Warum auch der Unsinn in die Öffentlichkeit gehört

Sigmund Freuds Couch: So manch einer sähe Verschwörungstheoretiker*innen lieber dort, als auf einer Demo (Foto: Robert Huffstutter / creativecommons.org / Lizenzzusatz am Textende)

Verschwörungstheoretiker*innen werden in den Medien als verrückt dargestellt. Dort und auf Demonstrationen will man sie am liebsten gar nicht mehr sehen. Eine demokratische Gesellschaft muss ihren Glauben an Unsinn aber aushalten können. Ein Plädoyer gegen ihre Stigmatisierung.

Vor einer Woche hat Severin Pehlke an dieser Stelle einen Kommentar veröffentlicht, in dem er die Berichterstattung über Verschwörungstheoretiker*innen als „medialen Voyeurismus“ kritisiert und dafür plädiert, ihnen weniger mediale Aufmerksamkeit zu schenken. Auch ich finde die Berichterstattung über Verschwörungstheoretiker*innen und ihre Theorien kritikwürdig. Die Gründe dafür sehe ich allerdings an anderer Stelle. 

Bei der Berichterstattung läuft deshalb etwas schief, weil sie ohne Auseinandersetzung damit stattfindet, was der Begriff „Verschwörungstheorie“ eigentlich bedeutet. Das ist verständlich, denn die Definitionen von Verschwörungstheorien sind komplex und widersprüchlich, sodass die Annäherung an diesen Begriff mühselig und unbequem ist. Journalismus muss aber trotzdem differenzieren und sollte sich an einer Definition zumindest versuchen.

Der Philosoph Karl Popper definiert Verschwörungstheorien als Behauptung, dass gesellschaftliche Ereignisse immer „das Ergebnis eines Plans mächtiger Individuen oder Gruppen“ sind, und weist sie grundsätzlich wegen mangelnder Falsifizierbarkeit zurück. Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber lehnt den Begriff „Theorie“ in dem Zusammenhang gänzlich ab und schlägt stattdessen die Begriffe Verschwörungshypothese, die Korrektur zulässt, und -ideologie vor, der die Korrekturfähigkeit fehlt. Die Forscher*innen Andreas Anton, Michael Schetsche und Michael Walter kritisieren, dass der Wahrheitsgehalt einer Verschwörungstheorie nicht Teil ihrer Definition sein kann, da Wahrheit diskursiv bestimmt würde. Der Begriff „Verschwörungstheorie“ sei vielmehr Teil des „Kampfes um die Definitionsmacht über soziale Wirklichkeit“ und als stigmatisierende Bezeichnung aus dem öffentlichen Diskurs daher nicht rein analytisch. 

Das Urteil ist gefällt

Diese Widersprüchlichkeiten zeigen, dass eine Verwendung dieses Wortes ohne Auseinandersetzung mit seiner Bedeutung nur unpräzise sein kann. Nicht nur das, auch vermischen sich unter dem schwammig bleibenden Ding, der „Verschwörungstheorie“, schnell legitime Kritik mit verschwörungsideologischen Argumenten, wie Kritik am Einfluss der Bill und Melinda Gates Stiftung auf die WHO durch zweckgebundene Spenden mit anti-semitischen Weltwirtschaft-Kontroll-Fantasien.  

Noch viel problematischer ist die bereits angesprochene Funktion, die der Begriff „Verschwörungstheorie“ in einem Diskurs häufig erfüllt: Er macht sofort alle Argumente des Gegenübers zunichte und entzieht ihnen die Legitimation angehört zu werden und Teil der öffentlichen Debatte zu sein. Auf dem Userblog des Standards beschreibt Ortwin Rosner diese stigmatisierende Verwendung: „Hier wird eine unglaubliche diskursive Macht ausgeübt, nichts lässt sich mehr darauf sagen, keine Rechtfertigung, keine noch so vernünftige Begründung, nicht einmal konkrete Beweise und Belege reichen dann mehr aus, das Urteil ist gefällt, man ist in den Augen der anderen vernichtet und widerlegt und braucht gar nichts mehr zu sagen, es gibt nichts mehr zu diskutieren“. Umso vorsichtiger sollte man also mit der Verwendung dieses Wortes umgehen.

Psychiatrie statt Demonstration?

