gefragt: «Mit dem Wasser leben»

Die Nordsee- auch hier wird es mehr und mehr Sturmfluten geben (Foto: Svenja Tschirner)

Die Küsten könnten zunehmend bröckeln, denn Sturmfluten werden wahrscheinlicher. Was in den nächsten Jahrzehnten auf Küstenbewohner zukommt? Diese Fragen habe ich Athanasios Vafeidis und Jana Koerth gestellt.

Kopfzeile: Es gibt bereits viele verschiedene Schutzmaßnahmen an den Küsten, zum Beispiel Deiche. Welche Schutzmaßnahmen gibt es noch?

Vafeidis: Es gibt viele Wege, das Land zu schützen. Im Allgemeinen gibt es für die Küstenanpassungen drei Hauptkategorien. Die Deiche an der Nordsee gehören zum sogenannten „harten Schutz“. Dann gibt es Akkommodation, was sozusagen sanftere Möglichkeiten beinhaltet. Dabei erlaubt man Überschwemmungen, aber man stellt sich auf die Auswirkungen ein, etwa mit Frühwarnsystemen. Oder man schließt Versicherungen ab. Dann erleidet man zwar Schäden, aber verringert sie. Man kann auch das Haus erhöhen und auf Säulen bauen, sodass die Gegend zwar überflutet wird, das Haus davon aber nicht betroffen ist.

Es gibt auch einfachere Möglichkeiten. Beispielsweise, die Elektrogeräte nicht im Erdgeschoss zu lassen, wenn die Gefahr einer Flut besteht. Diese Maßnahme gehört zur Akkommodation. Ins Binnenland kann man sich natürlich auch zurückziehen.  In den vergangenen Jahren gab es viele Diskussionen über Hybrid-Maßnahmen der Anpassung. Dabei nutzt man im Wesentlichen Kombinationen aus, sagen wir mal Feuchtgebieten, wie Salzmarschen und Deichen.

Kopfzeile: Sind diese Kategorien ausreichend, um die Küsten und uns vor dem steigenden Meeresspiegel und mehr und mehr Sturmfluten zu schützen oder sollte noch etwas zusätzlich getan werden?

Vafeidis: Um die Frage kurz zu beantworten: Ja, sie sind ausreichend. Genauer betrachtet fällt aber auf, dass die Kategorien nie oder fast nie genug sind. Wenn man beispielsweise Deiche hat, dann muss man das Land dahinter meist entwässern. Denn der Wasserstand hinter dem Deich tendiert dazu, zu steigen. Es geht nicht um die Idee, Deiche mit privaten Anpassungsmaßnahmen zu kombinieren, sondern darum, auf die schlimmsten Fälle vorbereitet zu sein. Aber in Gegenden wie Deutschland haben wir natürlich auch Frühwarnsysteme. Man weiß immer, wann ein großer Sturm kommt und dann gibt es Wege, zu entscheiden, wie man die schlimmsten Auswirkungen vermeiden kann. Wenn man sich beispielsweise die Nordseeküste anschaut, ist sie gut geschützt mit hohen Standards. Aber es kann immer mehr getan werden.

Athanasios Vafeidis ist seit 2011 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Professor für Küstensysteme und Küstengefahren. Zudem leitet er die Forschungsgruppe Coastal Risks and Sea-Level Rise am Geographischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Foto: privat

Kopfzeile: Was denn zum Beispiel?

Vafeidis: Das ist zeitweise eine sehr schwierige Diskussion. Die Anwohner fühlen sich hinter den Deichen sicher und haben sich an diesen Status quo gewöhnt. Daher sind sie nicht immer für Veränderungen offen, etwa wenn es darum geht, die Deiche mit der Entwicklung von Feuchtgebieten zu kombinieren. Unglücklicherweise ist diese Entwicklung von Feuchtgebieten in vielen Fällen beispielsweise mit der Aufgabe von Land verbunden.

Am einfachsten wäre es, die Leute zu informieren und sie darin zu unterstützen, private Maßnahmen zu ergreifen, auch im häuslichen Bereich, um zum Küstenschutz beizutragen. So könnte beispielsweise schon der Schaden, der durch moderate Überflutung entsteht, reduziert werden. Aber wenn man den derzeitig immer weiter steigenden Meeresspiegel berücksichtigt, werden wir uns irgendwann in einer Situation befinden, in der wir regelmäßig und immer mehr in den Küstenschutz investieren müssen, wenn wir die Deiche behalten. Ab einem gewissen Punkt werden die Entscheidungen dazu schwerer werden.

Koerth: Es gibt bereits eine bauliche Maßnahme, den sogenannten Sicherheitszuschlag, den das Land heute schon auf alle Landesschutzdeiche draufschlägt, um auf die voraussichtlichen Folgen dieses Meeresspiegelanstiegs im Voraus zu reagieren. Das bedeutet, dass auf jeden Deich heute schon 50 Zentimeter draufgebaut werden.

Vafeidis: Der steigende Meeresspiegel wird bei der Pflege und beim Bau der Deich schon berücksichtigt. Die Frage ist, ob es auf lange Sicht ausreicht. Wir reden nicht über die nächsten 20 oder 30 Jahre. Basierend auf den Informationen, die wir jetzt haben, werden die Meeresspiegel über einen längeren Zeitraum ansteigen, mehr als ein Jahrhundert zum Beispiel. Lösungen, die konstanten Schutz bieten, werden irgendwann die Kosten und den Bedarf an Land erhöhen, denn Deiche brauchen Platz. Also könnten wir mit Lösungen enden, die auf lange Sicht nicht nachhaltig sind.

