von Anna Helena Günther
Der Bevölkerung Cuscos in Peru könnte schon bald das Wasser abgestellt werden. Denn durch den Klimawandel trocknet der See „Laguna Piuray“, eine wichtige Süßwasserquelle der Stadt, aus – mit gravierenden Folgen für Mensch und Umwelt. Die Ursachen für diesen Schwund führen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gletscher und Seen Perus.
Von der Legende bis zur Gegenwart
Der See Piuray liegt auf etwas über 3000 m über dem Meer, etwa 30 km südlich der ehemaligen Inkahauptstadt Cusco in Peru. Schon vor mehreren Jahrhunderten entwickelte sich eine Legende zum Ursprung des Sees. Es heißt, dass ein Inka-Herrscher besorgt darum war, die Reichsstadt Cusco mit Wasser zu versorgen. Daraufhin offenbarte der Sonnengott Manco Capac, dass die Zwillingskinder des Herrschers die Sonne bei Sonnenuntergang begleiten sollten. Sobald sie am Horizont verschwunden wären, würde es Wasser geben. Die beiden Kinder machten sich auf den Weg und so wurde aus dem Zwillingsjungen der Huaypo-See und aus dem Zwillingsmädchen die Laguna Piuray. Begründet auf ihrer Spiritualität sieht die indigene Bevölkerung Perus Wasser in ihrer Kosmovision als lebendig an. Daher identifiziert sich die umliegende Bevölkerung auch als Beschützer des Sees. Ausgelöst durch den Klimawandel, sinkt der Wasserpegel des Sees. Heute, Jahrhunderte nachdem diese Legende spielt, ist die Frage der Wasserversorgung der Stadt nach wie vor relevant.
Steht in Cusco Wasser in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung, nicht nur für die menschliche Versorgung, sondern auch für die Produktion, Subsistenznutzung und den Schutz der Ökosysteme? Und wird wie kann man die Versorgung auch in der Zukunft sichern?

Wasserversorgung Cuscos durch den See Piuray
Normalerweise versorgt der See Piuray 16.350 Hausanschlüsse Cuscos mit Trinkwasser. Sie verantwortet somit 40 % der Wasserversorgung Cuscos durch die städtische Wassergesellschaft Seda Cusco. Dessen Vorstandsvorsitzende Juan Figueroa warnt daher davor, dass hunderten von Einwohner:innen in den nächsten Monaten das Trinkwasser ausgehen könnte. Er zeigt sich besorgt, dass der See, der Cusco jahrelang mit 300 l Wasser pro Sekunde versorgte, nun nur noch 200 l pro Sekunde bereitstellt. Ein historisch niedriger Wert.
Ein weiterer beunruhigender Faktor für die Bevölkerung Cuscos sind die Verträge, die die umliegenden Gemeinden mit Seda Cusco geschlossen haben. Diese besagen, dass die Trinkwasserversorgung für Cusco ab einem bestimmten Wasserstand eingestellt werden muss. Grund dafür ist, den natürlichen See erhalten zu wollen. „Es fehlen schon nur noch etwa 70 cm, bis das Wasser des Sees nicht mehr genutzt werden kann“, sagt einer der betroffenen Anwohner. Schon heute gibt es Dienstleistungseinstellungen in Cusco Stadt und erste Beschwerden vonseiten der Cusqeños, den Einwohnern Cuscos.
Tausende Menschen ohne Wasser
Bereits im Oktober 2023 mussten große Teile der Stadtbevölkerung durch einen Rohrbruch erleben, wie sich der Wassermangel auf ihren Alltag auswirkt. Plötzlich fehlte Wasser zum Kochen, zum Bedienen der Klospülung, zum Händewaschen oder zum Duschen. Doch nicht nur die Bewohner:innen Cuscos würde der Ausfall der Wasserversorgung beeinflussen, sondern auch die direkt umliegende Bevölkerung: Mehr als 2.500 Bewohner in 11 Bevölkerungszentren an dem See nutzen diesen als Wasserquelle. Schon jetzt haben etwa 10.000 Einwohner nur noch zwei Stunden am Tag Zugang zu Wasser. Früher hatten sie mindestens bis zum Mittag Wasserzugang. Boote liegen nun auf dem Trockenen. Felder können nicht mehr bewässert werden.
