über den Trennungsschmerz und die politischen Entscheidungen, die die Corona-Infektionsraten so niedrig halten
Die Corona Krise fühlt sich wie eine Trennung an. In der Kolumne Danke, Deutschland #2 erzählt Anastasia, wie sie die Situation anfangs nicht wahrhaben wollte, und nach einem zweimonatigen Kampf mit Angst, Wut und Einsamkeit letztendlich versuchte sich in dieser Welt neu zu orientieren.
Die Verleugnungsphase
Als Mitte März die ersten Regeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Kraft traten, hat sich das für mich wie eine Trennung angefühlt. Obwohl ich mich an die Regeln gehalten habe, wollte ich nicht glauben, dass dieser Zustand länger andauern wird. Die Gefühle der Trauer habe ich schlichtweg verdrängt.
Doch in dieser Zeit sind immer mehr meiner Bekannten plötzlich zu ihren Familien oder Lebenspartner*innen gefahren, um die schwierige Zeit nicht allein erleben zu müssen. Mein Gehirn weigerte sich die ganze Situation ernst zu nehmen, auch wenn der Drosten-Podcast zu meinem täglichen Begleiter wurde. Als man die Grenzschließungen in Deutschland am 16. März angekündigte, standen viele von meinen Freunden vor der Frage: Sollen wir jetzt noch schnell zurück nach Deutschland kommen oder lieber die Krisenzeit in der Heimat verbringen? Wie es bei der Verleugnungsphase üblich ist, wies ich jegliche Hilfe und Unterstützung ab. Dass sich die Anderen außerhalb ihrer Wahlheimat Deutschland besser fühlten und die Situation nicht alleine überstehen wollten, konnte ich nicht verstehen.
Die Gefühlschaos-Phase
Man verleugnet so lange, bis einem nichts anderes mehr übrig bleibt, als den Tatsachen ins Auge zu sehen – zwei Wochen später ist die Corona-Situation nur ernster geworden. Die deutschen Bürger*innen zeigten eine sehr große Solidarität im Kampf gegen das Virus. Bis auf wenige Ausnahmen haben sich die Menschen an die Beschränkungen gehalten und bewusst den Kontakt zu den Risikogruppen reduziert. Während alle von dem Zusammenhalt im Kampf gegen das Virus sprachen, fühlte ich mich plötzlich nur einsam und verlassen. Während man in den Medien immer wieder darüber las, dass Deutschland wieder ein neues Unterstützungspaket für Kulturschaffende, Unternehmer*innen oder Freiberufler ankündigte, verlor ich meinen Job im Kulturbereich ohne Aussicht auf staatliche Hilfe. Während viele von meinen deutschen Freunden Zuflucht bei ihren Familien suchten, war ich allein in meiner Wohnung in Hamburg eingesperrt.
Nach zwei Wochen ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass mein Leben nie so wie früher sein wird. Das undefinierbare und unbekannte Gefühl der Angst füllte meine Gedanken. Plötzlich musste man sich nicht nur an die neuen Hygiene- und Abstandsregeln halten, sondern sich auch grundsätzliche Fragen über die Zukunft stellen. Wie soll ich mein Lebensunterhalt jetzt finanzieren? Kann ich damit rechnen, dass man als Studentin in den nächsten Wochen einen neuen Job findet oder muss ich mich jetzt darauf einstellen, dass ich in den nächsten Monaten höchstens die ausverkauften Regale mit Nudeln und Klopapier auffüllen werde? Werde ich dieses Jahr noch meine Familie in Russland wiedersehen? Werden sie die Pandemie dort genau so gut wie wir hier in Deutschland überstehen?
Die Neuorientierungsphase
In der nächsten Phase verwandelten sich Angst, Wut und Einsamkeit in eine Art Hoffnung – am 20. April wurden die ersten Lockerungen der Maßnahmen angekündigt. Drei Wochen später hob Bayern seine Ausgangssperre auf und ich durfte endlich meine Schwester sehen. Zum ersten Mal seit zwei Monaten!
Doch wie es auch bei einem typischen Trennungsverlauf auch üblich ist, kann es danach wieder zu einer depressiven Phase kommen. Beispielsweise wenn man plötzlich begreift, dass die Lockerungen dich eigentlich nicht wirklich betreffen. Mir ist bewusst, dass man sich dabei an der großen Mehrheit orientiert und nicht alles auf einmal wieder so wie früher werden kann. In den Augen der deutschen Regierung schien ein glücklicher deutscher Haushalt so auszusehen: Der Familienvater kann nach einem langen Home-Office Tag nun wieder Fußball gucken, während seine Kinder auf einem Spielplatz draußen sind oder Hausaufgaben für die wieder geöffneten Schule erledigen. Die Frau darf endlich wieder shoppen und zum Friseur gehen, aber nur wenn sie sich nebenbei trotzdem immer noch um die kleinen Kinder kümmert – Kitas blieben weiterhin zu. Und dabei wurde scheinbar vergessen, dass jede fünfte Person in Deutschland in einem Einpersonenhaushalt lebt.
Seitdem ich in Deutschland bin, hatte ich immer das Gefühl, dass so gut wie alle Bevölkerungsgruppen in irgendeiner Weise in der Politik repräsentiert sind. In diesem Moment habe ich mich Folgendes gefragt: Hat sich eigentlich jemand darüber Gedanken gemacht, wie es den alleine wohnenden Studierenden geht? Oder den jungen Menschen, die Single sind und deren Eltern in einem anderen Land wohnen? Aus dieser depressiven Phase herauszukommen, ist nicht leicht, vor allem wenn sich die Prioritäten der deutschen Politik nicht mit deinen Hoffnungen und Wünschen decken.
Die Neuanfang-Phase?
Man könnte behaupten, dass Leben käme gerade langsam wieder zur Normalität. Doch inzwischen weiß keiner mehr, was das überhaupt ist. Ist ein eine Techno-Demo auf dem Landwehrkanal in Berlin ohne Masken und Abstandsregeln die Normalität? Oder vielleicht sind die innerhalb von einer kürzesten Zeit nach den Grenzöffnungen ausverkauften Lowcoster-Flüge nach Südfrankreich und Spanien die Normalität?
Jede Krise sollte man als eine Chance auf Veränderungen begreifen. Heutzutage gehört zu meiner Normalität sich jeden Tag die Frage zu stellen: Warum fühlt man sich als Ausländerin in Deutschland so ausgegrenzt zu den Zeiten, in denen gesellschaftlicher Zusammenhält eigentlich besonders gefördert werden sollte? Vielleicht ist gerade jetzt die höchste Zeit sich darüber Gedanken zu machen.
In diesem Sinne: Danke, Deutschland, dass wir die Corona-Pandemie so gut im Griff haben, auch wenn es für viele von uns eine sehr einsame und schwierige Zeit war.