Seit Jahrtausenden sind Toiletten Orte der inneren Einkehr und Entspannung. So auch an der Universität Hamburg. Was für den passionierten Klogänger des 20. Jahrhunderts die Zeitung oder das zerfledderte Magazin waren, ist an der UHH der Sticker und das Wandgekritzel. Einige würden sogar so weit gehen und der Renaissance des Höhlengemäldes den Status einer eigenen Kunstform zusprechen: der Klo-esie. Egal, ob Kunst oder nicht: Sticker und hastig mit Edding an die Wand geschriebene Botschaften erzählen viel mehr über unsere Uni als man denkt und machen nebenbei jeden Toilettengang zu einem lyrischen Spektakel.
von Lasse und Julia
From the Leistungskonto to the Service: Die erdrückende Herrschaft des Studieninfonetz (STiNE)

Für die Studis der UHH ist das nicht nur optisch etwas in die Jahre gekommene Studien-Infonetz kurz STiNE ein ständiger Begleiter. Auf diesem totschicken Portal kann man alles über seine vergeigten Klausurergebnisse und verpassten Vorlesungstermine erfahren. Legenden besagen, dass man über STiNE sogar mal eine Live-Übertragung der ersten Fußball-Bundesliga schauen konnte. Das war allerdings vor unserer Zeit. Da die guten Zeiten dieses Universitäts-Facebooks nun schon länger vorbei sind, überrascht es kaum, dass der ein oder andere sich endlich ein Ende der Herrschaft von STiNE wünscht. Etwas neues muss her. Ein Anfang wäre es, STiNE von seinem hässlichen Layout zu befreien. In diesem Sinne #FreeSTiNE.
Uni ist politisch
Nirgendwo in der Uni, noch nicht mal in den Seminarräumen, wird so aufmerksam gelesen wie auf der häufig eiskalten Toilette im VMP 9. Warum dort also nicht auch mal etwas wichtiges stickern. Das dachten sich sicherlich die Organisatoren der BAföG-für-Alle Demonstration und das Team von TVStud (Link zu unserem Artikel).

TVStud ist eine bundesweite Initiative, die schon seit Jahren für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von studentischen Hilfskräften, Assitent:innen und Tutor:innen kämpft. Das Ziel der BAföG-für-Alle Kampagne erklärt sich von selbst. An der UHH sind selbst in Zeiten von Social Media Sticker immer noch das Mittel der Wahl, wenn es um die Kommunikation wichtiger Botschaften geht. Es würde kaum überraschen, wenn die Projekte der beiden Gruppen durch die Toilettenlektüre einiges an Zulauf erhalten hätten.
Herzerwärmend wird es dann, wenn auch etwas Aufklärung passiert? Naja, wie pflegen wir denn nun die Nazis weg?

ISREAL GAZA
Kaum eine Kritzelei ist auf den Toiletten und Fluren der UHH so präsent wie „Free Palestine“. Auch erinnerungswürdig da natürlich, der Free Palestine Schriftzug, der uns nach den Semesterferien dieses Wintersemester an der Fassade des WiWi-Bunkers begrüßte. Aber es ist nicht immer der große Schriftzug, sondern überall der Versuch auf diesen Konflikt hinzuweisen. Die Kritzeleien geben einen Eindruck wie die öffentliche Diskussion zu diesem Thema auch außerhalb der Uni Toiletten aussehen. Denn die Studis der UHH sind sich in dieser Frage keineswegs immer einig.



Und fast symbolisch gewinnt hier oft die Seite mit dem am besten deckenden Stift.
Im Kern dieser Klo-Diskurse steht jedoch immer wieder die Frage: Wer war zuerst da? Was gehört hier eigentlich zusammen? Und wer hat ständig so einen dicken Marker dabei?
Gender GAGA
Natürlich bieten Toiletten auch einen Anlass über das Thema Gender zu sprechen. Das ist kein Wunder bei der peniblen Einteilung in Frauen- und Männertoiletten. Diese strikte Trennung ist aber kaum noch zeitgemäß.

Ist das Klo-esie oder Schwachsinn?
Bevor es hier aber zu politisch wird, einmal der Beweis, dass Studis in Sachen Humor auch gerne mal Niveaulimbo betreiben. Vielleicht ist dieser Zweizeiler aber auch Klo-esie und wir übersehen die tiefgründige Botschaft. Wie bei allen großen Kunstwerken wird erst die Nachwelt darüber entscheiden können.


Nicht nur in den Seminarräumen der Universität Hamburg wird Forschung, Lehre und Bildung großgeschrieben. Auch die Fluren sind gern genommene Leinwände für die wichtigsten Erkenntnisse aus der Lektüre von Foucault.

Der journalistischen Sorgfalt entsprechend ist jedoch an dieser Stelle anzumerken, dass dieses Zitat NICHT vom französischen Philosophen Michel Foucault stammt, sondern die Online-Redaktionen dieser Welt (geo.de/geolino, brigitte.de und studyflix.de) mit der Frage ringen lässt, ob es sich nun um eine Redewendung handelt oder nicht. Das Ergebnis? Nein. Diese sinnlose Wortaneinanderreihung würde in der Alltagssprache jedoch dafür genutzt, um absurde Diskussionen abzuwürgen. Da wären wir dann also doch wieder im Uni-Kontext.
Und vielleicht steckt ja doch etwas Wahrheit darin: Lest euch dieses Zitat aufmerksam durch und achtet in der nächsten Kälteperiode mal darauf.
Interpretationsspielräume und Ratlosigkeit
Die Frage: ist es Kunst oder kann das weg hat schon zahlreiche Postkarten Designer dieser Bundesrepublik beschäftigt. Im schlechtesten Fall brauchen wir für die Entzifferung der Klo-esies jedoch unsere Erinnerungen an den Deutschunterricht in der Oberstufe.

Denn: wir wissen nicht ob es sich bei diesem kurzen poetischen Ausrutscher um einen doppelhebigen Jambus handelt und vor allem wissen wir nicht:
Sind politisch motivierte Menschen Schlampen? Oder sind Schlampen politisch motiviert?
Ob die Autor*innen sich jedoch solch tiefgreifende Gedanken gemacht hat, kann zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig festgestellt werden. Wahrscheinlich gilt in diesen Fällen: Das Werk ist klüger als der Künstler.

Und auch hier bleiben wir ratlos zurück: was soll gesucht werden? Wohin sind sie gegangen? Nichtsdestotrotz sind wir jetzt etwas panisch und werden in Zukunft weniger Zeit auf dem Klo verbringen.
Oder doch: Poesie
Wenn man die politische Auseinandersetzung und etwaige witzige oder verwirrende Kritzeleien bzw. Kunstwerke durchgelesen hat, landet man gut und gerne auch mal bei tiefgehenden Weisheiten.
Dort hockt man dann bei 2 Grad Raumtemperatur, versucht die Toilettenbrille niemals zu berühren und liest poetische Zeilen, während ein Kleinkind einen von einer Bar aus kritisch beäugt. Ein entspannter Klogang sieht wahrlich anders aus.

Die schönste Nebensache der Welt (nicht Fußball)

Junge Menschen und vor allem Studis denken häufig nur an eines: Wie sie eine 15-seitige Hausarbeit in drei Tagen schreiben können. Ganz selten geht es aber auch mal um die körperlichen Freuden, die dieses Leben zu bieten hat. Hier ein doch sehr expliziter Aufruf, damit nicht erst im heimischen Schlafzimmer anzufangen. Ein kleiner Service-Tipp: So gemütlich ist es gar nicht auf den Toiletten des VMP5. Lasst den Scheiß!