Die Fragen der Wassersicherheit sind keine Einzelereignisse, sondern werden durch den menschengemachten Klimawandel häufiger und schlimmer. Ronald Capo von der NGO Conservación Amazónica wies auf einer Präsentation der nationalen Bestandslage an Gletschern und Seen glazialen Ursprungs 2023 (INAIGEM) auf die Gefahr extremer Migration der von dem See lebenden Menschen hin. Doch wohin?
Vögel ohne Nistplätze
Dies fragen sich auch die umliegenden Vögel, die am Ufer des Sees normalerweise ihre Nester bauten und inzwischen teilweise abwandern. Fauna und Flora in der Umgebung sind bedroht, berichtet ein Gemeindeleiter, während er auf das trockene Ufer zeigt. Sein Blick schweift besorgt zum Wasser des Sees, welches schon um mehrere Meter zurückgegangen ist und sich immer mehr von den Ackern entfernt.
Das Wasser fehlt zur Bewässerung der Pflanzen und gleichzeitig verdunstet es vermehrt an den Kulturpflanzen, wodurch mehr Bewässerung benötigt wird. Auch die Erntezyklen haben sich verkürzt und sind weniger berechenbar geworden. Dadurch kommt es zunehmend zu Ernteausfällen. Das Landwirtschaftsjahr 2022/2023 war, wie Präsident der Banco Central de Reserva del Perú (BCRP) Julio Velarde offenbarte, eines der schlechtesten der letzten 26 Jahre, mit einem Produktionsrückgang um 2,5 %. Die Lebensmittelpreise steigen, es kommt immer wieder zu Wassermangel und Wasserkürzungen und somit ist die Wasser- und Ernährungssicherheit der Haushalte, Agrarwirtschaft sowie auch der Industrie bedroht.
Achtgrößtes Süßwasserland weltweit – und dennoch Wasserprobleme
Die durch den Klimawandel ausgelösten Veränderungen im Wassersystem der Region haben Auswirkungen auf die Wasserspeicherkapazitäten Perus. Besonders da das Land eine der geringsten Speicherkapazitäten Lateinamerikas hat. Das Land ist daher anfällig für Ausfälle im gesamten Wassersystem. Dabei ist Peru laut der Weltbank das achtgrößte Süßwasserland weltweit. 75 % der tropischen Gletscheroberfläche Südamerikas befinden sich in Peru.
Die Wasserressourcen sind dabei ungleich verteilt. So gibt es etwa an der bevölkerungsreichen Küste das größte Wasserdefizit. Doch auch in der Sierra (Gebirge) nimmt die Gefahr der Wassersicherheit durch das Schwinden von Süßwasserquellen immer mehr zu. Denn der See Piuray ist nicht der einzige Ort, der ein durch den Klimawandel verursachtes Wasserproblem hat.
Das Verursacherkind „El Niño“
Die Wassersicherheit ist durch diverse Faktoren bedroht, wie etwa das stetige Bevölkerungswachstum, aber auch durch den Klimawandel und damit einhergehender Faktoren. Denn der Klimawandel beeinflusst Klimaphänomene, wie etwa El Niño-Ereignisse, welche alle zwei bis sieben Jahre im östlich-tropischen Pazifik auftreten. Durch Änderung der Luft- und Meeresströmungen bringt El Niño das Wetter auf komplexe und vielfältige Weise durcheinander. So kommt es durch den Klimawandel verstärkt zum sogenannten „Super-El-Niño“ mit extremen Folgen: Dürren, Waldbrände, Starkniederschläge und Überschwemmungen.
Während es so zu verheerenden Überschwemmungen im Norden Perus kommt, herrschen im Süden Dürren, erklärt der Direktor der Autoridad Administrativa del Agua UV (ANA).

Rückgang der Wasserquellen Perus
Auch der Pegelstand des Titicaca-Sees, der größte See Perus, hat bereits 60 cm abgenommen. Außerdem ist ein deutlicher Rückgang von Mooren, Quellen, sowie von Gletschern und Bächen, die Ursprung von Flüssen und Seen sind, gemessen worden. Innerhalb der letzten 50 Jahre hat Peru etwa die Hälfte seiner Gletscheroberflächen durch den Klimawandel verloren. Zwei der 18 existierenden Schneebergketten Perus sind bereits verschwunden, weitere fünf könnten bald ein Teil der verschwundenen Schneeriesen werden; sie haben bereits mehr als 90 % ihrer Gletscheroberfläche verloren. Dadurch gehen auf lange Sicht auch Flüsse und Seen verloren, die bislang durch das Schmelzwasser der Gletscher gespeist werden.
