Neugründungen sind immer eine Herausforderung für den Gründer. Gerade zu Beginn des Prozesses besteht ein überdurchschnittlich hohes finanzielles Risiko sowie eine enorme psychische Belastung. Doch wie geht man damit um, wenn man ausgerechnet zu einer Zeit gründet, in der die gesamte Welt durch eine Pandemie von Unsicherheit geprägt ist?
Als sich die Corona-Krise in Deutschland ausbreitet, ist Lisa Zimmermann mitten im Gründungsprozess. Vier Monate zuvor hat sie ihren Job gekündigt, will sich nach langer Vorbereitung endlich im mentalen Gesundheitsbereich selbständig machen. Seit Mitte März steht zwischen all den Behördengängen, Anträgen und Planungen nun auch eine Pandemie im Fokus ihrer Gründung. Doch Lisa hat Glück – sie hat schon immer Prioritäten gesetzt und verfügt über ausreichend finanzielle Rücklagen.
Zu finanziellen Rücklagen für Krisen und Notfälle rät der selbstständige Gründungsberater Frederic Breiler jedem seiner Kunden: „Zwischen 5.000€ und 10.000€ auf der hohen Kante sollten es schon sein“. Lisa ist eine der jährlich bis zu 200 Kunden, die er betreut und in die berufliche Selbstständigkeit begleitet. Seine langjährige Berufserfahrung zeigt: „Unabhängig davon, wie motiviert man an eine Gründung herangeht, muss man dennoch realistisch sein und sich auf mögliche unerwartete Probleme einstellen“.
Die Zahl der Neugründungen sinkt im ersten Jahresquartal um -6,9%
Seit März dieses Jahres sind sie nun da, die unerwarteten Probleme. Mit einer Pandemie hat niemand gerechnet, ebenso wenig mit den immensen Auswirkungen auf die Wirtschaft. Laut des Statistischen Bundesamts ist das Bruttoinlandprodukt im Vergleich zum Vorjahr im zweiten Quartal 2020 um -10,1% gesunken. Sogar bei der Finanzmarktkrise 2008 gab es nur einen maximalen Abfall von -4,7%.
In Verbindung mit den Schutzmaßnahmen, die aufgrund der Corona-Krise ergriffen wurden, erscheint der Rückgang von Unternehmensgründungen durchaus schlüssig. Beispielsweise wurde der Besucherverkehr eingestellt und es herrscht Personalknappheit in den Gewerbeämtern.
In den Vorjahren war das Gründungsgeschehen tendenziell sinkend. Durch die positive Entwicklung der Konjunktur und die gleichzeitige Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation ließ sich jedoch im ersten Quartal 2019 ein Anstieg von Neugründungen um 3,6% verzeichnen. Die Prognose für 2020 war dementsprechend positiv – bis die Corona-Krise auch eine Wirtschaftskrise wurde.

Für Frederic Breiler hat sich überraschenderweise nicht viel verändert. „Ich war selbst fast ein bisschen verwundert“, sagt der Unternehmer. Den Gründungsrückgang hat er nicht zu spüren bekommen, er ist genauso ausgelastet wie vor Corona. Lediglich die Treffen mit seinen Kunden finden jetzt digital per Videoanruf statt.
Was macht ein Gründungsberater?
Eine Unternehmensgründung ist für die meisten Gründer ein aufregendes Erlebnis, für Frederic Breiler ist es Alltag. Seit mittlerweile 16 Jahren ist der gelernte Bankkaufmann und Marketing-Absolvent als Gründungsberater in Hamburg tätig. Er selbst ist seit vielen Jahren selbstständig, arbeitet offiziell aber unter dem Markennamen „garage startups hamburg“. Die Marke vereint Solo-Selbstständige aus verschiedenen Fachrichtungen. Sie alle dienen einander als Netzwerk, sodass die Kunden je nach Anliegen an einen passenden Kollegen verwiesen werden können.
