Von einem Zoo erwartet man normalerweise keine großen Überraschungen oder Geschichten. Eine Ausnahme bildet der Hagenbeck Tierpark: Bereits in frühen Jahren trug er zur Verbreitung rassistischer Stereotype bei.
Der Tierpark Hagenbeck ist kein Zoo, wie jeder andere. Sein Programm ist vielfältig: Mit den „Romantik-Nächten“, bei denen man von klassischer Musik begleitet wird und es zum Schluss ein Feuerwerk gibt, oder den „Dschungel-Nächten“, bei denen sich der Zoo in einen Dschungel verwandelt und es verschiedene Programme wir Tänze und Live-Musik gibt, lassen sich die Organisator*innen immer etwas neues einfallen. Hinzu kommt das 2007 eröffnete Tropen-Aquarium, direkt nebenan. Der Park befindet sich seit fast 200 Jahren in Familienbesitz und ist der einzige Zoo Deutschlands, der ohne staatliche Beihilfe auskommt. Als Hamburger*in besucht man diesen Tierpark mehr als einmal und jedes Mal findet man etwas Neues, schließlich umfasst der Park um die 25 Hektar und bietet neben vielen Freigehegen ebenso eine Vielfalt von Pflanzen aus aller Welt an, die man bestaunen kann. Doch der Tierpark hat eine Vergangenheit, von der nicht alle wissen und dessen Einfluss so groß war, dass man die Spuren bis heute spüren kann. Der zweite Besitzer des Zoos, Carl Hagenbeck, hat nicht nur Panoramen und das Freigehege erfunden, sondern gab den Startschuss für die „Blütezeit“ der Menschenzoos, indem er im Jahre 1874 der Welt seine erste Völkerschau präsentierte.
Wenn alles mit ein paar Seehunden beginnt…
Laut dem Wörterbuch bezeichnet der Begriff Völkerschau oder auch Menschenzoo, eine Zuschaustellung von Personen aus fremden Ländern gegen Geld. Beliebt war dies vor allem zwischen 1870 und 1940 und viele der Mitgenommenen aus Übersee überlebten die Überfahrt nicht. Die Ursprünge des Tierparks lagen aber ganz woanders: Gottfried Hagenbeck kaufte 1848 einem Fischer sechs Seehunde ab und präsentierte sie auf dem Spielbudenplatz in Hamburg – St. Pauli. Mit den Seehunden hatte Gottfried Hagenbeck überaus Erfolg und zog mit seinen Tieren mehrere Hamburger*innen an, was der Beginn der Tierausstellung bedeutete.
1866 übernahm Gottfrieds ältester Sohn Carl Hagenbeck den Tierpark, welchen er mit gerade einmal 21 Jahren noch weiter ausbaute und somit zum größten Tierpark der Welt machte. Carl Hagenbeck war der geborene Geschäftsmann und schickte anfänglich vier bis fünf Expeditionen im Jahr nach Afrika zum Fangen von Tieren, später dann in die ganze Welt.
1874 gelang Carl Hagenbeck mit seiner ersten Völkerschau der Durchbruch. Lappländer waren Teil seiner ersten Völkerschau. Mit seiner neuen Idee hatte er großen Erfolg und zog mit seiner Lappländer-Schau weiter nach Berlin und anschließend nach Leipzig. Nach seinem ersten Erfolg, erweiterte Hagenbeck seine Idee und verschleppte mithilfe seiner Tierfänger neben Tieren auch vermehrt Menschen mit. 1876 brachte er drei „Nubier“ nach Europa, die als Araber*innen dargestellt wurden, obwohl sie aus Ägypten kamen. Ebenso präsentierte er eine Eskimofamilie aus Grönland und um 1900 dann auch Afrikaner*innen und Indianer*innen. Man achtete stark darauf, möglichst Kinder und Erwachsene beider Geschlechter und verschiedenen Alters vorzuführen, damit die Besucher*innen mehr über das „Familienleben“ der Völker erfahren konnten. Schon die Ankunft der Völker sorgte für Aufsehen. Besonders Ereignisse wie Geburten, Hochzeiten oder Bestattungen waren beliebt und wurden vom Tierpark beworben.Obwohl Hagenbeck solchen Erfolg hatte, fiel die Entlohnung der Darsteller*innen gering aus, die unter anderen Versprechungen angeworben wurden. Teilweise wurden die Menschen gegen ihren Willen entführt. Ebenso war auch die medizinische Versorgung mangelhaft, so starb die Eskimogruppe an Pocken, weil man vergessen hatte sie zu impfen.Carl Hagenbeck baute Zoo-Lebenswelten auf, die meist wenig bis gar nichts mit der Realität zu tun hatten. So mussten beispielsweise Feuerländer*Innen (Menschen aus Südamerika die als Kannibalen dargestellt wurden) rohes Fleisch essen, kämpfen und Kriegstänze vorführen. Die Besucher*innen waren an wilden, unzivilisierten Menschen in ihrer natürlichen Umgebung interessiert und Hagenbeck inszenierte genau dies. Besonders stark stieg der Umsatz, wenn es entblößte Frauen, Schwangere oder Menschen mit körperlichen Fehlbildungen zu sehen gab.
