Spitzensport und Bundeswehr – Die etwas andere Einheit

Badminton-Nationalspielerin Stine Küspert (im Vordergrund) bei den „57 Portugal International Championships“ in Caldas de Rainha. (Foto: Portugal Badminton Federation)

„Kannst du davon leben?“ Dieser Frage begegnen Spitzensportler:innen aus Randsportarten häufig. Die Antwort hat nicht selten mit der Bundeswehr zu tun – so wie bei Badminton-Nationalspielerin Stine Küspert.

Von Hauke Graalmann

In der Halle ist es ruhig, das Licht ist aus. Doch das wird sich gleich ändern: Nach und nach trudeln die Athlet:innen der Badminton-Nationalmannschaft ein. Die wöchentliche Match-Einheit steht an. Bevor die Federbälle über das Netz geschlagen werden, muss sich Stine Küspert erst noch aufwärmen. Dann geht es rund. Die hochmotivierte 23-Jährige schnappt sich ihre Doppel-Partnerin Emma. Die anfängliche Ruhe ist längst verflogen. Stattdessen: quietschende Schuhe, ein lauter Knall, gefolgt von euphorischem Jubel. Stines kraftvoller Schmetterball ist erfolgreich auf der gegnerischen Feldseite eingeschlagen.

Hier in Saarbrücken trainieren nur die Besten. Die saarländische Landeshauptstadt beherbergt Deutschlands Badminton-Elite. Zumindest jene, die sich auf die Doppel- und Mixed-Disziplinen festgelegt haben. Stine ist darin Spezialistin. „Mir gefällt das Gefühl, gemeinsam als Team auf dem Feld zu stehen, in dem man Siege feiern und Niederlagen zusammen durchstehen kann“ sagt sie. Die sympathische Wahl-Saarländerin zeichnet sich durch eine schnelle Beinarbeit und ihren kraftvollen Angriff aus. Seit Sommer 2019 trainiert sie wöchentlich um die 25 Stunden mit der Nationalmannschaft am Olympiastützpunkt Rheinland-Pfalz/Saarland. Hinzu kommen Bundesligaspiele und internationale Wettkämpfe. Wenn sie gerade mal nicht trainiert oder auf dem Court steht, arbeitet die vielseitig interessierte 23-Jährige an ihrem Abschluss in Wirtschaftspsychologie.

Und: Stine Küspert ist Sportsoldatin. Um sich ihr Leben als Profisportlerin zu finanzieren, ist sie seit 2021 als Sportsoldatin bei der Bundeswehr im Dienst. Denn neben immensen physischen Anstrengungen müssen Profisportler:innen oft hohe finanzielle Belastungen tragen, die mit der Ausübung von Hochleistungssport einhergehen. Wettkämpfe, Reisen und ein optimales Trainingsumfeld sind nur einige Kostenpunkte. Nicht zu vergessen die alltäglichen Lebenskosten. Bei Millionengehältern, wie sie beispielsweise im Fußball fließen, stellt die Deckung solcher Kosten kein Problem dar. In Randsportarten wie Badminton sieht das häufig anders aus.

„Neben anderen wichtigen Sponsoren, ist die Spitzensportförderung der Bundeswehr meine stärkste Unterstützung.“

Die Bundeswehr fördert derzeit 850 olympische und nicht-olympische Spitzensportler:innen in Deutschland. „Damit ist sie einer der größten Förderer des Hochleistungssports in Deutschland“, so ein Sprecher der Bundeswehr. Eingeführt wurde die Förderung für Deutschlands Top-Athlet:innen bereits im Jahre 1970 auf Grundlage eines Bundestags-Beschlusses von 1968. Darin forderte der Bundestag die Bundesregierung auf, Fördergruppen für Spitzensportler:innen innerhalb der Bundeswehr einzurichten. Mit der folgenden Eröffnung erster Sportfördergruppen durch das Verteidigungsministerium wurde die systematische Förderung von Sportsoldat:innen eingeleitet.