„Manchmal wissen die Kunden selbst nicht, wie zeitkritisch das gerade ist.“
Frederic Breiler, Gründungsberater
Sobald Frederic Breiler eine neue Anfrage erhält, nimmt er möglichst schnell Kontakt auf. „Manchmal wissen die Kunden selbst nicht, wie zeitkritisch das gerade ist“, sagt Breiler. Dabei handle es sich teilweise um wichtige Fristen für Anträge oder langwierige Prozesse, die so früh wie möglich begonnen werden sollten. Deswegen verschafft er sich direkt einen Eindruck der Situation, um schnellstmöglich handeln zu können. Anschließend vereinbart er ein zeitnahes Treffen mit seinen Kunden, bei dem sie einen gemeinsamen Zeitplan aufstellen und Ziele festlegen. Schließlich hat jeder seiner Kunde andere Vorstellungen, inwieweit sie von Breiler unterstützt werden wollen.
Da der Gründungsberater als Selbstständiger nicht ehrenamtlich arbeiten kann, spricht er während des ersten Treffens auch seine Entlohnung an. Kunden, die über eher wenig finanzielle Mittel verfügen, verweist er an kostenfreie Beratungsstellen in Hamburg. Der Nachteil dieser Anlaufstellen: Hier dauern Prozesse oft länger. Zeit, die manche Gründer in kritischen Situationen nicht haben.
„Gründung an sich ist etwas ganz Individuelles.“
Während des ersten Gesprächs verschafft sich Frederic Breiler einen Überblick über die Anzahl der Gründer, die Zielgruppe, das Vorwissen in dem Geschäftsbereich und den Kapitalbedarf. „Eine klare Geschäftsidee hat die Mehrheit der Gründer von Anfang an“, sagt er. Auf Grundlage der Informationen, die er im Gespräch erhält, kann er dann mit seinen Kunden einen Businessplan aufstellen.
„Gründung an sich ist etwas ganz Individuelles, weil jeder Gründer eigene Vorstellungen und Voraussetzungen mitbringt“, betont Frederic. So seien die grundlegenden Komponenten einer Gründung dieselben, die Umsetzung der einzelnen Aspekte aber sehr verschieden.
„Wenn man gründen möchte, dann taktisch klug.“
Lisa Zimmermann, Gründerin
Die Gründer haben verschiedene Wünsche für die Zusammenarbeit. Während einige durch den gesamten Gründungsprozess begleitet werden wollen, suchen andere lediglich fachliche Unterstützung für spezielle Aufgaben. „Klassische Themen, die Angst machen, sind zum Beispiel Buchhaltung, der Zahlenteil des Businessplans oder die Kundenakquise“, sagt Frederic.
Auch Lisa Zimmermann hat sich bei der Erstellung ihres Businessplans von Frederic Breiler unterstützen lassen. Dieses Geschäftskonzept fasst die unternehmerischen Ziele, Strategien und Vorhaben von der Markteinführung bis zur Etablierung zusammen. Der Business Plan ist notwendig für die Beantragung bestimmter Fördermittel, beispielsweise den Gründungszuschuss des Staates.
„Wenn man gründen möchte, dann taktisch klug“, sagt die 30-Jährige. Ihren Businessplan hätte sie auch allein erstellen können. Aufgrund der spezifischen Anforderungen der Ämter hat sie sich mit Frederic Breilers Unterstützung noch zusätzlich abgesichert.
Der Weg in die Selbstständigkeit
Von Selbstverwirklichung über finanzielle Absichten bis hin zu einer Notgründung, weil man keine Festanstellung findet – die Motive für eine berufliche Selbstständigkeit sind vielfältig.
Lisa Zimmermann ist Gründerin aus Leidenschaft. Die gebürtige Rostockerin ist eine wahre Frohnatur und sprüht nur so vor Tatendrang. Wenn sie über ihr Unternehmen spricht, dann strahlt sie – ihre Freude ist ansteckend.
