Am Vormittag online bestellt, am Abend bereits geliefert. Immer mehr Unternehmen sehen in Same Day Lieferungen großes Potential. Wissenschaftler, Logistikdienstleister und die Stadt Hamburg betrachten die taggleiche Zustellung hingegen kontrovers.
Wolfgang Maennig ist Professor der Wirtschaftspolitik an der Universität Hamburg und bezeichnet sich selbst als „Amazon-Junkie“. Er schätzt vor allem die Zeitersparnis und Beratung im Onlinehandel durch Kundenrezensionen. Pro Tag erwartet er rund fünf Pakete; darunter auch welche, die noch am Tag der Bestellung geliefert werden. „Ich glaube, wir stehen erst am Anfang mit dem Same Day Delivery“, erklärt der Wissenschaftler, der sich selbst sein Shampoo und Müsli nach Hause schicken lässt. Künftig wird rund ein Viertel aller Onlinebestellungen am selben Tag zugestellt, schätzt das Marktforschungsinstitut McKinsey.
Same Day Lieferungen für Lebensmittel
Derzeit werben Unternehmen wie Amazon oder Rewe in einigen deutschen Großstädten mit der Zustellung von Nahrungsmitteln innerhalb von wenigen Stunden. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssten Maennig zufolge künftig auch Lebensmittelkonzerne wie Aldi und Lidl ihr Onlinesortiment ausbauen und Same Day Lieferungen anbieten. In den USA setzt Lidl, eigenen Angaben zufolge, bereits taggleiche Zustellungen von Lebensmitteln um. Ähnlich wie Maennig sieht das der Verkehrswissenschaftler Knut Haase, ein Kollege an der Universität Hamburg: „Die logistischen Prozesse sind maßgeblich, um erfolgreich im Wettbewerb zu sein“. Same Day Lieferungen seien eigentlich „ein alter Hut“, da es ständig um die Optimierung von Lieferungen ginge.
Onlinehändler wie Amazon oder Zalando kooperieren zur Realisierung von Same Day Zustellungen mit Logistikdienstleistern, die eigenen Angaben zufolge zum Teil wiederum Sub-Unternehmen beauftragen. Diese setzen laut dem Bundesverband Paket und Express Logistik Computerprogramme ein, die Liefertouren entsprechend der Kundenwünsche planen. Sie berücksichtigen dabei neue oder stornierte Abholungen und Zustellungen sowie die aktuelle Verkehrslage. Verknüpft ist der komplette Lieferprozess laut dem Wissenschaftler Maennig mit einer zunehmenden Automatisierung und Robotisierung.
Logistikdienstleister sind zwiegespalten
„Generell lässt sich konstatieren, dass der Anteil von Same Day Delivery am E-Commerce-Markt seit Jahren stetig zunimmt“, stellt die Pressesprecherin von Hermes, Marei Martens, fest. „Besonders im urbanen Raum besteht zunehmend Bedarf an einer taggleichen und präzisen Lieferung von Onlinebestellungen“. Hamburg zählt zu diesen urbanen Räumen, wie eine Studie des Handelsverbands Deutschland nahelegt: Im landesweiten Vergleich kaufen die Hamburger am meisten online ein; im Ranking folgen die Bayern und Berliner. Zudem kennt bereits im Jahr 2014 jeder dritte Deutsche laut McKinsey Same Day Lieferungen oder hat diese bereits selbst genutzt. Dennoch schätzen die Deutsche Post und GLS sie als weniger zukunftsträchtig ein. Zwar nehme der Onlinehandel in Hamburg extrem zu, jedoch sei die taggleiche Zustellung für große Logistikunternehmen nur ein Nischenprodukt, erläutert die Referentin in der Hamburger Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, Astrid Kroschke. Nach Angaben von Hermes, GLS, DPD und UPS an die Stadt, erfolgen lediglich drei bis fünf Prozent des gesamten Lieferaufkommens noch am selben Tag.