Stine ist 52 Jahre später eine dieser geförderten Spitzensportler:innen. Dafür ist sie, wie sie sagt, extrem dankbar. Ihr werde vieles erleichtert. Immerhin mache das Gehalt, welches die Kaderathletin über die Bundeswehr bezieht, rund zwei Drittel ihrer Gesamteinnahmen aus. Diese finanzielle Absicherung gebe ihr eine gewisse Ruhe und die Möglichkeit, ihren Fokus vollkommen auf den Sport zu legen. Auch Chef-Bundestrainer Detlef Poste weiß das zu schätzen: „Die Bundeswehr ist für uns als Sportart eine der wertvollsten und wichtigsten Fördermöglichkeiten. Unsere Athlet:innen haben dadurch die finanziellen Mittel sich auch individuell immer weiter professionalisieren zu können.“

„Die Verteidigung des Landes gehört auch zu meinen Aufgaben.“

Zu sehen: Stine Küspert (hintere Reihe, vierte Person links) mit anderen Athlet:innen der Spitzensportfördergruppe während eines Bundeswehrlehrgangs. (Foto: Privataufnahme Stine Küspert)

Die Bundeswehr ist in erster Linie für den militärischen Schutz der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich. Wie essenziel diese Aufgabe sein kann, zeigt einmal mehr die aktuelle Kriegslage in der Ukraine. Weil dort bisher keine diplomatische Einigung geschlossen wurde, müssen Soldat:innen zur Waffe greifen, um ihr Land und dessen Bürger:innen zu schützen. Mit dem Eintritt in die Spitzensportförderung der Bundeswehr, verpflichten sich auch die Sportsoldat:innen in einem solchen Ernstfall die Bundesrepublik zu verteidigen. Dafür werden sie auf Lehrgängen der Bundeswehr zu (Sport)Soldat:innen ausgebildet.

Auch die engagierte Profisportlerin Stine ist sich dieser Konsequenz bewusst: „Sich für die Spitzensportförderung der Bundeswehr zu entscheiden, bedeutet auch, sich dafür zu entscheiden, als Soldat:in ausgebildet zu werden und die deutsche Bundesrepublik im Ernstfall zu verteidigen“. Weiter sagt sie: „Auch, wenn die Vorstellung vom Krieg sehr abstrakt und irgendwie weit weg erscheint, so zeigt die Lage in der Ukraine doch, wie schnell die militärische Verteidigung eines Landes notwendig werden kann“. Zudem findet sie, dass dieses Bewusstsein dafür, jederzeit eingezogen werden zu können, wichtig ist, wenn sich ein:e Sportler:in für die Spitzensportförderung entscheidet. Denn, sollte man sich nicht dazu in der Lage sehen, den Dienst an der Waffe auszuüben, sei die Bundeswehr nicht die passende Lösung.

Wie funktioniert die Spitzensportförderung und welche Ziele werden verfolgt?

Mit der Förderung von Spitzensportler:innen über die Bundeswehr werden gleich mehrere Ziele verfolgt. Dazu gehört sowohl die Repräsentation Deutschlands bei internationalen Wettkämpfen als auch die Chancengleichheit der deutschen Sportler:innen gegenüber der internationalen Konkurrenz. Ein weiteres Ziel ist die Vereinbarkeit von leistungssportlicher Laufbahn und Berufsausbildung.

Um die gesteckten Ziele zu erreichen, hat die Bundeswehr ein Fördersystem entwickelt, welches darauf bedacht ist, Sportler:innen optimale Trainings- und Wettkampfbedingungen zu ermöglichen. Die Spitzenathlet:innen leisten ihren militärischen Dienst, in dem sie ihren Sport in Vollzeit ausüben. So ist es auch bei Stine. Das fachliche Direktionsrecht für ihre Sportsoldat:innen überträgt die Bundeswehr den jeweiligen Spitzenverbänden, also im Falle von Stine dem Deutschen Badminton Verband (DBV). Stine stimmt ihre Dienstpläne in Form von Trainings- und Wettkampfplanungen mit dem DBV ab und fungiert als Aushängeschild Deutschlands auf internationalen Wettkämpfen.

