Rassismus tötet – auch in Deutschland

Black-Lives-Matter-Demo in Köln (Foto: Michelle Minani)

Der gewaltsame Tod von George Floyd in Minneapolis hat die ganze Welt erschüttert. Aber nicht nur in den USA sterben Schwarze und People of Color aufgrund ihrer Hautfarbe. Auch in Deutschland ist Rassismus ein reales Problem.

Please I can’t breathe. My stomach hurts. My neck hurts. Everything hurts. Mama, Mama. They’re going to kill me.

Dies waren die letzten Worte des Afroamerikaners George Floyd, der am 25. Mai 2020 auf offener Straße in Minneapolis von einem weißen Polizisten ermordet wurde. Acht Minuten und 46 Sekunden lang kniete der Polizist auf seiner Kehle bis George Floyd bewusstlos wurde und anschließend starb. Bis heute habe ich mir das Video nicht komplett angeschaut, weil es mir mein Herz als Afrodeutsche zerreißt. Zu sehen, wie ein weißer Polizist einen Schwarzen Mann aufgrund seiner Hautfarbe umbringt, macht mich traurig, fassungslos und wütend zugleich. Ich fühle mich betroffen. 

„Rassismus ist nicht schlimmer geworden, er wird jetzt gefilmt“, erklärte der Schauspieler Will Smith treffend. Laut der „Washington Post“ kamen im vergangenen Jahr 1.014 Schwarze durch die US-Polizei ums Leben – mehr als doppelt so viele wie weiße US-Amerikaner*innen. 

„Rassismus tötet nicht nur in den USA“

Rassismus und Polizeigewalt ist nicht ausschließlich ein Problem der USA. Bundesminister Heiko Maas schrieb dazu auf Twitter passend: „In Deutschland leben 30.000 Rechtsextremisten. Es gibt rassistische Übergriffe, schwarze Menschen werden diskriminiert, Juden wird die Kippa vom Kopf gerissen. Wir müssen zuerst mal vor der eigenen Haustür kehren. Rassismus tötet nicht nur in den USA“. Doch wieso gibt es in Deutschland keine Vorreiter gegen Rassismus und rassistische Diskriminierung? Gerade mit unserer geschichtlichen Vergangenheit sollten wir doch die Ersten sein, die ihre Stimme erheben. Ich habe den Eindruck, dass sich die weiße Mehrheit nicht traut, sich dagegen zu positionieren.

Ich erinnere an Oury Jalloh aus Sierra Leone, der im Januar 2005 von der Polizei mit fixierten Händen und Füßen in eine Gewahrsamszelle in Dessau gebracht wurde. Zwei Stunden später war er in der Zelle verbrannt. Obwohl alle Fakten dagegensprechen, beharrt die Polizei bis heute darauf, dass es sich dabei um einen Suizid handelt. Anfang 2019 wurde der Fall eingestellt. Ähnliches ereignete sich beim Fall Ahmet Ahmad, der 2018 in einer Polizeizelle in Kleve nach Wochen in Untersuchungshaft durch einen Brand starb. Seine Hilferufe wurden vom Justizpersonal ignoriert. Zudem stellte sich heraus, dass Ahmad fälschlicherweise im Gefängnis saß. 

Ich erinnere auch an Robble Warsame aus Somalia, der 2019 in einer Ausnüchterungszelle in Schweinfurt ums Leben kam. Er soll sich mit einer Decke stranguliert haben. Ich erinnere auch an die Nigerianerin Christy Schwundeck. Auch sie gehört zu jenen Opfern, deren Fall mittlerweile eingestellt wurde. Im Mai 2011 wurde die 39-Jährige in einem Frankfurter Jobcenter erschossen. Die verantwortliche Polizeibeamtin gab an, „aus Notwehr“ gehandelt zu haben. Dies sind nur einige von etlichen Vorfällen, die zeigen, dass institutionalisierter Rassismus bei der Polizei auch in Deutschland ein Thema zu sein scheint, über das gesprochen werden muss. 

Rassismus gegen Deutsche gibt es nicht

Trotz dieser tragischen Geschichten sprechen einige allen Ernstes von „All Lives Matter“ statt „Black Lives Matter“. Das Einzige, das Schwarze und PoC fordern, ist Gleichberechtigung – und das seit Jahrzehnten. Alle, die der Meinung sind „All Lives Matter“, haben das Problem immer noch nicht verstanden. Es geht nicht darum, dass Weiße keine Probleme haben. Es geht darum, dass die Hautfarbe von Weißen das Leben nicht erschwert und dass sie systematisch und institutionell nicht benachteiligt werden. Darum, dass die weiße Menschheit privilegiert ist. Darum, dass ihr nicht auf offener Straße beleidigt werdet, weil ihr Schwarz seid. Darum, dass ihr als kleines Kind keine Angst davor haben musstet vor die Tür zu gehen, weil gerade eine Nazi-Demo stattfand. Darum, dass euch noch nie gesagt wurde, dass ihr zurück in das Land gehen sollt, wo ihr herkommt. Darum, dass euch nicht immer wieder bewusst gemacht wird, dass ihr ja eigentlich nicht deutsch sein könnt, weil ihr nicht so ausseht. Und so weiter. 

Und als wäre das nicht schon traurig genug, trendet auf Twitter derzeit der Hashtag „Rassismus gegen Deutsche“. Natürlich in die Welt gerufen von AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen, der scheinbar darunter leidet, als „Deutsche Kartoffel“ beschimpft worden zu sein. Lieber Herr Meuthen, das ist albern, aber in keiner Weise mit Rassismus zu vergleichen. Es gibt Vorurteile, Diskriminierungen und Mobbing von Schwarzen und PoC gegenüber weißen Menschen.  Was ich unter dem Hashtag verstehe, ist Whataboutism. Der Whataboutism ist eine reine Ablenkung, weil sich weiße Personen nicht mit dem Anti-Rassismus auseinandersetzen wollen. Stattdessen lenken sie ihren Fokus auf ein Problem, welches es gar nicht gibt und stellen sich mal wieder in den Mittelpunkt. Rassismus gegen Deutsche heißt, wenn überhaupt nur, dass man keinen Rassismus erfährt, weil man deutsch ist, sondern obwohl man deutsch ist.

Anti-Rassismus ist kein Trend 

Am 6. Juni gingen Tausende in Deutschland auf die Straßen, um gegen Rassismus zu protestieren. Auch ich war ein Teil der Demo. Wenn wir also unsere Gesundheit riskieren, um zu protestieren, dann wissen wir, dass wir in einer Welt leben, wo wir mehr Angst vor Rassismus haben als vor einer Pandemie.

Doch steht wirklich ein Wandel bevor? Oder wird in zwei Wochen das Thema wieder totgeschwiegen? Und wie viel virtuelle Solidarität bleibt noch übrig, wenn man die schwarzen #blackouttuesday-Bilder auf den sozialen Netzwerken entfernen würde? Ich hoffe, dass die derzeitigen Proteste für viele ein Anstoß sind, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Es ist wichtig, uns zuzuhören und sich auch außerhalb des Internets mit dem Thema zu beschäftigen. Zumindest diesmal fühlt es sich so an, als könnte sich wirklich etwas verändern. Es ist schön und gut, wenn sich jetzt viele in Deutschland mit George Floyd solidarisieren. Aber vergessen wir nicht, dass auch hier die Lage nicht sonderlich gut ist. Wenn sich nichts ändert, wird es weiterhin heißen: Rassismus tötet.