Seltsamerweise liest sich der Kommentar von letzter Woche für mich selbst wie ein Beitrag zu ebenjenem Voyeurismus, welcher im gleichen Zug angeprangert wird. Mir stellt sich jedenfalls die Frage, was die Beschreibungen „Wirrköpfe“, „Spinner“, „vom Narzissmus getriebene Verschwörungsmystiker“ und „pöbelnde Widerständler“ zu einer sachlichen Diskussion über die Berichterstattung und der geforderten konstruktiven Auseinandersetzung über den richtigen Umgang mit dem Virus beitragen. Die angebliche Verrücktheit, an der sich der mediale Voyeurismus ergötzt und den Severin in seinem Beitrag zurecht kritisiert, dient an gleicher Stelle als Begründung, um zu fordern, dass man den betreffenden Leuten im öffentlichen Diskurs und der Medienberichterstattung nicht so viel Platz einräumen solle. In dem verlinkten Spiegelartikel wird die psychische Verfassung der Demonstrierenden als Grund angeführt, dass sie ihre Meinung besser nicht in der Öffentlichkeit kundtun sollten: „Man kann mit der Arbeit der Bundesregierung in der Coronakrise unzufrieden sein und deswegen auf die Straße gehen – aber bitte aus den richtigen Gründen“, und: „Für manche Demonstranten hält die Psychiatrie effektivere Hilfen bereit als die Politik“. 

Durch dieses Pathologisieren wird den Demonstrierenden die psychische Gesundheit aus der Ferne abgesprochen und die Fähigkeit zur politischen Teilhabe infrage gestellt. Ihre pauschale Einordnung und die ihres Glaubens an Verschwörungstheorien als behandlungsbedürftig ist nicht nur undemokratisch und unwissenschaftlich, sie löst auch kein gesellschaftliches Problem, denn wie Rosner auf dem Blog des Standards richtig analysiert, funktioniert das Psychologisieren andersherum genauso: Die Verschwörungstheoretiker*innen zweifeln ebenfalls an der Fähigkeit ihres Gegenübers, Informationen richtig einordnen zu können. 

Und außerdem: Wäre dann die Folge, dass im Vorfeld feststeht, welche Gründe richtig und falsch sind, um demonstrieren zu gehen? Die Aussage des Spiegel-Autors greift ein altbekanntes Demokratiedilemma auf: Dass Meinungsfreiheit auch die Meinungen einschließt, die wir verachten. Und dass gerade das Zulassen dieser die Demokratie stärken soll. Die Aussage, Verschwörungstheoretiker*innen gehörten in die Psychiatrie und nicht auf eine Demo, bekräftigt diejenigen nur in ihrem Gefühl, dass ihre zivilbürgerliche Teilhabe sinnlos sei. Häufig geht mit dem Glauben an Verschwörungstheorien auch die Überzeugung einher, dass es in Wahrheit keine demokratischen Entscheidungsprozesse gebe und anderen Gruppen mehr Rechte zuteil würden. Fühlt sich diese Gruppe noch weiter übergangen und somit nicht mehr als Teil des Gesamtsystems, stabilisiert sich ihre Abschottung gegenüber dem Rest der Gesellschaft.

Auch das Falsche hat einen Platz in der Öffentlichkeit

Statt dem, was wir unsinnig finden, unsere Aufmerksamkeit und die mediale Auseinandersetzung zu verweigern, sollte der Diskurs miteinander fortgeführt und die konspirativen Darstellungen nachvollziehbar widerlegt werden. Als die HipHop-Journalist*innen Juliane Wieler und Jan Kawelke im Interview mit dem BR gefragt werden, wie sie mit Rapper*innen umgehen, die Verschwörungstheorien verbreiten, antworten die beiden, dass sie es wichtig finden, weiter das Gespräch zu suchen und die Menschen nicht lächerlich zu machen. Severin hat in seinem Kommentar darauf hingewiesen, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen in Deutschland für angemessen hält. Dieser Befund sollte uns doch eigentlich darin bestärken, dass die gesellschaftliche Auseinandersetzung über den richtigen Umgang mit dem Virus die Meinungen aushalten kann, die nicht von der Mehrheit der Bevölkerung getragen werden. Adrian Lobe hebt in seinem Beitrag über die gesetzliche Unterbindung von Fake-News im Falter hervor, wie wichtig es ist, das, was gesellschaftlich als falsch empfunden wird, nicht einfach aus dem Diskurs zu entfernen: „Die Forderung, das Falsche aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, scheint also verlockend. Zielführend ist sie nicht, denn die Wahrheitsproduktion erfolgt auch über die transparente und für alle nachvollziehbare Falsifikation von Fakten.“ 

Auch das Falsche hat einen Platz in der Öffentlichkeit. Wie Marcus Staiger in seinem „Brief an alle“ auf dem Youtube-Kanal von komm:on sinngemäß gesagt hat: Man darf sich zu etwas äußern, von dem man keine Ahnung hat und man darf auch Unsinn verbreiten. Fordert man ein, dass man diesen Unsinn in der Berichterstattung nicht mehr sehen will, zeigt man damit, dass man glaubt, dass der öffentliche Diskurs diesen Unsinn nicht aushält. 

Lizenzzusatz: „File:Freud’s couch, London, 2004 (2).jpeg“ by ROBERT HUFFSTUTTER is licensed under CC BY 2.0