Yadira Curo Rosales (INAIGEM) zeigt, dass der Verlust immer mehr an Fahrt aufnimmt: während innerhalb von gut 50 Jahren (1962-2016) noch ein Rückgang von nur 6 % zu messen war, lag dieser in den vier Jahren zwischen 2016 und 2020 bereits bei 36 %.
Der Rückgang der Gletscher und Seen hat auch Auswirkungen auf Produktionssysteme und Lebensgrundlagen der Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Regionen.
Doppelte Klimaungerechtigkeit – Perus indigene Bevölkerungen besonders hart getroffen
Durch den Temperaturanstieg kommt es vermehrt zu Extremwetterereignissen und Klimakatastrophen wie Waldbränden, Austrocknung des Graslandtyps Puna, sowie Wüstenbildung, um nur einige Auswirkungen zu nennen.
Peru treffen die Folgen des Klimawandels hart. Unter anderem aufgrund seiner hohen Armutsquote ist es das drittgefährdetste Land durch den Klimawandel laut eines Berichts des peruanischen Umweltministeriums in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen. Dabei sind die CO₂-Emissionen Perus relativ gering. Die Peruaner:innen leiden also verhältnismäßig stark unter dem Klimawandel, sind aber nicht die Hauptverursacher. Besonders betroffen von dieser doppelten Ungerechtigkeit ist die indigene Bevölkerung Perus. Denn diese trägt durch ihre traditionelle Landwirtschaft dazu bei, Treibhausgase zu binden und sind klimaneutral bzw. sogar klimapositiv. Gleichzeitig ist ihr traditioneller Lebensstil durch unregelmäßige Regenfälle, Dürren, Veränderungen des landwirtschaftlichen Kalenders und andere Folgen der globalen Erwärmung gefährdet, für die sie nicht verantwortlich sind.
Globale Ungleichheiten und Klimagerechtigkeit / Klima(un)gerechtigkeit
So stellt der Bericht zur weltweiten Ungleichheit 2022 des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) einen starken Zusammenhang zwischen den finanziellen Ungleichheiten und dem Beitrag zum Klimawandel fest: Wer mehr Geld hat, stößt verhältnismäßig auch mehr CO₂ aus. So sind die 10 reichsten Prozent der Welt für knapp die Hälfte der gesamten Emissionen verantwortlich, während die ärmste Hälfte der Bevölkerung nur 12 % dieser Emissionen zu verantworten hat.
So sind die Industrieländer (wie etwa Deutschland) stärker für den Klimawandel verantwortlich als Entwicklungsländer wie in diesem Artikel beschrieben Peru.
Doch noch immer finden viele Klimafolgen, wie die Auswirkungen durch das Schwinden des Sees Piuray, kein Gehör in der internationalen Klimapolitik. Schäden und Verluste (englisch „Loss and Damage“)- Programme werden immer wieder diskutiert, aber spätestens an der Umsetzung hapert es. Der Green Climate Fund sollte seit 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar bereitstellen. Das Geld sollte zum einen in Projekte zur Minderung von Treibhausgasemissionen fließen und zum anderen zur Anpassung an die globale Erwärmung in Entwicklungsländern beitragen. Im Jahre 2021 wurden allerdings lediglich Projekte mit einem Wert von 14,4 Milliarden US-Dollar durchgeführt. Auf der Weltklimakonferenz (COP28) 2023 in Dubai wurde sich auf einen Schäden und Verluste-Fond von 700 Millionen US-Dollar geeinigt. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, was dieses Geld erreichen wird.
Bis dahin sind etliche Kommunen auf sich allein gestellt, um Klimaprobleme zu lösen, die sie nicht alleine zu verantworten haben. So auch in Cusco und dem See Piuray. Hier wird regional weiterhin nach Lösungen gesucht, um die Sorgen um den See Piuray und die Wasserversorgung Cuscos zu klären. Es bleibt abzuwarten, ob es dort nur beim Reden bleibt oder vielleicht doch Verantwortung übernommen wird und Taten folgen.