Kopfzeile: Gäbe es denn nachhaltige Lösungen?

Vafeidis: Das ist eine schwierige Frage, die stark davon abhängt, was die Leute für ihre Region für nachhaltig halten. Für manche Regionen ist die Idee von Nachhaltigkeit der Erhalt der Landwirtschaft. Ich denke, letztendlich und auf lange Sicht sieht es so aus, als müssten wir Land aufgeben. Zumindest wäre das effizient. In diese Richtung denken auch die Niederländer, aber hierzulande hört man das ungern.

Jana Koerth ist Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Coastal Risks and Sea-Level Rise am Geographischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie promovierte im Forschungsbereich sozialwissenschaftliche Klimaforschung.

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Um niemanden zu erschrecken: Wenn ich davon spreche Land abzugeben, dann meine ich Dekaden bis dahin. Ich rede nicht von den nächsten 30 oder 40 Jahren. Am Ende des Jahrhunderts werden wir möglicherweise einige bessere, wichtige wissenschaftliche Durchbrüche brauchen. Dann werden wir vermutlich beginnen müssen, uns ein wenig von der Küste zurück zu ziehen.

Kopfzeile: Was sind die Konsequenzen der steigenden Meeresspiegel für die Küsten allgemein?

Vafeidis: Der steigende Meeresspiegel kann viele Auswirkungen haben. Aber es gibt mehrere Haupteffekte. Dazu zählen Überschwemmungen, die in ihrer Intensität und in Häufigkeit zunehmen werden. Wir werden also öfter überflutet werden. Im Wesentlichen könnten wir das, was wir alle 100 Jahre erlebt haben, jetzt alle zehn Jahre erleben.

Die zweite Konsequenz ist mehr Erosion an den Küsten, die wir jetzt zum Beispiel bei Stränden beobachten können. Schon jetzt verlieren wir Sand schneller als früher. Global gesehen ist es wahrscheinlich, dass wir Feuchtgebiete verlieren werden. Salzmarschen, Mangroven, die nicht in der Lage sind, auf einen schnellen Anstieg des Meeresspiegels zu reagieren. Manche Gebiete werden dauerhaft überflutet werden.

Das ist aber alles ein bisschen schwer zu erklären, weil das Meer nicht steigt wie Wasser in einer Badewanne. Wir werden mehr und mehr Fluten in manchen Teilen der Welt erleben, Menschen werden ihre Heimat verlassen müssen und irgendwann werden manche Orte dauerhaft überflutet sein.

Da sind die Haupteffekte, die wir erwarten. Es gibt aber noch weitere. Wenn es zu mehr Überschwemmungen in landwirtschaftlichen Gebieten kommt, wird es Organisationsprobleme geben. Problematisch wird es auch, wenn Salzwasser ins Grundwasser eindringt.

Zwar gibt es Wege, sich an viele dieser Probleme anzupassen, aber das hängt natürlich von der Anpassungsfähigkeit der Flächen ab, von technischem Wissen, finanziellen und auch technischen Kapazitäten.

Als optimistische Botschaft würde ich sagen, dass wir die technischen Kapazitäten haben, um uns an hohe Meeresspiegel anzupassen. Das hat sich bereits weltweit gezeigt. Aber mancherorts sind diese technischen Lösungen nicht genug und an anderen Orten haben wir nicht die Möglichkeit, in solche Maßnahmen zu investieren. Man kann nicht überall Deiche bauen und das ergäbe auch keinen Sinn. Deswegen brauchen wir andere Lösungen oder wir müssen anfangen, uns von der Küste zurückzuziehen.

Der Anstieg der Meeresspiegel ist ein Langzeitproblem, das gekommen ist, um zu bleiben. Selbst wenn der Klimawandel oder Schadstoff-Emissionen heute aufhören würden, werden die Meeresspiegel für mehrere Jahrhunderte weiter steigen. Das ist etwas, was nicht aufhört. Es ist ein langsamer Prozess, da der Ozean sich Zeit nimmt zum Aufheizen und Ausdehnen. In Zukunft müssen wir dieser Situation sicher begegnen. Die Idee ist jetzt, flexibel in der Adaption zu sein, nicht das Wasser vor der Küste auszusperren, sondern Wege zu finden, mit dem Wasser zu leben.

Kopfzeile: Was wünschen Sie sich von den Menschen, zum Schutz der Küsten?

Vafeidis: Ich wünsche mir, dass die Leute so gut wie möglich informiert und möglichen Lösungen gegenüber aufgeschlossen sind. Das ist schwierig für alle, mich eingeschlossen. Die Menschen müssen sich insgesamt auf Veränderungen einstellen. Ich meine keine Veränderung in schlechter, sondern in guter Weise. Wir sollten vielleicht darauf vorbereitet sein, einen anderen Pfad einzuschlagen.

Koerth: Die Küste ist die Übergangslinie zwischen Land und Meer. Da treffen zwei Systeme aufeinander, die wir in großen Teilen gut kennen und die wir organisieren. Wir, oder die Gesellschaft, müssten die Küste noch mehr als dynamischen Naturraum sehen. Die Küste verändert sich ständig und in der Vergangenheit haben wir dazu tendiert, diese Dynamik einzugrenzen, auch hier in Deutschland. Das geht in die gleiche Richtung. So etwas wie Akkommodation, Selbstanpassung des Systems, ist eine gute Ergänzung zu den bereits bestehenden Schutzmaßnahmen.

Anmerkung: Das Interview wurde aus dem Englischen übersetzt