Im Gegensatz dazu betont die Pressesprecherin des internationalen Online-Modehändler Zalando, Anne Gläßer: „Die Ansprüche unserer Kunden an die Liefergeschwindigkeit steigen“. Bereits vor fünf Jahren hat das Unternehmen mit der Zustellung am selben Tag begonnen. Schon damals war die Modeindustrie laut McKinsey Pionierin in Sachen Same Day Lieferung. Zur Realisierung arbeite Zalando mit kleineren Logistikdienstleistern zusammen, bestimme aber die Logistik innerhalb des Unternehmens, wie die Sortierung in seinen elf Logistikzentren und die Routenplanung, selbst. Die rasche Zustellung fördere in erster Linie die Kundenbindung, habe aber keine wirtschaftlichen Vorteile für Zalando.
Stress, Umweltbelastung und mehr Verkehr
Zwar könnte die taggleiche Lieferung für den Kunden kaum bequemer sein, jedoch zieht sie zahlreiche negative Konsequenzen mit sich: „Für den Zusteller bedeutet dies noch mehr Stress, die Verlagerung von Arbeitszeiten und eine weitere Verdichtung seines Arbeitstages“, kritisiert der Pressesprecher der Kommunikationsgewerkschaft DPVKOM, Maik Brandenburger. Wenn wenige Pakete noch am Tag der Bestellung in einer Stadt geliefert werden müssen, könnte es natürlich sein, „dass sie die Tourenplanung aufwendiger gestalten müssen, also längere Touren fahren“, erklärt der Verkehrswissenschaftler Haase. Kroschke von der Stadtplanung erwartet eine höhere CO2- und Feinstaub-Belastung sowie mehr Staus in Hamburg. Zudem sei die Zufriedenheit der Einwohner*innen und Touristen mit ihrer Umgebung, durch die vielen, oft in zweiter Reihe parkenden, Lieferfahrzeuge geringer.
Das eigentliche Problem der Zustellung am selben Tag sieht Arnaud Boehmann von Fridays for Future Hamburg hingegen in einem anderen Aspekt: „Mit Same Day Lieferungen entsteht immer noch ein stärkerer Konsumanreiz; also quantitativ wird einfach mehr konsumiert und häufig vielleicht auch Produkte, die nicht sehr langlebig sind“. Wichtig sei, dass die gesamten Lieferketten ab dem Produzenten CO2-neutral erfolgen, erläutert der Umweltschützer. Der erste Schritt in diese Richtung lautet nach dem Wissenschaftler Maennig: Künftig müssen alle Same Day Bestellungen von einem Unternehmen für jede*n Kund*in in einem einzigen Paket, anstatt in vielen einzelnen, versandt werden.
Während sich Zalando und GLS bei Same Day Lieferungen schon jetzt als klimaneutral bezeichnen, da sie ihren CO2-Fußabdruck durch Investitionen in Aufforstungsprojekte im Ausland kompensieren, strebt Amazon in den nächsten 20 und die Deutsche Post in den nächsten 30 Jahren durch den Einsatz von E-Mobilität eine völlig CO2-neutrale Zustellung an.
E-Mobilität, Paketstationen und Sharing-Economy
Erste Erfahrungen in der E-Mobilität sammelte Zalando Ende Oktober vergangenen Jahres für drei Monate, indem der Onlinehändler für seine Logistikdienstleister in Hamburg 24 Elektrofahrzeuge mietete. Mit diesen wurden „Zalando Plus“-Kunden Lieferungen am Tag der Bestellung oder am Folgetag umweltfreundlich zugestellt. Prinzipiell sind die E-Autos der Unternehmenssprecherin Gläßer zufolge auf Zustimmung der Fahrer*innen gestoßen, jedoch bestehe das Problem, dass sie zum Laden der Batterie sehr lange an Ladesäulen angesteckt werden müssten.
Eine Alternative zur E-Mobilität stellt nach den Wissenschaftlern Maennig und Haase der Ausbau von Paketstationen dar. Zudem plädieren sie für eine Stadt-Steuer in Hamburg, die übermäßigen, durch taggleiche Lieferungen geförderten Verkehr in der Rush Hour, reduzieren soll. Damit stoßen sie auf wenig Zustimmung von der Stadt, denn: „Hamburg arbeitet mit Anreizen, nicht mit Restriktionen“, erklärt Kroschke.
