Der Tod im Wandel

Im Wald, auf hoher See oder doch traditionell auf einem Friedhof? Die Auswahl zur Bestattung ist groß (Foto: Mali Maeder/ Pexels)

Seit den 1990er Jahren gewinnt die Feuerbestattung an Bedeutung – und damit auch alternative Formen der Beisetzung, wie Wald- und Seebestattung. Doch trotz neuer Angebote bleibt Deutschland im europäischen Vergleich wenig progressiv. Verbraucherverein und Friedhofsträger werfen sich gegenseitig kommerzielle Interessen vor.

Ein Spaziergang durch einen Wald, in dem auf den Bäumen an Verstorbene erinnert wird – das klingt für viele skurril. Doch für Sven Buchmayer (32) ist das die Realität. 2016 hat er seinen Ehemann, der plötzlich verstorben ist, in einem Bestattungswald beigesetzt. Seitdem besucht er den Wald regelmäßig. Eine klassische Bestattung auf dem Friedhof kam für das Paar nie in Frage: „Das ist mir zu antiquiert, also das ist eine uralte Bestattungsform“.

Buchmayer ist nicht alleine mit seiner Meinung. Laut Zahlen des Verbraucherverbandes für Bestattungskultur „Aeternitas“ werden rund 5% der Verstorbenen in Deutschlang in solchen Wäldern beigesetzt. „Das Interesse ist ungebrochen hoch“, sagt Sarah Tabola, Pressesprecherin des Waldbestattungsanbieters „Friedwald“.

Solche Alternativen zur klassischen Sargbestattung auf einem Friedhof nehmen seit Anfang der 1990er Jahre stetig zu. Kulturwissenschaftler Norbert Fischer erkennt einen gesellschaftlichen Wandel: „Es werden heutzutage alle Facetten von Tod und Bestattungsformen diskutiert – der Tod ist in die Öffentlichkeit gekommen.“ Als Ergebnis werden Friedhöfe neu gedacht. Und mehr Menschen beschäftigen sich mit der Frage, was mit ihnen nach dem Tod passieren soll.

Wandel in der Bestattungsnachfrage

Grundsätzlich wird zwischen zwei Bestattungsformen unterschieden: der Erd- und der Feuerbestattung. Die Erdbestattung beinhaltet die klassische Beisetzung mit einem Sarg auf einem Friedhof. Bei der Feuerbestattung wird der Körper dagegen eingeäschert. Daraus erfolgen mehrere Beisetzungsmöglichkeiten: in einer Urne auf dem Friedhof, im Meer bei der Seebestattung oder als Baumbestattung auf einem Friedhof oder in einem Bestattungswald. Während Anfang der 1990er Jahren noch ungefähr 70% der Bevölkerung eine Erdbestattung bevorzugten, waren es laut Zahlen von Aeternitas 2019 nur noch deutlich weniger als ein Drittel. Grund dafür sei laut Alexander Helbach, Pressesprecher von Aeternitas, unter anderem die veränderte Einstellung der Kirche: „Den Katholiken war es eigentlich noch bis in die 1960er Jahre verboten, überhaupt feuerbestattet zu werden.“

Auch andere Faktoren haben in den letzten Jahren haben zur Zunahme von Feuerbestattungen geführt – zum Beispiel das Wegfallen des Sterbegeldes der Krankenkassen am Anfang des 21. Jahrhunderts, sodass Angehörige die Kosten der Bestattung allein tragen müssen. „Seitdem achtet man mehr auf die Kosten der Bestattung“, so Wissenschaftler Fischer.