Nach ihrem Master in Wirtschaftspsychologie hat Lisa in verschiedenen Agenturen im Bereich der Markenpsychologie gearbeitet. „Ich habe meinen Job geliebt, aber ich wollte schon immer mit Menschen zusammenarbeiten und ihnen helfen“, sagt sie. Im Jahr 2019 entschließt sie sich dazu eine Zusatzausbildung im Bereich der “Rapid Transformational Therapy” (RTT) und Hypnosetherapie zu machen. RTT ist eine spezialisierte Methode, die dazu dient, die tieferliegenden Ursachen hinter Problemen zu lokalisieren. Dadurch können die Auslöser hinter mentalen Blockaden gezielt identifiziert und nachhaltig aufgelöst werden.
Mit dieser Tätigkeit im mentalen Gesundheitsbereich will Zimmermann sich selbstständig machen. Nach ihrer Kündigung nimmt sie sich eine einmonatige Auszeit und beginnt im Januar 2020 voller Energie den Gründungsprozess.
Über die Jahre hat sie sich ein globales Netzwerk an Kontakten und Freunden aufgebaut, die wertvolle Weggefährten auf ihrer Reise zu ihrem eigenen Unternehmen sind. Aus dem Impuls der letzten Jahre wird Anfang 2019 schließlich eine konkrete Unternehmensidee. Die Umsetzung dieser Idee folgt ein Jahr später. Sie geht taktisch vor und beantragt den Gründungszuschuss beim Staat. Neben den bürokratisch relevanten Aspekten ist ihr Weg in die Selbstständigkeit jedoch stets geprägt von einer großen Leidenschaft für ihr “Baby”, wie sie ihr Unternehmen liebevoll nennt.
Die Corona-Soforthilfen für Selbstständige
Während Frederic Breiler keine Auswirkungen der Covid-19-Krise auf seine Tätigkeit spürt, haben nicht alle Selbstständigen so viel Glück. Einige profitieren momentan, andere spüren wie Frederic kaum die Folgen. „Für einige Kunden hat die Corona-Pandemie schlimme Auswirkungen“, sagt er. Der Gründungsberater versucht so gut wie möglich zu helfen, informiert auf seiner Webseite und auf Social Media über aktuelle Vorschriften oder finanzielle Förderungen vom Staat. So auch über die bekannten Corona-Soforthilfen, die für Gründungen vor dem 11. März geleistet werden. Die Höhe der bis Ende Mai zu beantragenden Förderung ist von verschiedenen Faktoren abhängig, aber die Unterstützung kommt schnell. Während die Corona-Soforthilfen des Bundes nur für Betriebskosten einsetzbar sind, stellt die Stadt Hamburg zusätzlich 2.500€ für Solo-Selbstständige bereit, die der Antragsteller für den Lebensunterhalt nutzen kann. „Natürlich ist durch den Zeitdruck nicht alles durchdacht“, aber Frederic Breiler weiß, dass die Unterstützung für viele Selbstständige existenziell war.
„Es ist ein Dauerzustand von Frustration und Erschöpfung, den man trotzdem genießt.“
Lisa Zimmermann, Gründerin
Die Corona-Soforthilfe konnte Lisa Zimmermann nicht beantragen, aber ihre finanziellen Rücklagen reichen aus. Doch nicht nur die finanzielle Situation kann während der Gründung zur Belastung werden. Auch die dauerhafte Anstrengung und kleine Rückschläge können viel Kraft kosten. Eine Freundin von ihr sagt: „Die Gründung an sich wäre eigentlich schon heftig und jetzt ist mal nebenbei so eine Pandemie, die man auch noch wuppen muss“. Trotzdem fühlt Zimmermann sich in ihrem Vorhaben bestätigt. „Es ist ein Dauerzustand von Frustration und Erschöpfung, den man trotzdem genießt“, sagt die Jungunternehmerin lachend. Sie ist sich sicher: Leidenschaft ist die beste Motivation für Gründer. Ihre Arbeit empfindet sie heute als wichtiger denn je, da durch die Krise die Psyche vieler Menschen leidet.
