Die Seitenwechsler

Manche Journalisten zieht es in die Politik – darunter auch in die AfD. (Foto: Pexels)

Keine Partei diffamiert die „Mainstream-Medien“ so konsequent wie die AfD. Gleichzeitig finden sich in ihren Reihen ehemalige Journalist*innen. Wie passt das zusammen?

„Trau Dich – steig aus!“ Was zunächst nach Aussteigerprogrammen für Sekten oder extremistische Gruppierungen klingt, spricht eine ganz besondere Zielgruppe an: Journalist*innen. Der Slogan war auf der Startseite des „Mainstream-Aussteiger“-Programms der Alternative für Deutschland (AfD) zu sehen. Die Partei suchte Journalist*innen, die „wieder frei und ehrlich berichten“ wollen, und rief dazu auf, „die schlimmsten Lügen und Manipulationen der Haltungsredaktionen“ zu melden.

Bekannte Namen bei der AfD

Initiiert wurde die Aktion unter anderem vom AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron. Darüber sprechen will er heute nicht mehr. Für den Bundesvorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, ist das Programm ein „PR-Gag von rechts“ gewesen. Ihm seien keine Kolleg*innen bekannt, die sich dort gemeldet hätten.

Allerdings kann die AfD offensichtlich auch ohne „Aussteiger-Programm“ erfolgreich Reporter*innen umwerben. „Es ist auffällig, dass eine große Anzahl von bekannten Namen bei der AfD in Erscheinung tritt“, sagt der Medienjournalist René Martens. Der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der „Bild am Sonntag“ Nicolaus Fest sitzt beispielsweise seit 2019 für die AfD im EU-Parlament, während Günther Lachmann, vormals „Welt“- Redakteur, nun als Pressesprecher für Björn Höcke tätig ist. Ein weiterer Seitenwechsler ist auch der AfD-Politiker Armin-Paulus Hampel. Der ehemalige ARD-Auslandskorrespondent glaubt: „Wenn ein Journalist offen zu seiner persönlichen Vorstellung von Journalismus steht und er damit in der Redaktion aneckt, dann ist er völlig alleine.“

Hampel selbst ist heute gewiss nicht alleine, sondern sitzt zusammen mit 88 weiteren AfD-Abgeordneten im Bundestag. An der Arbeit von Journalist*innen lässt er mittlerweile kein gutes Haar. Wenn etwa der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland, früher selbst Publizist, in einem FAZ-Interview (Paywall) bekräftigt, Leute „auch aus den Medien“, die das „System Merkel“ unterstützen, aus der Verantwortung vertreiben zu wollen, ist das für Hampel folgerichtig. „Wenn die Art der Berichterstattung schon durch die politische oder persönliche Meinung des Berichterstatters geprägt wird, dann hat das mit neutralem Journalismus nichts mehr zu tun“, sagt er. Für Medienjournalist Martens ein taktisches Argument, da es so etwas wie neutralen Journalismus in dem Sinne ohnehin nicht gebe und schon die Auswahl eines Themas eine persönliche Entscheidung sei. In bestimmten Kreisen könne man damit aber punkten.

Von Journalisten zu Renegaten

Wenn es für die AfD neben Geflüchteten und Einwanderungspolitik ein weiteres Dauerthema gibt, dann ist es die fundamentale Kritik an den etablierten Medien. Sie besetzt im öffentlichen Diskurs geschickt polarisierende Begriffe wie „Lügenpresse“ und „Mainstream-Medien“ und unterstellt insbesondere den öffentlich-rechtlichen Medien, unfair über die Partei, ihre Mitglieder und Inhalte zu berichten. Bezeichnend für das Verhältnis zwischen der AfD und Medienvertreter*innen ist eine Szene aus dem vergangenen November: Die Fraktionsspitze gab eine Pressekonferenz zur Abwahl des Rechtsausschuss-Vorsitzenden und Parteikollegen Stephan Brandner. In deren Verlauf echauffierte sich AfD-Chefin Alice Weidel vor laufenden Kameras mit den Worten „Mein Gott, ist das alles dümmlich hier“ über kritische Fragen. Der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke sorgte zwei Monate zuvor für Schlagzeilen, nachdem er ein ZDF-Interview plötzlich abbrach und den Journalisten mit „massiven Konsequenzen“ drohte.

Von einer ganz ähnlichen Begegnung kann Benjamin Konietzny berichten. Als Parlamentsredakteur bei ntv.de wollte er im vergangenen Jahr – nach dem Vorfall mit den ZDF – zusammen mit einer Kollegin ebenfalls ein Interview mit Höcke führen. „Sie hat sich von Anfang an transparent um den Rahmen bemüht, in dem das stattfinden soll. Es war von Anfang klar, dass ich daran teilnehmen werde.“ Etwa drei Tage vor dem Interviewtermin hätte Höckes Pressesprecher angefragt, um welche Themen es im Gespräch gehen soll. „Da haben wir geantwortet, dass es auch um sein umstrittenes Buch gehen soll. Dann kam sehr kurzfristig die Absage“, sagt Konietzny. Der genaue Grund dafür sei allerdings unklar. „Auf Nachfrage hieß es, das Interview wurde abgesagt, weil ich daran teilnehmen würde.“ Ein anderer Mitarbeiter von Höckes Presseteam habe argumentiert, dass man nicht mit offenen Karten spielen würde und man das Vertrauen nachhaltig zerstört hätte. Für Konietzny war dieser Vorgang vor allem eine Kommunikationspanne. Allerdings hat er das Gefühl, dass „normale“ Medien seitdem von dem AfD-Politiker ignoriert würden: „Sie spielen für ihn und sein Publikum keine Rolle mehr.“

Kein Gesinnungswechel

Wie lässt sich angesichts dieses Umgangs der AfD mit den sogenannten „Mainstream-Medien“ das Engagement von Journalist*innen in genau dieser Partei erklären? „Das sind Leute, die man schon als Renegaten bezeichnen kann, weil sie heute in einer Partei sind, die sich ganz stark durch eine Anti-Journalismus-Haltung definiert“, sagt Martens. Ihm zufolge ist es grundsätzlich kein besonderes Phänomen, dass Medienvertreter*innen in die Politik gehen. Ähnlich sieht das DJV-Vorsitzender Überall: „Bei manchen mag es der wirtschaftliche Druck sein.“ Außerdem sei der Journalismus ein Beruf, in dem irgendwann die Frage auftauche, ob man Politik selbst nicht besser könne. Bei Journalist*innen in der AfD vermutet Martens mehrere Gründe, unter anderem eine Lust zur Provokation: „Irgendwann spüren sie einen Bedeutungsverlust und können auf dem Meinungsmarkt nicht mehr so reüssieren, wie es ihnen vielleicht mal gegeben war.“ Das könne zu einer Radikalisierung beitragen, die nicht immer inhaltlich begründet sei.

An einen radikalen Wechsel der Gesinnung glaubt Beobachter Martens indes nicht. So könne man etwa die heutigen Positionen von Gauland in seinen alten Kolumnen für den Tagesspiegel wiederfinden. Beinahe prophetisch sprach er darin schon 2012 von der „Kraft des Streits um Inhalte“, die „von keiner Sorge vor vermeintlich unkorrekten, ausländerfeindlichen oder gar rassistischen Tönen getrübt wird“.