«Ich habe den Drang, alles zu kennen»

Jonas möchte alle Filme kennen, die es gibt. Seine Freunde sollen aber nicht wissen, wie viel Zeit er wirklich mit Filmegucken verbringt (Foto: Igor Ovsyannykov)

Jede Woche geht Jonas zur Sneak Preview ins Kino, manchmal fährt er dafür sogar in andere Städte. Er möchte alles gesehen haben und das am besten als erster. Die Geschichte einer geheimen Leidenschaft.

Montag, 20:30 Uhr: Die letzten Lichter des Kinosaals im Cinemaxx Hannover gehen aus, der Vorhang wird aufgezogen. Das Logo der Produktionsfirma erscheint auf der Leinwand. Ein Raunen geht durch die Menge. Jonas (Name von der Redaktion geändert) sitzt entspannt auf seinem Logenplatz. In der Halterung für sein Getränk steht eine kleine Cola Light. Heute ist er alleine hier. Das macht ihm aber nichts aus, schließlich ist er wegen dem Film und der Spannung da.

Oft wird ein richtiges Event draus gemacht“

Jonas

Manchmal geht er in die Sneak Preview im Cinemaxx, manchmal auch ins Astor. Je nachdem, worauf er gerade mehr Lust hat. Entweder die Originalversion auf Englisch im Astor oder die Sneak auf Deutsch im Cinemaxx. Seit er 17 Jahre alt ist, besucht er die Vorstellung regelmäßig in verschiedenen Kinos. „Ich war auch schon in anderen Städten, das ist überall total unterschiedlich. Oft wird ein richtiges Event daraus gemacht. Mit Gewinnspielen, Unterhaltung und allem Drum und Dran. Manche Kinos zeigen aber auch einfach nur den Film, ohne großes Spektakel. Ich finde beides gut.“ Heute hat er bei der Verlosung vor dem Film wieder zwei Fragen beantwortet. Gewinne gibt es dabei immer, diesmal hat Jonas ein T-Shirt ergattert. Oft werden auch Kinogutscheine verlost.

Für mehr Abwechslung fährt Jonas auch mal bis nach Hamburg oder Bremen. Mit dem Semesterticket kann er dort umsonst hinfahren. „Manchmal kommen Freunde mit, aber es verstehen nicht viele, warum sie wegen einer Sneak Preview in eine andere Stadt fahren sollten. Für mich ist es ein riesiges Event: Andere gehen ins Theater und leben dort ihren Drang nach Kultur aus, ich sehe die wöchentliche Sneak als mein Lieblingskulturevent.“ In andere Städte fahre er meistens alleine oder komme für eine Nacht bei Freunden unter, die dort wohnen.

Bei der Sneak Preview, die viele Kinos einmal in der Woche entweder in der Originalversion oder auf Deutsch anbieten, werden Filme gezeigt, die erst einige Wochen später offiziell in den Kinosälen gezeigt werden. Ihren Anfang nahmen die Sneak Previews bereits im frühen 20. Jahrhundert. Mit den Vorpremieren wollte man den Film auf seinen Erfolg testen.

„Ich will nicht, dass mich jemand dafür verurteilt”

Jonas

Jonas betitelt sich selbst als „Sneaker“ oder „Cineast“. Seine Leidenschaft für Filme zeichnet sich nicht nur durch die wöchentlichen Besuche der Sneak Previews aus. „Immer, wenn die Zeit da ist, beschäftige ich mich mit Filmen oder Serien. Die Serien kamen erst vor wenigen Jahren dazu. Klar habe ich davor auch schon ab und zu welche gesehen, aber durch Netflix und Co. habe ich auch hier ein bisschen Fanatismus entwickelt.“

Früher habe Jonas seine Leidenschaft zu Filmen verheimlicht, weil seine Freunde ihn zu Schulzeiten oft damit aufgezogen haben, wenn sie mitbekommen haben, dass er wieder einmal lieber den ganzen Tag Filme geschaut hat, anstatt etwas mit ihnen zu unternehmen. „Ich wollte nicht, dass mich jemand dafür verurteilt und will es auch jetzt nicht.“ Heute wissen seine Freunde, dass er sich in dieser Richtung gut auskennt und, dass er oft zur Sneak geht. Doch das echte Ausmaß seiner Leidenschaft kennt niemand. „Wenn ich von der Uni nach Hause komme, schaue ich entweder direkt meine neue Serie, oder mache einen mir noch nicht bekannten Film an. Ich habe den Drang, alles zu kennen. Das klingt vielleicht krank, aber ich will irgendwann so weit sein, dass es kaum mehr Filme oder Serien gibt, die ich noch nicht kenne.“ Um seinen anderen Leidenschaften nachzugehen, hat er extra ein Studium gewählt, das nicht mit seinem Fanatismus zu tun hat: Sport und Deutsch auf Lehramt. „Ich habe extra nichts in Richtung Film studiert, weil ich sonst alles andere vernachlässigen würde. Durch mein Studium bin ich gezwungen, auch noch anderen Dingen nachzugehen, die mir Spaß machen.“

Zu jedem Film eine eigene Dokumentation

Trotzdem verbringt Jonas den Großteil seiner Freizeit mit Filmen und der Dokumentation seiner bisher gesehenen Filme. In seinem Zimmer lässt, abgesehen von ein paar Filmpostern an den Wänden, nichts auf seine Leidenschaft schließen. „Ich will vor meinen Freunden den Eindruck wahren, dass ich nur gerne Filme schaue, aber sonst normal bin. Niemand weiß, wie ich da wirklich bin. Und das soll auch so bleiben. Ich habe unter meinem Bett und im Keller viele Ordner, in denen ich meine Erfahrungen dokumentiere.“

Die Ordner enthalten Informationen über die bisher gesehenen Filme und Serien und persönliche Notizen dazu. Teilweise analysiert Jonas die Inhalte oder den Aufbau und überlegt sich Verbesserungen oder Erweiterungen. „Ich würde auch gerne, wenn es die Zeit hergibt, ein eigenes Drehbuch für einen Film schreiben. Das wäre mein Traum: Mein Hobby zum Beruf zu machen und mich nicht mehr vor meinen Freunden verstecken zu müssen.“