gesehen: Dornröschen

Zu Ehren Auroras tanzen die Gärtner:innen an ihrem 16. Geburtstag. (Foto: Kiran West)

Ein junger Prinz, der mit seinen Freunden in den Wald geht, um zu trinken und zu jagen und dort etwas ganz anderes findet –John Neumeier verwebt in seinem Ballett Dornröschen ein altes Märchen mit der Gegenwart und lässt Moderne und Vergangenheit aufeinandertreffen. Das Ballett feierte nun an der Hamburgischen Staatsoper Premiere und löste beim Publikum langanhaltenden Beifall aus.

Es donnert und blitzt, der Regen prasselt auf den Wald und Prinz Désiré (Alexandr Trusch) hat sich, getrennt von seinen ziemlich betrunkenen Freunden, verlaufen. Inmitten bedrohlicher Dornen trifft er auf eine Rose (Hélène Bouchet). Ihrem Duft und dem Bild eines schlafenden Mädchens folgt er immer weiter in den Wald, gehindert und immer wieder verletzt von dem Dorn (Matias Oberlin) und seinen Ranken.

Mithilfe der Rose gelangt er durch einen Spiegel in ein Schloss und sieht das Königspaar ebenso wie die Trauer der Königin darüber, immer noch kein Kind bekommen zu haben. Schließlich sieht die Königin (Anna Laudere) jedoch in demselben Spiegel, dass sie Mutter werden wird. Das Paar ist in der Mode des ausgehenden 19. Jahrhunderts gekleidet und nimmt den Prinzen nicht wahr.

Dieser erlebt die Taufe des kleinen Mädchens, Aurora, und nach dem Ende des Festes mit Entsetzen, wie der Dorn und seine Ranken durch den Spiegel kommen und das Kind verfluchen. Verzweifelt versucht er, das Baby zu schützen und den König (Edvin Revazov) auf die Gefahr hinzuweisen, es gelingt ihm aber nicht.

Nachdem Prinz Désiré Aurora hat aufwachsen sehen, erlebt er auch ihren 16. Geburtstag, an welchem verschiedene Prinzen um ihre Hand anhalten. Désiré klettert immer wieder am Schloss hoch oder lümmelt sich auf den Balkon und sieht Aurora (Ida Praetorius) fasziniert und verliebt beim Tanzen zu. Nachdem ihn immer noch niemand wahrnehmen kann, gelingt es ihm, kurz mit der Prinzessin zu tanzen. Dennoch kann er nicht verhindern, dass sie sich an der dunkelroten Rose eines der Prinzen sticht und in Ohnmacht sinkt. Wieder greift die Rose ein, nimmt Prinz Désiré mit und lässt den Hof in tiefen Schlaf sinken.

Nachdem seine Freunde den Prinzen im Wald wiedergefunden haben, trinken und schießen sie begeistert weiter, er jedoch entfernt sich wieder auf der Suche nach der schlafenden Prinzessin, die er unbedingt wecken will.

Immer verbunden

John Neumeier verbindet in „Dornröschen“ das klassische Ballett zur Musik von Peter I. Tschaikowsky, choreografiert von Marius Petipa, mit eigenen choreografischen Elementen und schlägt damit elegant den Bogen um eines der zentralen Elemente dieses Märchens, den 100-jährigen Schlaf der Prinzessin. Diese wird nach ihrem Erwachen mit Einsamkeit und Verfall konfrontiert, da der Prinz sich zunächst noch versteckt.

Die Unterschiede in der Zeit zeigen sich einerseits im Tanz. Der Prinz und seine Freunde drücken sich in einer moderneren Ballettsprache aus, choreografiert von John Neumeier. Die Prinzessin und der ganze Hof hingegen zeigen die Tanzsprache Petipas, eines der bekanntesten Ballett-Choreografen. Dieses „Dornröschen“ zeigt aber nicht nur, wie sich Ballett über die Zeit weiterentwickelt hat, sondern zudem, dass Tanz eine universelle Sprache ist, deren verschiedene Ausdrucksformen über die Zeiten hinweg zueinanderfinden können. Das veranschaulichen besonders die zärtlichen Pas de Deux von Prinz und Prinzessin. Es zeigt sich aber auch darin, dass Aurora mal als Prinzessin aus der Zeit des 19. Jahrhunderts erscheint, mal als modernes Mädchen.

