Filmkritik: „Die Frau im Nebel“

Die mysteriöse Witwe Soe-rae fasziniert den routinierten Kommissar von Anfang an (Foto: Plaion Pictures)

Der koreanische Kultregisseur Park Chan-wook ist eigentlich für blutige Rachethriller wie „Oldboy“ oder „Sympathy for Mr. Vengeance“ bekannt. In seinem neuen Film „Die Frau im Nebel“ erzählt er hingegen ungewohnt gefühlvoll von einem Ermittler, der sich in eine mysteriöse Verdächtige verliebt.

Worum geht es?

Ein Mann stürzt von einem Berg in Südkorea und kommt dabei auf brutale Weise ums Leben. Der an Schlaflosigkeit leidende Kommissar Hae-joon (Park Hae-il) wird daraufhin zum Tatort gerufen. An einen Unfall will er allerdings nicht so richtig glauben und schnell fällt sein Verdacht auf Soe-rae, die Ehefrau des Verstorbenen (Tang Wie). Im Laufe der Ermittlungen entwickelt der Kommissar eine immer stärker werdende Faszination für die ursprünglich aus China stammende Frau und beginnt sie nachts zu beobachten. Soe-rae scheint sich auch für den in die Jahre gekommenen Ermittler zu interessieren. Offen ist, ob sie sich damit nur den Ermittlungen entziehen möchte. Eine zärtliche, aber undurchsichtige Liebesbeziehung entsteht und Hae-joons sonst so geordnete Welt wird durcheinandergewirbelt.

Der aufmerksame Zuschauer ist gefordert

Mal eine Viertelstunde am Handy sein oder mit dem/der Nachbarn:in reden? Das geht während „Die Frau im Nebel“ nicht. Zu rasant ist das von Park Chan-wook an den Tag gelegte Erzähltempo. Schon zu Anfangs des Films wechselt der Ort der Handlung im Minutentakt und immer neue Figuren werden eingeführt. Außerdem bearbeitet der Kommissar parallel zwei verschieden Fälle. Der/Die Zuschauer:in ist Teil von immer neuen Observationen und Ermittlungen, ohne zu wissen, welcher Fall nun wichtiger ist. Das wird auch problematisch, wenn die Haupthandlung schon in vollem Gange ist. Denn plötzlich erzählt der Film wieder 5-10 Minuten lang vom zweiten, längst vergessenen Fall. Dieser Handlungsstrang besitzt aber keine Relevanz für den Hauptplot und irritiert tendenziell.

Zusätzlich kommt es in der Mitte des Films zu einem radikalen Bruch in der Geschichte, bei dem sich auch der Schauplatz der Handlung plötzlich ändert. Auf die Gründe für diese Zäsur wird allerdings erst 20 Minuten später in der Handlung eingegangen.

Die Bewertung einer solchen Erzählweise ist ohne Zweifel streitbar. Ist „Die Frau im Nebel“ nun ein anspruchsvoller Film, der einen aufmerksamen Zuschauer voraussetzt? Oder hat der Regisseur ein diffuses Szenengewitter erschaffen, das daran scheitert, eine lineare Handlung zu erzählen? Vieles deutet auf die erste Option hin. Zwar sind die Dialoge zwischen dem Kommissar und der Witwe oft sehr kryptisch, aber wir dabei lernen beide sehr gut kennen. Dadurch bekommt der/die Zuschauer:in einen guten Eindruck von der gefühlvollen und vor allem komplizierten Beziehung, die sich zwischen beiden entspinnt.