Die Kreditanträge bleiben unbeachtet
Die Gründer, die gerade noch mitten in den Vorbereitungen ihrer Unternehmensgründungen stecken und von Frederic betreut werden, reagieren unterschiedlich. Während einige dem Lockdown aus dem Weg gehen wollen und ihre Gründung um ein paar Monate nach hinten verschieben, beschleunigen andere, wie Lisa, die Vorgänge. Der Gründungsabbruch ist für keinen seiner Kunden eine Option. „Ich denke, dass alle von ihrer Idee überzeugt waren und Corona zwar als Bremse, nicht aber als unüberwindbares Hindernis empfunden wurde.“, begründet Frederic. Zudem gebe es auch Fristen für Fördermittel wie den Gründungszuschuss, die eingehalten werden müssen.
Der Gründungsprozess an sich bleibt unverändert. „Die Corona-Pandemie muss als beeinflussender Faktor berücksichtigt werden, das gehört zu einer guten Marktanalyse dazu“, sagt Frederic. Abgesehen davon gibt es nur einen großen Unterschied: die Finanzierung. Momentan schauen die Banken sich die Kreditanträge von Gründern aus Kapazitätsgründen nicht einmal an. Das bremst manche Gründer ungewollt aus, aber Frederic Breiler steht mit den Banken in Kontakt, um die Wiederaufnahme der Antragsverfahren nicht zu verpassen.
„Ist es Corona, was den Gründern jetzt gerade Probleme macht oder ist es ein grundsätzliches Problem?“
Frederic Breiler, Gründungsberater
Die Corona-Pandemie hat auch positive Seiten für Neugründer. „Das ist eine Chance für jeden, an seinem Geschäftsmodell zu arbeiten“, ist sich Frederic sicher. Doch sie können die Zeit nicht nur zur Verbesserung ihrer Idee nutzen, sondern auch aus der jetzigen Situation lernen.
Für Frederic Breiler sind es drei Lektionen, die Jungunternehmer mitnehmen können.
Erstens erfahren sie hautnah wie wichtig finanzielle Rücklagen sind. Zweitens lernen sie in kritischen Situationen Ruhe zu bewahren und drittens sollten Gründer die Bedeutung der Digitalisierung realisieren. Diese steht jetzt stärker im Fokus als je zuvor und wird von vielen Kunden stärker vorangetrieben.
Auch Lisa hat diese Erfahrung gemacht. Für sie ist die Corona-Krise nicht nur der Antrieb zur Digitalisierung, sondern die Motivation für Innovation und Fortschritt.
Was kann nach der Bewältigung einer Pandemie noch ein Hindernis sein?
Wie die Gründerszene in Zukunft aussehen wird, ist schwer zu sagen. „Nach jeder Wirtschaftskrise gibt es mehr Gründungen“, meint Frederic. Oft findet dies in Form von Notgründungen statt. Dabei werde viele der Jungunternehmer frühzeitig in die Selbständigkeit getrieben, beispielsweise durch eine Kündigung, wobei eine Unternehmensgründung meist erst in ferner Zukunft oder gar nicht geplant war. Doch jede Krise ist unterschiedlich und etwas Vergleichbares gab es bisher noch nie.
Rückblickend würde Lisa nichts anders machen. Die mentale Belastung einer Gründung hat sie zum Teil unterschätzt, aber sie hat jahrelang darauf hingearbeitet und sich vorbereitet. „Als Selbstständige bin ich maximal handlungsfähig. Den Wunsch nach einer sicheren Festanstellung habe ich schon mit meiner Kündigung aufgegeben“, sagt sie. Feststeht, dass sie weiterhin leidenschaftlich an ihrem „Baby“ arbeiten wird. Mittlerweile ist sie in der operativen Umsetzung des Gründungsprozesses angekommen: Der Start ihrer Website steht kurz bevor.
Der Beginn der Corona-Krise hat für Lisa Zimmermanns Gründung nicht das Ende bedeutet. Stattdessen fängt ihre Selbstständigkeit gerade erst richtig an. “Ich lebe nach dem Motto des Coaches Tony Robbins: ‘I challenge you to make your life a masterpiece’. Mit der gleichen Einstellung lebe ich auch mein Unternehmen und will daraus etwas ganz Großes machen”, sagt Lisa.
Wenn sie eine Pandemie bewältigt, was kann dann noch schiefgehen?