 „Ich bin mit der Bundeswehr im regelmäßigen Austausch und leite die erstellten Dienstpläne weiter“, erklärt Martin Kranitz, Sportdirektor des DBV. „Auf Grundlage der Turnier- und Wettkampfplanung werden mit der Bundeswehr zudem auch Zeitpunkte für die passenden Ausbildungslehrgänge abgestimmt.“ Denn zusätzlich zu ihren sportlichen Leistungen muss Stine auch eine militärische Grundausbildung absolvieren und dafür Ausbildungslehrgänge besuchen. Insgesamt sind es 21 Wochen, in denen Stine militärisch ausgebildet wird – jedoch nicht an einem Stück. Sie ist maximal fünf aufeinanderfolgende Wochen bei einem Lehrgang, um so wenig wie möglich aus dem Trainingsrhythmus zu kommen. Zu der Struktur des Förderprogramms hat Chef- Bundestrainer Detlef Poste eine positive Meinung: „Die Bundeswehr versucht immer im Rahmen des Möglichen kooperativ und unterstützend zu agieren. Das stetig weiterentwickelte Fördersystem ist ein enormes Entgegenkommen der Bundeswehr in Richtung der Top-Athlet:innen.”

Mit der Aussage zielt der Bundestrainer auch auf die Ausbildungsstruktur ab, die in den vergangenen Jahren bedeutend flexibler geworden ist. Er ergänzt: „Durch die reduzierte Dauer der Ausbildungslehrgänge von vorher sechs, teils auch acht Wochen auf nun nur noch maximal fünf Wochen, verkürzt sich die Zeit, in der unsere Athletinnen aus dem Trainings- und Wettkampfrhythmus kommen merklich. Das ist für uns als Ganzjahres-Sportart sehr wichtig!“

Grundsätzlich profitiert auch die disziplinierte Spitzensportlerin Stine von dem weiterentwickelten System. Jedoch ist es für sie auch jetzt noch immer wieder eine Herausforderung, ihre Trainings- und Wettkampfambitionen zu reduzieren, um ihre Bundeswehrlehrgänge zu absolvieren. „Es ist definitiv schwierig, nach einer vierwöchigen Trainingspause wieder in einen Rhythmus zu kommen“, sagt sie und versucht es dennoch positiv zu sehen: „Ich finde, dass es auch hilfreich sein kann, hin und wieder aus den Alltagsstrukturen herauszukommen.“ Und: „Die Eindrücke und Erfahrungen, die man bei einem Bundeswehr-Lehrgang sammelt, sind super spannend. Auch der Austausch mit Athlet:innen aus anderen Sportarten bereitet mir wirklich Freude. Die Ausbildungslehrgänge sind für mich immer eine sehr prägende Zeit.“

Stine Küspert (links) und ihre Doppel-Partnerin Emma Moszczynski (rechts) haben den gleichen Gedanken und visieren zeitgleich den Federball an. (Foto: Portugal Badminton Federation)

„Man muss eine gute Planerin sein, um alles unter einen Hut zu bekommen.“

Profisport, Studium und Bundeswehr, da bleibt nicht viel Zeit übrig. Das Zeitmanagement kann dann auch mal herausfordernd sein. Die Zeit für Freund:innen und Familie muss gut geplant sein. Stines Familie wohnt in Bremen, sie selbst 580 Kilometer entfernt in Saarbrücken. Ein spontaner Besuch ist da schwierig. Die sehr familienbewusste Sportsoldatin versucht trotzdem, so häufig es geht, Heimatbesuche einzuplanen. Wenn dann aber doch mal die Zeit fehlt, werden andere Lösungen gesucht: „Zum Glück ist meine Familie so Badminton verrückt, dass sie auch gerne mal quer durch Deutschland fährt, um mich bei Turnieren oder Bundesligaspielen zu sehen und zu unterstützen“, erzählt sie strahlend.

