Der Wert von Pfand

Auch wenn sie nur neun Cent wert sind: Vielen Menschen in Deutschland helfen Pfandflaschen in finanzieller Not

Die Schere zwischen Arm und Reich weitet sich. Das spüren auch die Studierenden der Universität Bremen. Während ihnen der Campus als Ausbildungsplatz dient, ist er für Menschen aus prekären Verhältnissen eine Geldquelle.

Geschäftig tummeln sich zahlreiche Studierende auf dem Boulevard der Universität Bremen, vertieft in Gespräche über die letzte Vorlesung oder das nächste Seminar. In der Cafeteria und der Bibliothek eignen sie sich vor ihren Apple-Notebooks, Büchern und Mitschriften Wissen für die anstehenden Klausuren an. Das ist sie, die Zukunft Deutschlands, junge Menschen, die auf ihre Berufe als Jurist*innen, BWLer, Lehrer*innen, Forscher*innen oder Journalist*innen vorbereitet werden und das Land wirtschaftlich voranbringen sollen.

Doch das Bild wird getrübt: Ältere Männer und Frauen mit Plastiktüten huschen verstohlen über den Campus, werfen kurze Blicke in Mülltonnen und lesen im Gehen die ein oder andere Flasche auf, um sie in die Tüten zu stopfen. Flaschen, die die Studierenden an jeder Ecke stehen lassen.

Nebenverdienst oder täglich Brot?

André ist einer von ihnen. Nach einem Unfall kann er nur noch Teilzeit in einer Spedition arbeiten, daher ist er nachmittags meist an der Uni anzutreffen, wo er mit dem Flaschensammeln sein Einkommen aufstockt. Als wir uns zum Gespräch setzen, verschwindet die Mate-Flasche, die einsam auf der Bank steht, sofort in seinem Jutebeutel.

Das Flaschensammeln ist für ihn ein „netter Nebenverdienst, um sich die ein oder andere Sache nochmal extra zu erlauben,“ erklärt André. Seit sechs Jahren sammelt er schon. An der Universität lohne es sich besonders, denn hier gibt es hier kein Servicepersonal, das die Flaschensammler verscheucht. An Bahnhöfen hingegen, ist die Akzeptanz gering und nicht selten kommt es vor, dass der ein oder andere Sammler Hausverbot bekommt.

„Es gibt hier und da zwar immer mal wieder ein paar Leute, die ein bisschen blöd gucken.“ Insgesamt würden die Flaschensammler*innen aber akzeptiert. André glaubt, dass das vor allem an den jungen Menschen auf dem Campus liegt. Nur einmal wurde es ein wenig unangenehm: „Als ich einmal in der Cafeteria meine Flaschen abgeben wollte, hat sich die Dame an der Kasse geweigert, mir das Geld auszuzahlen“, erinnert er sich. Der Grund: Die Flaschen hatte André zuvor aus den Mülleimern herausgeholt.

Bierkästen sind ein Glücksgriff

Als Student*in hat man bekanntlich nicht viel Geld und deshalb überrascht es umso mehr, dass die Universität, neben öffentlichen Plätzen in der Innenstadt, zu einem rentablen Ort für Flaschensammler*innen geworden ist. Sind es Bequemlichkeit oder gar Faulheit, die die Studierenden dazu veranlasst, Pfandflaschen einfach auf den Tischen stehen zu lassen? André sieht es als nette Geste. So bleibt ihm die unangenehme Aufgabe erspart, in Mülleimern zu greifen. Manchmal bekommt er sogar eine Flasche geschenkt, erzählt er mit einem Lächeln.

Sammelt man einen Nachmittag Flaschen an der Universität, kommt man nach fünf bis sechs Stunden auf eine Summe von sieben bis zehn Euro, sagt André. An besonderen Tagen, an denen Veranstaltungen wie die Jobmesse stattfinden, ist es manchmal sogar mehr. Bier- oder Wasserkästen sind an solchen Tagen ein besonderer Glücksgriff.

Um die Flaschensammler*innen zu unterstützen, hat ein Berliner Student ein Semesterprojekt mit dem Namen Pfandgeben.de gestartet. Mittlerweile ist daraus eine deutschlandweite Website geworden. Über die Website können Spender*innen Adressen hinterlassen, an denen sie ihre Pfandflaschen sammeln. Diese sind den Flaschensammler*innen zugänglich, um das Pfand dort abzuholen.

Letztendlich ist und bleibt es die Entscheidung eines jeden Einzelnen, ob er sich die Mühe macht, seine Flasche in den Automaten zu schieben oder sie doch lieber auf dem Tisch stehen lässt, findet André. Als Flaschensammler freue er sich aber immer über „ein schönes Zubrot“. Ob er jemals ohne die Flaschen leben wird, weiß André nicht. „Solange es sich lohnt und solange ich nicht genug Geld habe, um auf den Nebenverdienst verzichten zu können, geht das Sammeln weiter.“

Anmerkung: Der Artikel erschien in einer abgewandelten Form bereits im Bremer Unimagazin Schein Werfer.