Die Motive von Liebe, Sehnsucht und Verlangen strahlt der Tanz von Aurora und Prinz Désiré sehr eindrücklich aus. In jeder Geste des Prinzen und in seinen Regungen kann das Publikum die wachsende Liebe zu der Prinzessin sehen. Diese entwickelt sich erst im Laufe der Zeit von einer munteren, anmutigen Tänzerin zu einer jungen Frau.

Auch die Rose, die alle Geschicke leitet, tanzt schön und ausdruckstark, wenn sie das Böse, den Dorn, in seine Schranken weist. Dieser vermittelt die Bedrohung, die von ihm ausgeht, mit jeder Bewegung. Der Schmerz, den die Berührungen mit dem Dorn verursachen und dessen Bemühungen, den jungen Prinzen festzuhalten, vermitteln Alexandr Trusch und Matias Oberlin ebenfalls tänzerisch geschickt.

Unglaubliche Liebe

Nicht nur die Protagonist:innen sind durch eine die Zeit überwindende Liebe miteinander verbunden. Auch Kostüme und Bühnenbild von Jürgen Rose zeigen eine besondere und äußerst beeindruckende Liebe zum Detail.

Das Schloss des Königspaares mit seinen zwei Stockwerken, der Garten, in dem der Geburtstag gefeiert wird und auch der Wald sind sehr opulent gestaltet, ebenso wie die Ahnengalerie, die unter anderem Portraits von Peter I. Tschaikowsky und Marius Petipa zeigt, die von der sechsjährigen Aurora teilweise mit Kreide verziert werden. Neben dem schönen, herrschaftlichen Schloss sind die Dornenranken bedrohlich. Im Laufe der Zeit haben sich dort ein paar Skelette verfangen.

Aber auch der Wechsel der Jahreszeiten und der Tanz, bei dem die Rose und der Prinz immer tiefer in den Wald eindringen, ist durch die bemalten Kulissen eindrucksvoll gestaltet.

Die Kostüme zeugen ebenfalls von der Geschicklichkeit und der genauen Recherche Jürgen Roses bei ihrer Entwicklung. Das Königspaar, Hofstaat sowie Gärtner:innen tragen aufwändige Gewänder, die der Mode des ausgehenden 19. Jahrhunderts entsprechen. Prinz Désiré hingegen trägt Hemd und Jeans. Dies zeigt einerseits einmal mehr die Zeit, die während des Schlafs der Prinzessin vergangen ist, es sorgt aber auch für unterhaltsame Ressentiments und Vorsicht des Hofes gegenüber dem so seltsam gekleideten Prinzen. Die Kostüme des Dorns und seiner Ranken heben die Gestalten von der düsteren Bühne ab und unterstreichen gleichzeitig ihre Bedrohlichkeit.

Fazit

Mit „Dornröschen“ zeigt das Hamburg Ballett John Neumeier einmal mehr, welche Macht der Tanz haben kann. Es erzählt eine bewegend getanzte Liebesgeschichte, die Vergangenheit und Gegenwart verwebt. Besonders hervorzuhaben ist der berührende und fesselnde Tanz von Ida Praetorius, Alexandr Trusch, Hélène Bouchet, Christopher Evans als Hoftanzmeister Catalabutte und Matias Oberlin.

Auch die opulente Ausstattung des Balletts durch Jürgen Rose und Tschaikowskys Musik, mitreißend gespielt vom Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Markus Lehtinen, tragen zu einem Stück bei, dass das Publikum zu begeistertem (Zwischen-) Applaus hinriss. Mit Sicherheit kann das Ballett mehrfach gesehen werden und es fallen immer noch weitere liebevolle Details ins Auge.

Darsteller:innenEnsemble des Hamburg Ballett John Neumeier
ChoreografieMarius Petipa, John Neumeier
MusikPhilharmonisches Staatsorchester Hamburg, unter der Leitung von Markus Lehtinen
Bühnenbild und KostümeJürgen Rose

Weitere Informationen findet ihr hier.