Dass die gebürtige Bremerin eines Tages mal Profisportlerin sein würde, hätte sie wohl selbst kaum geahnt: „Angefangen hat alles durch meinen Bruder Flinx und meinen Papa Thomas“, sagt Stine und ergänzt: „Die Beiden waren regelmäßig Badminton spielen. Irgendwann bin ich dann mal mitgekommen und konnte mich direkt für den Sport begeistern.“ 13 Jahre ist es mittlerweile her, dass Stine das erste Mal den Schläger geschwungen hat. Seither ist viel passiert. Professionelle Absichten hatte sie jedoch nicht auf Anhieb: „Ich habe anfänglich keine wirklichen Ambitionen verfolgt, sondern einfach aus Lust und Laune gespielt“, blickt sie zurück. Doch die Leidenschaft für den Badmintonsport wurde immer größer. Im Herbst 2013 zog Stine nach Hamburg an das Sportinternat des Olympiastützpunktes. Keine schlechte Entscheidung, wie sich mittlerweile gezeigt hat. Fortan besuchte die talentierte Sportlerin die Eliteschule des Sports am Alten Teichweg. Das ermöglichte ihr, Leistungssport und Schule miteinander zu vereinen.

Am Bundesnachwuchsstützpunkt in der Hansestadt reifte die Ausnahmeathletin zur Jugendnationalspielerin heran. Es folgten Medaillen bei den Deutschen Meisterschaften in der Altersklasse U19. Eine goldene im Dameneinzel, eine silberne im Damendoppel sowie eine bronzene im Mixed. Auch an Welt- und Europameisterschaften nahm die weitgereiste Nationalspielerin in ihrer Jugendzeit teil. Besonders gerne erinnert sie sich dabei an die Jugendweltmeisterschaft 2017 in Indonesien zurück. „Das war schon ein unglaubliches Erlebnis! Mitzubekommen, wie sehr sich dieses Land für den Badmintonsport begeistert, ist beeindruckend. Dass ich dann auch noch ein Teil davon sein konnte, hat mich um so mehr gefreut.“ Bedeutsame Erfolge und Erlebnisse, die beflügelten, die Lust auf mehr machten.

„Ich möchte unbedingt an den Olympischen Spielen teilnehmen.“

Stine Küspert bespricht mit ihrem Mixed-Partner Jan Völker die Taktik für den nächsten Ballwechsel. (Foto: Portugal Badminton Federation)

Mittlerweile ist die gewachsene 23-Jährige ein fester Bestandteil der deutschen Nationalmannschaft. Zudem ist sie bereits bei Welt- und Europameisterschaften angetreten, aber ein großes Ziel blieb der Badmintonspezialistin bisher noch verwehrt: die Olympischen Spiele. Ein Teil dieses historischen Sportwettbewerbes zu sein, das ist ihr erklärtes Ziel. Dafür möchte sie weiterhin alles geben und sich stetig weiterentwickeln. Die kommenden Olympischen Spiele werden 2024 in der französischen Hauptstadt Paris stattfinden. Möglich, dass diese für Stine etwas zu früh kommen – von ihr abgeschrieben werden die Spiele 2024 allerdings keinesfalls. „Ich möchte die Olympia-Qualifikation 2024 in jedem Fall angehen“, sagt sie. Realistischer erscheinen jedoch die Olympischen Spiele 2028 im kalifornischen Los Angeles. „Ich stehe noch am Anfang meiner Karriere und sowohl die internationale als auch die interne deutsche Konkurrenz ist zudem stark, deshalb wird es schwierig sich da durchzusetzen. Um mein volles Leistungspotenzial auszuschöpfen, brauche ich noch etwas Zeit“, erklärt die junge Nationalspielerin.

Die nötige Zeit hätte sie bis zu den Spielen in Los Angeles. Bis dahin möchte die ehrgeizige Sportlerin weiter an ihren Fähigkeiten feilen. Sie ist bereit, um ihr anvisiertes Ziel zu forcieren: „Der Weg bis zu den Spielen 2028 ist noch weit und hält auch sicherlich einige Herausforderungen für mich bereit. Ich fühle mich allerdings bestens gewappnet den Weg zu beschreiten und werde alles dafür geben, mir meinen Olympia-Traum zu erfüllen.“