Crashkurs Satire

Falls die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus aber nicht: Was passiert dann mit all den Menschen, die heute bei der Polizei sind? (Foto: Pixabay)

Die Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah über die Rolle der Polizei sorgt für Diskussionen. Der Konflikt, der sich anfangs noch um die Grenzen von Satire drehte, offenbarte eine zweite, tiefere Ebene des Problems.

Wer seit längerem davon träumt, endlich ein neues Gesprächsthema außer Corona zu haben, darf sich jetzt wieder freuen: Diese Woche hat es die taz-Kolumne der Journalistin Hengameh Yaghoobifarahes in den Mittelpunkt sämtlicher Diskussionen geschafft. In dem satirischen Beitrag „Abschaffung der Polizei: All cops are berufsunfähig” geht es darum, was mit all den Beamt*innen passieren würde, wenn die Polizei abgeschafft würde. Am Anfang ging es in den Debatten über die Kolumne noch über die zulässigen Grenzen der Satire, später kamen Fragen nach der Pressefreiheit dazu. Doch in dieser Diskussion kann man sich schnell in der eigenen Argumentation verlieren.

Was darf Satire?

Der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky beantwortete diese Frage im Jahr 1919 mit „Alles”. Aber gilt das auch heute noch?

Laut Duden ist Satire eine Kunstgattung, die durch Übertreibung, Ironie und beißenden Spott an Personen und Ereignissen Kritik übt, sie der Lächerlichkeit preisgibt, Zustände anprangert oder mit scharfem Witz geißelt. Wikipedia fügt noch hinzu, dass die typischen Stilmittel der Satire die Übertreibung als Überhöhung oder die Untertreibung als bewusste Bagatellisierung bis ins Lächerliche oder Absurde seien: „üblicherweise ist Satire eine Kritik von unten (Bürgerempfinden) gegen oben (Repräsentanz der Macht)”. Um die oben angeführte Frage zu beantworten: People of Color, Juden, Moslems, Behinderte, queere Menschen, weitere Minderheiten – im Grunde alle Bürger*innen – dürfen demnach nicht als satirisches Objekt genutzt werden, denn „Satire tritt nicht nach unten„. Aber die Polizei als eine staatliche, Macht ausübende Institution schon.

Über die Qualität der Satire von Yaghoobifarah lässt sich streiten. Doch unabhängig davon, wie passiv-aggressiv diese Kolumne rüberkommen könnte, bleibt sie im Rahmen der Satire. Liebe Cops, natürlich seid ihr nicht berufsunfähig und keiner von euch gehört auf die Mülldeponie. Vielleicht solltet ihr mal selber sagen, was ihr denn machen würdet, wenn die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus jedoch nicht? Als Erstes, hoffentlich, einen Satire-Crashkurs.

Hengameh Yaghoobifarah hat keinen einzigen Menschen persönlich beleidigt, sondern sich auf ihre Art gegen die existierenden Machtverhältnisse einer Berufsgruppe ausgesprochen. Der taz-Anwalt Johannes Eisenberg, der Yaghoobifarah in diesem Fall vertritt, weist außerdem darauf hin, dass Sammelbeleidigungen rechtlich gesehen nicht strafbar sind. Eine Strafanzeige stellen kann man nur bei einer ausdrücklichen oder erkennbaren auf Einzelne bezogenen Ehrverletzung.

Doch dann kam Horst Seehofer

Die ganze Geschichte wäre ohne Horst Seehofer nicht halb so spannend. In einem Interview mit der Bild-Zeitung äußerte sich der Bundesinnen- und Heimatminister zu dem Inhalt der Kolumne mit der Drohung eine Strafanzeige gegen die Autorin zu stellen. ”Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben”, sagte Seehofer. Ob er das wirklich tun wird, ist noch unklar. Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski schrieb dazu: In der Aussage von Seehofer „steckt nicht nur eine völlig willkürliche Verknüpfung zu den Krawallen in Stuttgart […] sondern auch ein wahrer Kern: Worte können zu Taten führen”. Auch wenn nicht alle den Text von Yaghoobifarah gut finden, wäre eine Strafanzeige gegen eine Autorin ein Angriff auf die Pressefreiheit. Es sagt viel über einen Innenminister aus, der derartig erschütternde Methoden einer Aussprache mit der taz-Kolumnistin vorzieht.

Was darf nun der Staat?

Stellt euch folgendes vor: Ein kleines Mädchen sagt ihren Eltern, dass sie keine Suppe mehr essen möchte. Sie kriegt davon Bauchschmerzen und möchte deshalb lieber etwas anderes zu Mittag essen. Die Eltern erkennen das Problem so lange nicht, bis sie eines Tages ihren Teller beim Mittagessen absichtlich umkippt. Die Eltern ärgern sich: Erstens sind die Suppen gesund und zweitens überschreitet dieses Verhalten die Grenzen des Anstands. Dann gibt es viel Ärger von den Eltern, die ihre Tochter für so ein Verhalten nur bestrafen wollen, ohne darüber nachzudenken, was der Grund ihres Verhaltens war. Am Ende der Geschichte sind alle weiterhin sauer und zum Mittagessen gibt es wieder Suppe.

Ein demokratischer Staat darf (und soll!) zuhören, was seine Bürger*innen zu sagen haben. Offenbar stellt die rassistische Gewalt der Polizei ein Problem dar, über das wir sprechen müssen. Beschämenden Angriffe auf die Pressefreiheit sind keine Lösung. Anstatt dankbar zu sein, dass eine
Journalistin uns auf Missstände aufmerksam macht, an denen man arbeiten sollte, reagiert man nur mit Drohungen. Wir müssen darüber reden, dass die Polizei in diesem Land ihren Job nicht perfekt macht. Die Art und Weise dieser Botschaft von Yaghoobifarah sind diskutabel, doch die Beweggründe nicht.

Kleiner Tipp für den Herrn Seehofer: Wenn es schon zu Konflikten am Esstisch kommt, sollte er seine selbstgemachte Suppe schnell auslöffeln, damit es morgen wieder Wurst geben kann.