gelesen: Die Verlorenen

Der Slaughter Quay, zu dem Jonah Colley eines Nachts gerufen wird, macht seinem Namen alle Ehre, sehr zu Jonahs Leidwesen. (Foto: Svenja Tschirner)

Manchmal trifft der Spruch ‚Nomen est Omen‘ absolut zu. Das stellt auch Jonah Colley fest, als er an dem alten, verlassenen Lagerhaus am Slaughter Quay ankommt und dort statt eines ehemaligen Freundes vier Leichen findet. Als er dann auch noch krankenhausreif geschlagen wird, will er wissen, was an diesem unwirtlichen Ort passiert ist. Damit beginnt Simon Becketts neuer Thriller.

Eigentlich hatte Jonah Colley, selbst Polizist und Mitglied einer bewaffneten Spezialeinheit der Metropolitan Police in London, gar nicht vor, dem Ruf seines einstigen Freundes Gavin zum Slaughter Quay zu folgen. Aber da Gavin bei seinem Anruf völlig verzweifelt klingt, tut er es schließlich doch. Die Verzweiflung des ehemaligen besten Freundes ist aber nur ein Grund, dorthin zu fahren. Denn Jonah will unbedingt mehr über das Verschwinden seines eigenen Sohnes vor zehn Jahren herausbekommen. Der Verlust seines Kindes, das beim Spielen vom Spielplatz verschwand als Jonah nicht aufpasste, weil er eingeschlafen war, zerstörte seine Ehe und führte dazu, dass er den Kontakt zu Gavin abbrach.

Nach dessen Anruf schöpft Jonah nun neue Hoffnung. Diese wird jedoch zunichte gemacht, als er auf die vier Leichen stößt. Nachdem er gerade noch nach Hilfe telefonieren kann, wacht er einige Tage nach den Ereignissen im Krankenhaus auf und ist plötzlich selbst nicht mehr ermittelnder Polizist, sondern Zeuge und Tatverdächtiger. Zusätzlich zu diesem Ärger geht er auch noch einer Journalistin auf den Leim, die er für eine Therapeutin hält, und erzählt ihr mehr als gewollt. Als diese, nach einem erneuten Besuch bei Jonah, ebenfalls tot aufgefunden wird, steht er endgültig auf der Liste der Verdächtigen. Trotzdem ermittelt er weiter. Besonders da der Mann, der damals im Verdacht stand, seinen Sohn entführt zu haben, auch in diesem Fall als tatverdächtig gilt.

Schwere Bürden

Der Verlust seines Sohnes und das Scheitern seiner Ehe lasten immer noch auf ihm. Doch der Fall hinterlässt auch körperliche Spuren. Jonah wird im verlassenen Lagerhaus am Slaughter Quay so stark verletzt, dass er mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen muss und sich auch später wegen seines zerstörten Knies nur auf Krücken fortbewegen kann. Doch nicht nur der Protagonist leidet.

Auch der polizeilich ermittelnde Detective Inspector ist am ganzen Körper von Narben übersäht und eigentlich immer schlecht drauf. Gavin, der ehemalige Freund durch dessen Anruf der Fall seinen Anfang nahm, war zuhause ausgezogen, suspendiert und stand unter Korruptionsverdacht. Er hinterlässt eine trauernde Witwe, die permanent betrunken ist und einen aufmüpfigen, traurigen Sohn im Teenageralter. Auch die Nebenfiguren, die im Laufe der Handlung auftauchen, tragen schwere Bürden mit sich. Kaum eine von ihnen scheint ein glückliches Leben zu führen.

Dichter Nebel

Trotz oder vielleicht gerade wegen der düsteren Lebensgeschichten die Simon Beckett in „Die Verlorenen“ aufzeigt, ist es für die Leser:innen ein Leichtes, sich ein Bild der Charaktere zu machen. Durch seinen klaren und präzisen Schreibstil zieht die Handlung die Leser:innen bald in ihren Bann und macht die Gebäude und Geschehnisse beinahe körperlich spürbar. Die bedrückende Atmosphäre, die sich durch das Buch zieht, begleitet die Lesenden ebenso, wie der Wunsch, hinter die ganzen seltsamen Geschehnisse zu kommen.

Manche der Verdachtsmomente, die der ermittelnde Detective Inspector dabei gegen Jonah vorbringt, sind allerdings ein wenig konstruiert. Zudem wirkt es immer wieder so, als hätte er sich zu stark auf den Kollegen eingeschossen.

Fazit

Mit „Die Verlorenen“ hat Simon Beckett einen weiteren Thriller geschrieben, der sein Talent für das Schreiben von spannenden, verwickelten Fällen beweist. Durch seinen Schreibstil nimmt er die Lesenden mit nach London in unheimliche Lagerhäuser und schicke Villengegenden. Die in Teilen sehr düstere Atmosphäre und die Tatsache, dass die Figuren alle ihr Kreuz zu tragen haben ist ein prägender Aspekt des Buches. Dieser Thriller ist keine leichte Urlaubslektüre, aber eine Empfehlung für diejenigen, die nach spannender und packender Kriminalliteratur suchen.

AutorSimon Beckett
VerlagWunderlich (Rowohlt)
Preis24,00 Euro
Seitenzahl416 Seiten