte haben und frei über ihre Körper und ihre Fortpflanzung entscheiden können. Jede Person muss  die Entscheidung für oder gegen ein Kind ohne Angst vor Bestrafung und Stigmatisierung treffen können. Es ist wichtig, dass alle unterstützt werden, die es brauchen. Wir müssen das viel intersektionaler denken, es ist nicht nur einen Sexismusfrage, sondern auch eine von Rassismus, Klassismus und vielem mehr. 

Annika: Außerdem würde ich mir Entstigmatisierung wünschen. Ich würde mir wünschen, dass Leute sich freier fühlen, offen über ihre eigenen Abtreibungen sprechen können, wenn sie wollen. Denn so wie ich es durch meinen Aktivismus mitbekomme, ist das Bedürfnis sehr groß, mehr über eigenen Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen zu reden.

Vielen Dank euch beiden für das Interview

In Hamburg gibt es dieses Jahr zum Safe Abortion Day zwei Veranstaltungen: eine Kundgebung um 17 Uhr am Herbert-und-Grete-Wehner-Platz in Harburg und eine Demo um 18 Uhr am Gänsemarkt.

*cis bedeutet, dass Personen sich mit dem Geschlecht, dass ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, identifizieren
**trans bedeutet, dass Personen sich mit einem anderen Geschlecht identifizieren, als das was ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde