Toxisches Trash-TV: Wann muss man abschalten?

Trash-TV macht Spaß, aber manchmal bleibt einem das Lachen im Halse stecken.

Gerade in Zeiten von Corona ist für viele von uns gutes Trash-TV zur Ablenkung bitter nötig. Doch Formate wie „Promis unter Palmen“ zeigen: Der Grat zwischen Unterhaltung und blankem Entsetzen ist schmal. Es ist höchste Zeit, über die Grenzen des schlechten Geschmacks zu diskutieren – und Konsequenzen zu ziehen.

Eigentlich sollte das ein heiterer Text über Casting-Shows, Reality-TV und Co. werden. Darüber, wie gemeinhin als Trash-TV verschriene Formate wie das Dschungelcamp oder Love Island ungeahnte Einblicke in das menschliche Wesen erlauben. Darüber, warum solches Fernsehen eben kein „Müll“ ist – wie gesagt, eigentlich.

Dann kam „Promis unter Palmen“.

Die Versuchsanordnung klang zunächst unspektakulär: Zehn sendungsbewusste Prominente aus dem hinteren Bereich des Alphabets teilen sich zusammen eine thailändische Luxusvilla und kämpfen bei mehr oder weniger lustigen Spielen um 100.000 Euro. Währenddessen fangen die Kameras allerlei Animositäten, Lästereien und Intrigen unter den Teilnehmenden ein, zur Freude der Zuschauer*innen natürlich. Mit von der Partie waren dabei sowohl Trash-Veteranen wie die stets scharfzüngige Kabarettistin Desirée Nick (Dschungelcamp, „Promi Big Brother“) und „Lifestyle-Coach“ Bastian Yotta (ebenfalls Dschungelcamp, „Adam sucht Eva“), als auch Neulinge wie Bachelor-Alumna Carina Spack. Liebhaber von leichter Fernsehunterhaltung mit Fremdschamgarantie freuten sich über neues Anschauungsmaterial, gerade in diesen doch eher spaßbefreiten Corona-Zeiten. Auch in den Medien wurde das Format gleich zu Beginn gefeiert. Doch niemand hat wohl vorher geahnt, welchen unheilvollen Verlauf dieses Format nehmen würde.

Denn was als leichte Fernsehunterhaltung vermarktet wurde, entpuppte sich schnell als giftige Mischung aus Mobbing-Attacken, Sexismus und Menschenverachtung. In Folge fünf wurde Boutique-Besitzerin Claudia Obert von ihren Mitstreitern aufs Übelste beschimpft. Carina Spack bezeichnete Obert als „Hure“, störte sie nachts durch nerviges Chipstütenrascheln und gab ihr mit Sprüchen wie diesem den Rest: „Weißt du, was wir alle haben, was du nicht hast? Jemanden zu Hause, der sich auf einen freut“.

An dieser Stelle sei gesagt, dass das nur ein kleiner Ausschnitt des Mobbings gegen Obert ist. Neben Spack waren vor allem Bastian Yotta und Matthias Mangiapane (bekannt aus dem Format „Goodbye Deutschland – Die Auswanderer“) daran beteiligt. Doch auch vor diesen Attacken zeichnete die Sendung ein grelles Bild von Obert als „betrunkene Witzfigur“, wie Nora Voit es in ihrem Beitrag auf Übermedien treffend formuliert. Am Ende der besagten Folge zog die 58-Jährige freiwillig aus der Villa aus – wenn man das angesichts der Umstände überhaupt so sagen kann.

Sexismus zur Prime-Time

Daneben offenbarten andere Teilnehmende ihr teils fragwürdiges, teils abstoßendes Frauenbild. Bastian Yotta, der übrigens als „Gewinner“ aus dieser Sendung hervorgegangen ist, spricht in einem vor vier Jahren gedrehten Video davon, dass Frauen drei Öffnungen hätten „und wir Männer das Recht, alle drei zu benutzen“. Der Clip geisterte im Zuge von „Promis unter Palmen“ durchs Netz, aber auch in der Sendung ließen seine Bemerkungen tief blicken: „Ich habe mir gerade einen Pickel ausgedrückt und was da rauskam, erinnert mich an jemanden, den ich vor zwei Sekunden gesehen habe“, hieß es etwa in Richtung von Claudia Obert. Ronald Schill, ehemaliger zweiter Bürgermeister von Hamburg, sorgte währenddessen mit unerwünschten Avancen für Beklemmungen bei den Zuschauer*innen. So musste sich Mitkandidatin Janine Pink trotz deutlich sichtbarer Abneigung minutenlang von Schill an intimen Körperstellen begrapschen lassen. Toxische Männlichkeit in a nutshell.

Das Verhalten des Senders – hier Sat.1 – macht dabei fast genauso fassungslos wie das Gebahren der Teilnehmenden und wurde vor allem auf Twitter heftig kritisiert. Weder beim Mobbing gegen Obert, noch bei den sexistischen Ausfällen von Yotta und Schill griffen die Verantwortlichen ein. Zwar wurde die Sendung vorab aufgezeichnet und Sat.1 bemühte sich, sich zumindest von Yotta zu distanzieren. Allerdings wäre eine Art redaktionelle Einordnung das Mindeste gewesen, um das Gezeigte nicht unkommentiert stehen zu lassen. Wenn nun der für Unterhaltungsformate verantwortliche Vorstand Wolfgang Link im Interview erklärt, „Promis unter Palmen“ gehe nicht zu weit, sagt das einiges über den derzeitigen Zustand von Trash-TV aus.

Doch nicht nur Fernsehsender und Produktionsfirmen müssen sich fragen, was noch guten Gewissens ausgestrahlt werden darf. Das Publikum solcher Formate – zu dem sich auch der Autor dieses Textes zählt – ist ebenfalls aufgefordert, die Inhalte kritisch zu hinterfragen und dementsprechend zu handeln. Pünktlich zum Start einer neuen Staffel „Germany’s next Topmodel“, wenn Heidi Klum als gestrenge Model-Mama wieder ihre „Meeedchen“ zusammentrommelt, findet im ganzen Land eine  Sexismus-Debatte statt. Ähnliches passierte während der diesjährigen Bachelor-Ausgabe, bei der der namensgebende Junggeselle Sebastian Preuss die Kandidatinnen nach Hause schickte, die ihn bei einem Date partout nicht küssen wollten. In beiden Fällen wurde die Erniedrigung von Frauen zu Recht angeprangert, dennoch schalteten genügend Menschen vor dem Fernseher ein und die Verantwortlichen waren mehr oder weniger aus dem Schneider.

Es ist Zeit für Konsequenzen

Auch bei „Promis unter Palmen“ war die Kritik zumindest im Hinblick auf die Einschaltquoten weitgehend wirkungslos: Durchschnittlich holte das Format einen Marktanteil von 18,3 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe der 14-49-Jährigen, eine zweite Staffel wurde bereits angekündigt. Bei solchen Traumquoten ist es naheliegend, dass die Sender ihre Formate gegen jede Form von Widerspruch verteidigen. Dadurch verkommen die notwendigen Debatten über die Formate zu einem reinen Ritual ohne spürbare Konsequenzen. Trash-TV als Ganzes zu verdammen, greift trotzdem zu kurz. Gerade in Zeiten von Corona ist Trash-TV für viele eine willkommene Ablenkung, die uns unsere Alltagsprobleme durch die Tragödien der anderen für eine Weile vergessen lässt. Die Autorin Anja Rützel, die unter anderem für den SPIEGEL bissige TV-Kritiken zum Dschungelcamp und Co. verfasst, spricht in ihrem Buch „Trash-TV“ davon, dass Trash in dieser überkomplexen Welt für eine kleine Weile an die schiere, lächerliche Banalität des Daseins erinnern würde. Gleichzeitig reproduziert Trash-TV aber überkommene Stereotype und neigt deswegen zur Darstellung von wertkonservativen Weltbildern inklusive sexistischer Geschlechterklischees.

Darüber mag man vielleicht im Sinne einer „so bad it’s good“-Mentalität schmunzeln oder gar hinwegsehen. Wenn aber berechtigte Kritik zum wiederholten Male auf taube Ohren stößt und Grenzen des schlechten Geschmacks so stark überschritten werden wie bei „Promis unter Palmen“, dann ist es höchste Zeit die Fernbedienung zu nehmen und das Programm zu wechseln, oder gleich den Fernseher abzuschalten. Denn nur so kann sich im Trash-TV etwas ändern: Wenn man es dort trifft, wo es wehtut.