„Aller Anfang ist kurz“: Eine Reflexion über die Geschichte des Kurzfilms

Volksbühne am Rosa-Luxemburgplatz in Berlin Mitte während des InterFilm Festivals Foto: Yair Stolik

Nach einem Besuch des InterFilm Festivals in Berlin, sind die Türen geöffnet zu einer Reflektion über die Anfänge des Kurzfilms. Wieso der Kurzfilm ein relevantes Outlet von Kreativität und Hingabe ist, zeigt sich in Begegnungen auf dem Festival. Es ist dabei nicht vermeidbar, den klassischen Kurzfilm in ein modernes Licht zu rücken. 

von Verena

Im Saal ist es erstaunlich unruhig in dieser Eröffnungsnacht. Ganz anders als man es in der Oper oder in einem Kino erlebt. Doch auch dies ist Teil der Kultur. Alles ist nicht ganz so perfekt und groß, sondern eher alternativ und klein gehalten. Gezeigt werden schließlich Kurzfilme, die kleine Schwester des Spielfilms.

Dennoch ist auch hier viel Mühe im Detail versteckt. Zehn Meter über dem Boden performt eine Arial Hoop Akrobatin zwischen zwei Stoffbahnen in der Volksbühne in Berlin Mitte. Dabei stellt sie ihren Körper zur Schau, während im Hintergrund Tonspuren aus verschiedenen Filmen laufen. Das besondere an diesen Filmen ist dabei, dass sie sich alle mit dem Thema Körper und Körperlichkeit beschäftigen. Das InterFilm Festival wurde 2024 40 Jahre alt und hat als Thema „Embodiment“ gewählt. 

Somit sind viele der Filme in den insgesamt 20 Programmen auf dieses Thema ausgerichtet und auch am Eröffnungsabend wird genau darüber gesprochen.

Doch schon im Foyer fragt man sich, was man denn auf einem Kurzfilmfestival macht. Selten werden spezifisch dafür produzierte Kurzfilme auf der großen Leinwand gezeigt. Das heißt außerhalb von Filmfestivals. Während große Festivals, wie etwa die Berlinale, das größte deutsche Filmfest, zumindest einzelne Kurzfilmprogramme erstellen, steht doch der Spielfilm im Zentrum. Auch in unserem alltäglichen Denken über Filme ist der Kurzfilm eine Randerscheinung, zumindest scheinbar.

Aller Anfang war kurz

Historisch betrachtet, ist der Kurzfilm eigentlich der ursprüngliche Film. Die ersten Filme gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts waren vor allem Experimente. Es wurde herumexperimentiert mit dem, was Film eigentlich kann. Die Macher dieser Kurzfilme waren die Pioniere unseres modernen Films. Sie spielten mit Perspektiven, Belichtung und Effekten, die wir zum Teil noch heute benutzen bzw. die uns noch heute bezaubern. 

Erst nachdem das Filmemachen günstiger wurde und die ersten Tonfilme entstanden, wurde der Kurzfilm in den Hintergrund gedrängt. Und doch gibt es ihn bis heute. Er bleibt das Experimentiermedium für Filmemacher. Für viele Regisseure ist ein Kurzfilm die erste Arbeit. Für viele erprobte Filmemacher erlaubt er mehr Freiraum. Anders als bei einem Spielfilm, der mit einem hohen Investment verbunden ist, kann ein Kurzfilm auch ohne hohe Verluste ein Experiment erlauben. Somit fällt auch beim InterFilm Festival die Vielzahl an verschiedenen Stilmitteln auf. Den Mut, den manche Filme mitbringen, lässt sich nicht mit hergebrachten Normen des Films vergleichen. Anders als beim Spielfilm wird hier erlaubt, auch einfach einmal eine Idee zu zeigen und nicht eine voll ausgereifte Geschichte.

Ein relevanter Teil unserer Welt

Rachid ist ein Film der belgisch-marokkanischen Filmemacherin Rachida El Garani. Sie ist eigentlich Dokumentarfilmerin, mit Rachid hat sie sich jedoch an eine Komödie gewagt. Komödien gelten für die Filmemacherin und auch für viele andere als eines der schwersten Genres in der Umsetzung. Dennoch hat sie mit ihrem Film Preise gewonnen und sich dadurch einen Namen machen können.

