gelesen: Dammbruch

Eigentlich sollte dieser letzte Coup ein leichter sein. Aber die Natur darf man nie unterschätzen. Foto: Svenja Tschirner

Ein letzter Coup noch, dann kommt der Ruhestand. So lautet der Plan von Lucius „Lou“ Rinke, als er sich im Februar 1962 auf diesen Einbruch vorbereitet. Doch es kommt anders als geplant: Der Schatz ist nicht der, der er sein sollte, der Komplize jung und unerfahren und dann macht das Wetter den Fluchtplänen einen Strich durch die Rechnung.

Ein heftiger Wind bläst, es ist kalt, regnerisch und ungemütlich an diesem 16. Februar 1962. So kennt man den Winter in der Hansestadt, das ist nicht besonders ungewöhnlich. Und so bereiten der 27-jährige Lou und Piet, sein etwa 18-jähriger Komplize, ihren Raub vor. Dabei werden sie von einigen zwielichtigen Gestalten der Hamburger Unterwelt unterstützt und mit Ausrüstung versorgt.

Piet und Lou sind nicht die einzigen, die sich diesen wenig angenehmen Tag ausgesucht haben, um sich das Gold anderer unter den Nagel zu reißen. Die junge Betty ist ebenfalls in Hamburg, genauer gesagt in Wilhelmsburg, unterwegs und bereitet sich vor – allerdings nicht nur auf Raub, sondern auch auf ihren nächsten Mord. Betty floh im zweiten Weltkrieg aus den ehemals zu Deutschland gehörenden Teilen des Ostens und erlitt dabei schwere psychische Schäden. Sie lebt nach der Maxime „töten oder getötet werden“ und ermordet einen ehemaligen Nazi nach dem anderen. Ihre Opfer findet sie, indem sie sich über Zeitungsannoncen als Haushälterin bewirbt, um für die alten Männer zu arbeiten, bis sie weiß, wo diese ihr Erspartes aufbewahren.

Das ruft wiederum Polizeiobermeister Adrian Mattei und seinen Kollegen Polizeimeister Danner auf den Plan, die auf einer Patrouillenfahrt durch Wilhelmsburg nach Betty Ausschau halten.

Buntes Treiben in der Sturmflutnacht

Trotz der Vielzahl an auftretenden Charakteren schafft der Autor Robert Brack es, viele von ihnen vorzustellen. Das Bild, dass dabei im Kopf der Leser*innen entsteht ist zwar unscharf, aber dennoch ist es bei einigen Figuren schade, dass sie nur eine kurzen Gastauftritt haben.

Dennoch sind die Charaktere größtenteils eher flach gehalten, was aber auch an ihrer jeweils knappen Beschreibung liegen kann. Die Atmosphäre der Sturmflutnacht und die des Hamburgs der 1960er Jahre beschreibt Robert Brack dagegen anschaulich. Im Dezember 2020 stand „Dammbruch“ auf Platz drei der Krimibestenliste, einer Kooperation der Frankfurter Allgemeinen mit Deutschlandfunk Kultur. Vielleicht ist diese atmosphärische Beschreibung, neben der Idee, die Handlungen des Buches in die Sturmflutnacht des 16. Februar 1962 zu legen, einer der Gründe dafür.

Die Macht des Schicksals

In einer Kneipe in Wilhelmsburg treffen zunächst Lou und Betty aufeinander und es funkt zwischen den beiden. Er verschwindet dann aber mit Piet, um wie geplant das Gold zu stehlen. Vor der Tür des Gasthauses treffen dann die beiden Polizisten auf Betty und einen jungen Mann, den sie zuvor verwundet hatte. Betty gelingt die Flucht, indem sie auch Polizeimeister Danner verletzt. Auf dem Weg zum Krankenhaus lässt das immer heftiger werdende Sturmtief seine Muskeln spielen und die Deiche in Wilhelmsburg brechen.

Damit ist nichts mehr, wie es war. Die Wassermassen der aufgepeitschten Elbe begraben Kleingartensiedlungen, Tiere, Straßen und Menschen unter sich. Die Flut führt schließlich die drei Verbrecher*innen zusammen und spült ihnen schließlich Polizeiobermeister Mattei vor die Füße. Beim Versuch, ihn zu retten, ertrinkt Piet. Erist nicht das erste Opfer – und wird nicht das Letzte bleiben. Denn das Töten geht weiter, auch nachdem sich die Naturgewalten wieder beruhigt haben.

Fazit

Nachdem mit der Zeit klar geworden ist, wer welche Rolle in der Handlung spielt, gewinnt die Geschichte an Fahrt. Die verschiedenen menschlichen Tragödien, die besonders die zwei Hauptcharaktere mit sich herumtragen, werden zwar hin und wieder angerissen, aber dennoch einigermaßen deutlich. Mit Robert Bracks Beschreibungen von Stadt, Leuten und Sturmflut kann sich der/die Leser*in die Ereignisse dieser Februarnacht recht gut vor Augen führen.

Dennoch ist es schade, dass viele der eingeführten Charaktere flach wirken und schnell wieder verschwinden. „Dammbruch“ macht jedoch zwei Dinge sehr deutlich: Erstens, die Macht der Natur sollte auf keinen Fall unterschätzt werden. Und zweitens, die Spuren der Nationalsozialisten lasten auch fast 20 Jahre nach der Kapitulation noch schwer auf den Bürger*innen der Bundesrepublik.

AutorRobert Brack
VerlagEllert & Richter Verlag
Preis12,00 Euro
Seitenzahl240 Seiten