Etwa 100 000 Frauen lassen in Deutschland jährlich einen medizinischen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Der Weg dahin ist häufig nicht leicht. Bürokratische Hürden und gesellschaftliche Stigmatisierung stehen im Weg. Die neue Ampel-Regierung will das nun ändern und legte in der vergangenen Woche einen entsprechenden Gesetzesentwurf vor.
Die Ampel-Parteien beschlossen bereits im Koalitionsvertrag, den Paragrafen 219a abzuschaffen. Ein wichtiger Schritt, findet die Grünen Politikerin Ulle Schauws: „Ich war sehr erleichtert, dass wir uns in diesem Punkt ziemlich einig waren und jetzt auch im Koalitionsvertrag steht: ersatzlose Streichung Paragraf 219a“, sagte sie nach den Verhandlungen.
Das heute in Deutschland geltende Recht zu Schwangerschaftsabbrüchen basiert auf dem sogenannten Fristen- sowie dem Indikationsmodell: Obwohl Paragraf 218 des StGB das vorzeitige Beenden einer Schwangerschaft verbietet, gelten Ausnahmeregelungen. Schwangere Frauen können innerhalb einer Frist von zwölf Wochen unter Wahrnehmung der Beratungspflicht eine Abtreibung durchführen lassen. Außerdem ist ein Schwangerschaftsabbruch bei medizinischer Indikation, also zum Beispiel bei Gefährdung des Lebens der Mutter straffrei.
Selbst auf Dienste zur Förderung von Schwangerschaftsabbrüchen hinzuweisen oder über die angebotenen Methoden des Schwangerschaftsabbruchs zu informieren ist für Ärzt:Innen bislang strafbar. Bekannt geworden ist vor allem der Fall der Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel, gegen die seit 2009 strafrechtlich vorgegangen wurde. Sie hatte auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informiert und wurde zu einer Geldstrafe von zunächst 40, dann 35 Tagessätzen verurteilt. Sie legte Revision ein, welche im Januar 2021 vom Oberlandesgericht abgelehnt wurde. Daraufhin nahm sie die betreffenden Texte von ihrer Website, um weitere Strafen zu vermeiden. Auch beim Karlsruher Verfassungsgericht reichte Hänel im Februar 2021 eine Verfassungsbeschwerde ein. Und sie ist nicht die Einzige: Die Gynäkologin Bettina Gaber beschwerte sich 2019 ebenfalls beim Verfassungsgericht, nachdem sie wegen eines Verstoß gegen 219a zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Über den Paragraphen 219a äußerte Hänel sich so: „Eine ungewollt Schwangere hat Gründe für den Abbruch, und der Grund ist nicht, dass ich sage, dass sie eine Binde zum Abbruch mitbringen sollen.“
Obwohl ihr Fall eine öffentliche Debatte um den Paragrafen auslöste, stand die Gesetzgebung lange Zeit still. Erst im Mai 2021 wurde der Gynäkologe Detlef Merchel zu einer Geldstrafe verurteilt, unter anderem, weil er auf andere Adressen für Schwangerschaftsabbrüche verwies.
Dass die Politik nun endlich einen Schritt in Richtung Gesetzesreform geht, ist deshalb lange überfällig. Denn die gesellschaftliche Tabuisierung des Themas führt zu Scham und Stigmatisierung. Das hindert Betroffene daran, Schwangerschaftsabbrüche zu einem Gegenstand der öffentlichen Diskussion zu machen. Stattdessen werden Abtreibungen sogar im privaten Rahmen häufig totgeschwiegen.
Dabei gehören ungewollte Schwangerschaften zur Lebensrealität vieler Frauen. Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen verhindert nicht, dass Abtreibungen durchgeführt werden. Sie hat zur Folge, dass Schwangere ihr eigenes Leben durch nicht sicher durchgeführte Prozeduren gefährden, weil ihnen die richtige medizinische Versorgung fehlt.
Die ersatzlose Streichung des Paragrafen 219a ist daher ein wichtiger Schritt. Informationen über medizinische Prozeduren dürfen niemandem vorenthalten werden, sondern gehören zur medizinischen Grundversorgung. Auch in Sachen weibliche Selbstbestimmung setzt die Gesetzesänderung ein Zeichen.
Der Paragraf 218, der Schwangerschaftsabbrüche als solche nur unter Ausnahmen zulässt, soll jedoch zunächst weiterhin bestehen bleiben. Die Oppositionspartei die LINKE hält auch dies nicht für ausreichend und fordert, diesen Paragrafen ebenfalls ersatzlos zu streichen, sowie Angebote zur freiwilligen Beratung auszubauen. Anja Butschkau, frauenpolitische Sprecherin der SPD- Fraktion im nordrheinwestphälischen Landtag äußerte sich im Mai 2021 dazu folgendermaßen: „Am besten schaffen wir beide nicht mehr zeitgemäße Paragrafen [218 und 219] gleichzeitig und für immer ab.“
Auf eine Regierung, die dieses Vorhaben in die Tat umsetzt, bleibt zu hoffen. Fest steht, dass die Streichung beider Paragrafen den Druck auf Frauen im gebärfähigen Alter drastisch reduzieren würde.
Trotz Gegenstimmen von selbsternannten „Lebensschützern“, insbesondere aus der Union und der AfD, lässt sich auf einen baldigen politischen Wandel hoffen. Mit dem Ende der GroKo scheint die Zeit körperlicher Fremdbestimmung nun ebenfalls vorbei.