Ein weiterer Treiber dieser Entwicklung: der Wunsch nach mehr Individualisierung. Laut Fischer wollen Menschen selbst entscheiden können, wie sie beigesetzt werden. Die Feuerbestattung biete dabei mehr Beisetzungsmöglichkeiten. Und Angehörige wollten, dass der Prozess einfacher gestaltet wird. Friedhöfe seien dagegen streng und von vielen Regulierungen betroffen. Ähnlich ging es Sven Buchmayer: „Ich wollte nie in irgendeine Fläche, die begrenzt ist durch einen Zaun, durch eine Mauer, alles schön in Reih und Glied. Ich wollte lieber auf eine Fläche, wo Tiere sind, wo ich auch nichts machen muss. Grabpflege ist für mich vertane Zeit“.

Die Friedhöfe nehmen die Bedürfnisse zunehmend wahr und reagieren mit entsprechenden Angeboten. Zum Beispiel in Form von Grabpflegeangeboten, Gemeinschaftsgräbern und Veranstaltungen, die die Friedhöfe attraktiver machen sollen. Hamburg hat zudem mit dem neuen Bestattungsgesetz, das 2019 verabschiedet wurde, als erste Metropole Deutschlands die gemeinsame Bestattung von Mensch und Tier gesetzlich erlaubt. „Die Stadt Hamburg unterhält unter anderem den großen Parkfriedhof Ohlsdorf, der zu den innovativsten Friedhöfen in Deutschland gehört. Er geht mit vielfältigen neuen Angeboten immer wieder auf die Nachfrage der Hinterbliebenen ein“, sagt Fischer. 

Friedhofszwang: Lobbyarbeit der Friedhofsträger?

Doch im europäischen Vergleich schneidet Deutschland deutlich schlechter ab. Grund ist der Friedhofszwang. Die Bestattungsgesetze werden auf Landesebene verabschiedet und alle Bundesländer, mit der Ausnahme von Bremen, verbieten die Beisetzung und Aufbewahrung von Urnen und Särgen auf privaten Grundstücken. In Hamburg ist der Friedhofszwang im Paragraph 14 des Bestattungsgesetzes festgeschrieben. So sind Angehörige gezwungen, die Verstorbenen auf einem Friedhof beizusetzen. Die Seebestattung ist die einzige legale Ausnahme.

Ursprünglicher Grund für die Einführung des Friedhofszwangs waren laut Fischer hygienische Schwierigkeiten mit den verwesenden Leichen. Aus den Erfahrungen mit Massengräbern und Kirchengruften resultierte die Furcht vor ansteckenden Krankheiten oder sich im Grundwasser ausbreitenden Giftstoffen. Doch bei der im späten 19. Jahrhundert eingeführten Feuerbestattung besteht diese Gefahr nicht. Deswegen haben Fischer zufolge viele europäische Länder die Pflicht, Aschereste auf Friedhöfen zu bestatten, abgeschafft.

Gedenktafel am Baum (Foto: FriedWald)

Der Wunsch nach einer Gesetzesänderung seitens der Bevölkerung ist vorhanden. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag von Aeternitas 2019 ergab, dass ein Viertel der Deutschen sich eine Beisetzung wünscht, die durch die Gesetze nicht erlaubt ist – entweder eine Verstreuung der Asche in der Natur oder die Aufbewahrung zu Hause. Laut Aeternitas-Sprecher Helbach haben insbesondere die Friedhofsträger, also Kirchen und Kommunen, den Wandel verhindert. „Das sind alles Institutionen, die ein Interesse daran haben, dass möglichst viele Menschen weiterhin auf den Friedhöfen bestattet werden. Allein schon damit die Einnahmen nicht noch weiter sinken.“ Dadurch seien alle Versuche, Gesetze zu erneuern, blockiert worden. „In Deutschland ist der Friedhofszwang unter anderem deswegen geblieben, weil die Friedhofsträger Angst haben, dass ihnen Einnahmen entgehen“, erklärt Kulturwissenschaftler Fischer. Denn sie müssten die Friedhöfe weiter betreiben, auch bei sinkenden Einnahmen. 