Die Bildung dieser Stereotype, die an den vorhandenen Rassismus und Klischees über andere Völker anknüpften, war ein wesentlicher Punkt zur erfolgreichen Vermarktung der Völkerschauen. Sie bestärkten das Wissen, das bereits durch Reiseberichte verbreitet worden war. Völkerschauen spielten dadurch eine wichtige Rolle, da sie die falschen Vorstellungen der breiten Masse festigten, wodurch die Klischees zum Teil des europäischen kulturellen Erbes wurden. Dazu trug vor allem die Verbreitung von Plakaten, Postkarten und Berichten in der Presse bei.
Sieben Stereotypen
Anna Dreesbach, eine deutsche Autorin, zeigt in ihrem Buch „Gezähmte Wilde: Die Zurschaustellung „exotischer“ Menschen in Deutschland 1870–1940“,
anhand einer Analyse der Plakate für Völkerschauen, dass sich sieben Völkergruppen bilden lassen, die Stereotypen widerspiegeln. Es lassen sich auf diesen Plakaten die Darstellung von „Urmenschen“, „Afrikaner“, „Araber“, „Menschen aus dem hohen Norden“, „Inder“, „Indianer“ und „Südseeinsulaner“ wiederfinden.
Als Urmenschen wurden Aborigines bezeichnet, also die indigene Bevölkerung Australiens. Sie wurden als Kannibalen dargestellt, die keine richtige Sprache sprechen und geistig behindert waren. Ebenso waren ihre Körper verunstaltet und sie führten trotz ihrer Beschränktheit Tänze auf.
Afrikaner*innen galten als wilde und stolze Kämpfer, die sich ihren Lebensraum nicht nur mit den wilden Tieren teilten, sondern sogar mit ihnen verglichen wurden. Auf den Plakaten sah man nie eine*n Afrikaner*in arbeiten, auch keine Felder, sondern lediglich Dschungellandschaften wurden darauf abgebildet.
Araber*innen zeichneten sich durch Basare, Moscheen, Bauchtänze und Schlangenbeschwörung aus. sie wurden als Krieger und Kämpfer dargestellt.

Das Leben der Südseeinsulaner*innen basierte auf den Gedanken, sie kämen aus einem Paradies, in dem es allen gut gehe und alle glücklich seien. Es gibt keine Kriege und keine Probleme. Frauen wurden halbnackt dargestellt und zu kaum mehr als feiern, spielen und sich vergnügen befähigt.
Indianer*innen zeichneten sich durch ihre Kriege und ihr Leben von der Büffeljagd aus. Besonders wurde das Rauchen der Friedenspfeife, das Abhalten von Kriegsräten, Kriegstänzen und das wilde Jagen plakatiert.
Den verschiedenen Gruppen der „Menschen aus dem hohen Norden“ wurde unterstellt, sie müssten der Natur ihr Leben widmen. Sie lebten isoliert und ohne Kriege in einem komplexen Sozialsystem, in dem jeder seine Aufgabe erfüllen muss.
Auch wenn „Inder*innen und Singhalesen*innen“ den Europäern kulturell am nächsten standen und als Mitglieder einer hohen Kultur abgebildet wurden, war es das Land der Magier, Gaukler, Tempeldienerinnen und Schlangenbeschwörern.

In den 1930er Jahren nahm die Zahl von Menschenschauen weltweit ab, was sich anhand drei wesentlicher Umstände zeigt. Erstens schwand das Publikumsinteresse. Zweitens passte das Bild der Barbaren in den Kolonien nicht in das Bild der Zivilisierungsmission durch die Kolonialmächte. Drittens etablierte sich, das Kino als direkte Konkurrenz zu den Menschenzoos. Ebenso gab es einen wissenschaftlichen Wechsel zur Feldforschung, bei der das Verhalten anderer Bevölkerungsgruppen in ihrer Umwelt untersucht wurde. Nach Ende des zweiten Weltkrieges gab es einen zweiten Versuch, die Völkerschauen wiederzubeleben. Allerdings scheiterte das Vorhaben.
Einfluss bis heute
Die Völkerschauen gingen von einer Überlegenheit des weißen Mannes aus und genau dieses Überlegenheitsgefühl war Teil ihres Erfolgs. Kolonialismus, Imperialismus und das Gefühl, anderen Völker nur aufgrund der Herkunft überlegen zu sein, machte den Hintergrund der Völkerschauen aus. Kulturen wurden vereinnahmt und Menschen ausschließlich zum Vergnügen der Zuschauer ausgestellt. Die Darsteller*innen selbst bezeichnete Hagenbeck nicht umsonst als „Menschenmaterial“.
Carl Hagenbeck und seine Menschenzoos haben zur Erschaffung und Festigung rassistischer Haltungen beigetragen. Die Völkerschauen sind ein starkes Beispiel für die rassistische Praxis zu Zeiten des deutschen Kaiserreichs.
Bei der Nachfrage, wie Hagenbecks Tierpark mit der eigenen Vergangenheit umgeht, antwortete das Presseteam des Zoos: „Gemeinsam mit wissenschaftlichen Institutionen, wie dem Museumsreferat der Kulturbehörde oder der Museumsleitung des MARKK sind wir derzeit mit der Aufarbeitung des kolonialen Erbes Hamburgs und der Tierparkvergangenheit beschäftigt“. Der Tierpark arbeite daran einen verantwortungsbewussten Umgang zu vermitteln. Es solle die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dem Thema zeigen, um kommenden Generationen offenzulegen, woher die tief verankerten Rassismusstrukturen unter anderem verwurzelt sind.