Erfrischende Liebe

Wenn in amerikanischen oder europäischen Filmen Liebesbeziehungen inszeniert werden, gibt es meist haufenweise Sex- und Kussszenen zu sehen. Auf all das verzichtet Park Chan-wooks Kriminalthriller fast vollständig. Wir können die Beziehung der beiden lange Zeit gar nicht richtig einordnen. Stattdessen hilft Song Soe-rae dem an Insomnie (Schlafstörung) leidenden Kommissar beim Einschlafen oder sie schauen sich gemeinsam die Bilder von grausam zugerichteten Mordopfern aus vergangenen Fällen des Polizisten an. Auch, wenn die Erotik nicht explizit zu sehen ist, klingt sie unterschwellig immer mit. Wenn der Kommissar Soe-rae jede Nacht dabei beobachtet, wie sie Eis isst, wird seine Begierde offensichtlich. Auch die Dialogszenen der beiden sind geradezu aufgeladen mit sexueller Spannung. Dafür ist vor allem das exzellente Schauspiel von Tang Wie verantwortlich.

Skurriler Humor

„Die Frau im Nebel“ ist nicht ansatzweise so blutrünstig wie der für seine schockierenden Szenen bekannte „Oldboy“. Ganz auf morbide Bilder möchte Park Chan-wook in seinem neusten Film aber nicht verzichten. So filmt er in einer Einstellung aus den Augen eines Toten heraus, über dessen Pupillen bereits Ameisen und andere Insekten krabbeln. Nichtsdestotrotz zeichnet sich der Film hauptsächlich durch einen subtilen Humor aus. Hae-joon etwa massiert seinem Partner bei einer gemeinsamen Observation ganz selbstverständlich mit einer Massagepistole den Nacken. Szenen solcher Art sind besonders, weil sie sich ganz natürlich in die Handlung des Films eingliedern, fast als wären sie gar nicht als Witz gedacht.

Klischee Cop trifft wandelbare Femme fatale

Mit der Figur des schlaflosen, in seinen Beruf verliebten Cops erfindet Park Chan-wook das Rad nicht neu. Park Hae-il liefert aber eine solide schauspielerische Leistung ab und schafft es dem Klischee Cop zumindest etwas Leben einzuhauchen.

Viel interessanter ist es, Tang Wie bei der Verkörperung der geheimnisvollen Witwe zuzusehen. Ihre Rolle steht in der Tradition der Femme Fatale. Als Femme fatale wird in Kunst und Literatur meist eine attraktive und verführerische Frauenfigur bezeichnet. Ihre Eigenschaft ist es, Männer erotisch an sich zu binden und sie zu manipulieren. Attraktivität bemisst sich bei einer Femme fatale aber nicht unbedingt an knapper Bekleidung oder anderen offensichtlichen sexuellen Merkmalen. Sie spiegelt sich eher in einem selbstbewussten, charismatischen Auftreten wider. Daran wird deutlich: Song Seo-rae wird erst im Laufe des Films zur Femme fatale. Am Anfang spielt sie ihre Rolle noch sehr zurückhaltend, fast schüchtern. Ab der Mitte des Film überrascht sie dann mit einem grandiosen, sehr facettenreichen Schauspiel. Dabei enthüllt sich ihre wahre Natur der selbstbestimmten, in allerlei kriminelle Aktivitäten verwickelten Frauenfigur.

Fazit

Park Chan-wook hat mit „Die Frau im Nebel“ einen für ihn sehr ungewöhnlichen Film erschaffen. Trotzdem stellt der koreanische Regisseur hier wieder unter Beweis, warum er zu den Besten seines Fachs gehört. Einige Bilder des Films brennen sich förmlich auf der Netzhaut ein. Das Genre des Kriminalthrillers erfindet der Regisseur mit “Die Frau im Nebel” nicht neu. Trotzdem begeistern viele stilistische Kniffe der Kameraarbeit und geben dem Film einen unverkennbaren Stil. Die Figuren sind liebevoll und detailliert geschrieben und werden durch eine tolle schauspielerische Leistung (v.a von Tang Wie) verkörpert. Bloß das in Teilen etwas zu schnelle Erzähltempo und die Sprünge zwischen den Schauplätzen der Handlung sorgen manchmal für Verwirrung. Insgesamt gelingt dem Regisseur die sensible Inszenierung einer behutsamen und zugleich gefährlichen Liebesbeziehung.