Das streitet Lutz Rehkopf, Pressesprecher der Hamburger Friedhöfe AöR, ab. Für ihn ist die Frage nicht kommerzieller, sondern sozialer Natur: „Der Friedhof bringt einige Qualitäten mit sich, die private Wohnungen oder öffentliche Parkanlagen eben nicht haben. Sie sind umgrenzte Flächen, auf denen dafür gesorgt wird, dass die postmortale Würde des Menschen erhalten bleibt“. Seiner Meinung nach brauchen Trauernde einen Ort, der speziell zum Trauern gedacht ist und an dem sie in Ruhe gelassen werden.

Ähnlich argumentiert Stephan Dreyer, Leiter des Katholischen Büros Hamburg. Der Friedhofszwang schütze den würdigen Umgang mit einem Leichnam. Denn obwohl eine Aufbewahrung der Urne zu Hause würdig sein könne, sei dabei  nicht sichergestellt, was mit der Urne im Todesfall der Angehörigen oder bei einem Familienstreit passiere. „Deshalb sagen wir als Kirche: Es ist besser man rührt nicht an diesem Friedhofszwang, sondern man bleibt dabei, dass die gesamte Gesellschaft Verantwortung dafür trägt, dass würdig mit den Toten aus ihrer Mitte umgegangen wird“.

Die Lobbying-Vorwürfe hält Rehkopf ebenfalls für unberechtigt. Denn mit Friedhöfen ließe sich kein Geld verdienen, sie seien in der Regel mit dem Betrieb defizitär. Das kommerzielle Interesse liege im Gegenteil bei den privaten Bestattungsunternehmen: „Es gibt immer wieder Menschen, die teure Urnen verkaufen wollen. Es gibt also auch kommerzielle Interessen, wirtschaftliche Interessen, die eine Rolle spielen und auf dem Rücken der Frage nach dem Verbleib der Verstorbenen ausgetragen werden.“ Den Erhalt von Friedhöfen sieht er als soziale Aufgabe von Kommunen, die zur Lebensfürsorge gehört – ähnlich wie infrastrukturelle Leistungen zur Wasser- und Stromversorgung. 

Trauern lässt sich auch woanders

Für Helbach von Aeternitas sind die Argumente der Friedhofsträger trotzdem nicht gerechtfertigt. Denn Seebestattungen seien auch erlaubt, obwohl es dort keinen Ort zum Trauern gebe. „Für viele Menschen ist es wichtig, dass es einen solchen Ort gibt, nur unserer Meinung nach kann man eben niemanden dazu zwingen. In anderen Ländern ist das auch kein Problem. Darüber hinaus muss der Ort der Beisetzung auch nicht unbedingt mit dem Ort der Trauer übereinstimmen“, argumentiert er. 

Dazu kommt auch, dass neue Formen des Trauens entstehen. Ein Beispiel dafür ist die Veranstaltung von Death Cafés. Seit 2011 werden weltweit in ehrenamtlicher Form Treffen organisiert, bei denen Menschen bei einer Tasse Kaffee über Tod und Trauer reden. In Hamburg wird die Veranstaltungsreihe vom Netzwerk Trauerkultur getragen. „Ein Vorteil von Death Cafés ist, dass Menschen sich einfach im Alltag zum Thema austauschen können, ohne schief angeguckt zu werden”, sagt Veranstalterin Ute Arndt. Sie erkennt, dass viele Leute das Thema offen angehen und eher bereit sind, solche Veranstaltungen zu besuchen. Trauern lässt sich also auch an anderen Orten. Doch ein großer Teil der Bevölkerung weigert sich laut Arndt trotzdem, sich damit zu beschäftigen.  

Für diejenigen, die sich früh mit dem Tod auseinandersetzen, kann es auch eine Erleichterung sein. Sven Buchmayer hat seine Bestattung schon geregelt: Wenn seine Zeit kommt, wird er im Bestattungswald unter demselben Baum wie sein Ehemann beigesetzt. Bis dahin trauert er im Sommer mit Picknickdecke und einer Flasche Sekt in der Hand.