Haase begrüßt auch eine Sharing-Economy der Logistikunternehmen. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit in Form von geteilten Fahrzeugen und Transportwegen, könnten taggleiche Zustellungen viel leichter umgesetzt werden.
Neues Lieferkonzept: Hubs

Die Zukunft von Same Day Lieferungen sieht Maennig vor allem in City-Hubs, kleineren Zwischenlagern im Stadtraum. „Es wird dazu kommen, dass in jedem Block in Hamburg, in Berlin und in anderen Großstädten Amazon-Läden sind“, vermutet der Wissenschaftler. Er geht davon aus, dass in den Läden Produkte nicht nur direkt gekauft, sondern auch abgeholt oder zurückgeschickt werden können. Von den City-Hubs könnten Unternehmen ihre Kunden zudem ein- bis zweimal pro Tag beliefern und sogar Zustellungen innerhalb von 30 Minuten anbieten. Dem „Wall Street Journal“ zufolge plant Amazon derzeit bereits die Eröffnung einer eigenen Lebensmittelkette in den USA. Kroschke von der Stadtplanung bestätigt, „dass sowohl Amazon als auch Hermes und DHL, in der letzten Zeit viele neue Logistiklager eröffnet und eingeweiht haben, weil sich deren Intralogistik ein bisschen geändert hat“.
Zalando arbeitet bereits mit einem vergleichbaren System: „Wenn die Pakete das Logistikzentrum verlassen haben, werden sie zu sogenannten Sortier-Hubs gebracht, auf die entsprechenden Touren sortiert und dann an die Kunden ausgeliefert“, erklärt Unternehmenssprecherin Gläßer.
Ebenso testet die Stadt Hamburg in Kooperation mit UPS am Neuen Wall Micro-Hubs. Das Logistikunternehmen darf dort laut Kroschke täglich drei Überseecontainer voller Pakete abstellen. Von ihnen aus würden die Päckchen dann per Lastenräder an die anliegenden Geschäfte zugestellt. Sollte ganz Hamburg auf diese Weise beliefert werden, müssten rund 150 solcher Micro-Hubs im Stadtgebiet installiert werden. Zudem ginge ein Pilotprojekt in Kooperation mit Hermes dieses Jahr in die zweite Testphase. Dabei sollen autonom fahrende Paketroboter Bestellungen von Paketshops zum Kunden transportieren. Allerdings seien derartige Logistiklösungen nicht für jeden Stadtteil geeignet. Der Bundesverband Paket und Express Logistik, dem auch Hermes angehört, geht davon aus, dass gerade Roboter und Drohnen künftig nur sehr selten zu Lieferzwecken eingesetzt werden.
Lieferzeitpunkt ist wichtiger als die taggleiche Zustellung
Ob sich Same Day Lieferungen langfristig durchsetzen, hängt dem Verkehrswissenschaftler Haase zufolge von den Kosten und dem Nutzen der schnellen Zustellung ab. Der Dienstleistungs- und der landwirtschaftliche Sektor sowie die Luftfahrt seien auf alle Fälle bereit, einen hohen Preis für Same Day Lieferungen zu bezahlen, wenn Ersatzteile dringend benötigt werden, da Ausfälle mit hohen Kosten verbunden seien. Steigende Erwartungen an die Liefergeschwindigkeit in der Fashionbranche erkennt auch Zalando: „Viel wichtiger als die Geschwindigkeit ist es den Kunden jedoch, das Lieferzeitfenster bestimmen zu können. Meist wird die Lieferung am Abend gewünscht“, erklärt Gläßer. Laut einer Studie des Instituts für Handelsforschung Köln im Auftrag von Hermes fordern nur fünf Prozent der Onlinekäufer eine Lieferung am selben Tag; 25 Prozent sind hingegen mit einer Zustellung am Folgetag zufrieden.
Zusammenfassend stellt der Ökonom Maennig fest: „Egal ob Same Day oder Next Day, wir werden darüber nachdenken müssen, wie wir die Verkehre besser bündeln. Es könnten die Lieferungen in den Amazon-Läden sein, aber auch die Drohnen, die auf dem Balkon alles abladen“.