Die chinesische Regisseurin Yixin Zhang hingegen tritt in der Green Film Competition an. Ihr Film, Mega Foundry,  ist das Portrait einer Fabrik im Süden Chinas. Im kurzen Interview, berichtet sie davon, dass in einer ähnlichen Fabrik die Wahlkampfcappies für Donald Trump hergestellt wurden. Ein Zufall, dass die Wahlergebnisse am Tag vorher feststehen. Somit spiegelt ihr kurzer, ohne Worte auskommender, filmischer Beitrag einen relevanten Teil unserer Welt wieder.

Filmemacherin Rachida El Garani(mitte) und Filmemacher Cédric Prévost
Foto: Yair Stolik

Jeder fängt einmal klein an

Er mag immer wieder niedergeredet werden als unwichtig oder gar eine Randerscheinung. Für viele Regisseure ist er aber ein Sprungbrett. So ist es nicht verwunderlich, dass heute die Kurzfilme von Bon Joon Ho („Parasite“, „Oldboy“) und Coralie Fargeat („The Substance“) auf Mubi gezeigt werden. Mubi ist dabei nach wie vor ein Nischen-Streamingdienst, und dennoch wird hier gezeigt wie sich Karrieren entwickeln können. Aber auch große Namen wie etwa Wes Anderson („Grand Budapest Hotel“, „Asteroid Ciy“) greifen immer wieder auf den Kurzfilm zurück. Natürlich oft mit einem deutlich höheren Budget. So kamen die Wes Anderson Interpretation der Roald Dall Kurzgeschichten, die auf Netflix zu finden sind, auf ein Budget von mehreren Millionen Euro. Davon können die angehenden Filmemacher auf dem InterFilm Festival natürlich nur träumen und dennoch versuchen sie ihre Botschaft zu vermitteln.

Moderne kurze Filme

Ist man nun aber in der Popkultur angelangt, müssen sich zum Thema Kurzfilm ganz neue Fragen stellen. Millionen Nutzer:innen auf Instagram und TikTok produzieren schließlich im Akkord neue „Filme“. Jeden Tag werden dabei Millionen von kurzen Videos produziert. Im Schnitt sind diese Videos zwar nur zwischen 15 und 60 Sekunden lang und doch nehmen sie einen integralen Teil unseres Medienkonsums ein.

Die Kontraste zwischen einem aufwändig produzierten Kurzfilm, wie er auf Filmfesten gezeigt wird, und einem TikTok Video können natürlich gewaltig sein und doch kann in beiden eine Botschaft transportiert werden. Die Macht, die dabei soziale Medien entwickelt haben, ist dabei nicht zu unterschätzen.

Den Kurzfilm sollte man somit nicht an den äußeren Rand der Filmwelt schieben. Auch auf dem InterFilm Festival kann es dabei um Revolutionen gehen. Die Filmemacherin Anna-Sophia Richard hat sich dabei mit der iranischen Sängerin Faravaz Faravardin zusammengetan. Sie musste aus dem Iran fliehen, da sie in ihrem Land nicht frei wählen kann, wie sie mit ihrem Körper umgeht. Verwandelt hat sie diese Erfahrungen nicht nur in provokative Texte gegen das iranische Regime, sondern auch in einen Dokumentarfilm.

Die iranische Sängerin Faravaz Faravardi
Foto_Yair Stolik

Events voller Filmfans

Und damit ist das InterFilm Festival und die vielen anderen Kurzfilm-Festivals anders als TikTok oder Instagram. Es ist eine kulturelle Plattform, wo man zumindest sein Gesicht in einem Kino zeigen muss, wenn man gegen oder für jemanden sprechen möchte. Viele der beeindruckenden Werke werden nur wenige Male vor einem großen Publikum gezeigt, somit ist es für die Filmemacher umso wichtiger bei solch einer Gelegenheit Kontakte zu knüpfen.  Die Ideen, die in ihnen stecken, können zu mehr führen. Um diese Ideen auch einem breiteren Publikum zu eröffnen, braucht es Geld und jemanden, der an eine Idee glaubt, und wo sollte man so jemanden besser finden als auf einem Event voller Filmfans, Filmemachern und Unterstützern.