Wie wollen wir leben – wie wollen wir sterben? Manche stellen sich diese Fragen an bestimmten Punkten im Leben immer wieder. Wollen wir so lange leben wie möglich oder doch unser eigenes Leben beenden, wenn wir merken, dass wir sonst nicht in Würde entschlafen können? Das neue Theaterstück von Ferdinand von Schirach dreht sich um die Frage nach dem selbstbestimmten Sterben. Es feierte am 13.09.2020 im Altoaner Theater Premier.
Seit dem Tod seiner Frau sieht der Rentner Richard Gärtner (Jacques Ullrich) keinen Sinn mehr in seinem Leben. Er fühlt sich nicht mehr vollständig und alle Unternehmungen, die er mit seiner Frau zusammen machte, hat er aufgegeben. Er will nur noch eins: sterben. Helfen soll ihm dabei das Medikament Natrium-Pentobarbital, ein Schlafmittel, das in der Tiermedizin zum Einschläfern verwendet wird.
Doch das Arzneimittel, das Gärtner für seinen Suizid ausgewählt hat, ist verschreibungspflichtig. Eigentlich könnte ihm ein Arzt dieses Medikament verschreiben, denn im Februar diesen Jahres hatte das Bundesverfassungsgericht den Paragrafen 217 für nichtig erklärt und Ärzten die Sterbehilfe gestattet.
Richard Gärtners Fall landet vor dem Ethikrat, verkörpert durch das Publikum. Nachdem der Protagonist verschiedene Fragen der Vorsitzenden des Ethikrates (Nadja Wünsche) zu seiner Situation, seiner Familie und dem Tod seiner Frau beantwortet hat, beginnen die drei geladenen Experten sich den Fragen von Herrn Doktor Keller (Ole Schloßhauer), Mitglied des Ethikrates, und Herrn Biegler (Dirk Hoener), dem Anwalt von Richard Gärtner, zu stellen.
Recht, Religion und Medizin
Als Erste beantwortet Frau Professor Litten (Hannelore Droege) als juristische Sachverständige verschiedene Fragen zum Thema Suizid, zur aktiven und passiven Sterbehilfe sowie zu Beihilfe zum Selbstmord.
Als nächstes wird eine Vertreterin der Bundesärztekammer, Frau Professor Sperling (Anne Schieber), befragt. Sie befürchtet, dass das Vertrauen zwischen Arzt und Patienten schwinden könnte und ist der Überzeugung, dass Ärzt*innen das Leben schützen und erhalten sollen, anstatt es zu beenden. Frau Professor Sperling wird besonders von Rechtsanwalt Biegler in die Mangel genommen, der manche ihrer Aussagen aufs Korn nimmt, Wiedersprüche aufzeigt oder Zahlen, die Professor Sperling in den Raum stellt, anderen Zahlen entgegenstellt und damit versucht, diesen Daten an Größe und Wucht zu nehmen.
Der dritte Befragte ist der katholische Bischof Helmut Thiel (Georg Münzel). Er geht zunächst auf die Trauer der Angehörigen ein, die den Selbstmord eines Freundes oder Familienmitgliedes verkraften müssten. Bischof Thiel ist der Ansicht, man müsse ihnen gegenüber Solidarität zeigen – Ärzte sollten daher von einer Verschreibung tödlicher Medikamente wie Natrium-Pentobarbital absehen.
Insgesamt befürchtet er, dass das Kippen des Paragrafen 217 irgendwann das Töten legitimiere. Er denkt, es könne dazu führen, dass die jungen Menschen die Alten und Kranken irgendwann fast auffordern, sich selbst das Leben zu nehmen, damit sie der Gesellschaft nicht mehr zur Last fielen.
Wohin führt unser Weg?
Eine ähnliche Befürchtung äußert auch Herr Doktor Keller in seinem Abschlussplädoyer indem er fragt, ob das Recht auf Selbsttötung irgendwann zur Pflicht werde. Rechtsanwalt Biegler hingegen legt in seinem Abschlussplädoyer den Fokus auf den Humanismus als oberstes Prinzip und stellt explizit die Frage, um die sich das ganze Stück dreht: Wie wollen wir leben, wie wollen wir sterben?
Die Abschlussplädoyers werden gehalten, während die Stimmen des Ethikrates, also des Publikums, ausgezählt werden. Abgestimmt wurde, ob Richard Gärtner das Natrium-Pentobarbital erhalten soll oder nicht. In der Premiere stimmte mehr als Hälfte der Anwesenden für „Ja“.
Da bei „Gott“ der Fokus auf der Diskussion über den Suizid im Vordergrund steht, sind sowohl das Bühnenbild als auch die Kostüme der Situation, einer Versammlung vor dem Ethikrat, angepasst und schlicht gehalten.
Die Fragenden und Befragten sprechen jeweils in Mikrofone auf dem Tisch oder in der Bühnenmitte. Nur Richard Gärtner tut das während seiner Reden selten.
Fazit
„Gott“ beschäftigt sich mit einem Thema, das den Menschen seit Jahrtausenden begleitet und umtreibt. Dabei zeigt das Stück von Ferdinand von Schirach eine interessante und sehr vielfältige Debatte über Suizid auf. Im Laufe der Befragungen und verschiedenen Plädoyers werden dabei nicht nur die Meinungen der jeweiligen Vertreter von Recht, katholischer Kirche und einigen Ärzt*innen deutlich. Es wirkt zwischenzeitlich auch so, als hätten die Debattierenden den Stein des Anstoßes, Richard Gärtner, ein wenig aus den Augen verloren.
Trotz des ernsten Themas wirkt die Stimmung auf der Bühne nicht bedrückend, was auch an den Zwischenrufen von Rechtsanwalt Biegler liegen könnte, die das Publikum ab und zu zum Schmunzeln bringen und mehrere Ordnungsrufe der Vorsitzenden zur Folge haben.
Insgesamt liefert das Stück durch gute schauspielerische Leistungen und das Aufzeigen unterschiedlicher Aspekte und Meinungen zum Thema Suizid sehr viele Informationen, die noch lange Stoff zum Nachdenken liefern. Um den Input des Stückes zu verarbeiten ist es empfehlenswert, sich „Gott“ mit mehreren Personen anzusehen, denn dann kann die Frage „Wie wollen wir sterben?“ im Anschluss in Gemeinschaft ausführlich diskutiert werden.
Regie und Raum | Axel Schneider |
Darsteller*innen | Hannelore Droege Dirk Hoener Georg Münzel Anne Schieber Ole Schloßhauer Jacques Ullrich Nadja Wünsche |
Kostüm | Jana Schweers |
Weitere Informationen findet ihr hier.