gelesen: Sorry, aber…

Zu sehen ist das Cover des neuen Buches von Tara-Louise Wittwer, das am 02.05. erschienen ist: Sorry, aber...: Eine Verzichtserklärung an das ständige Entschuldigen. Am 02.05. erschien das neue Buch von Tara-Louise Wittwer: Sorry, aber…: Eine Verzichtserklärung an das ständige Entschuldigen. (Foto: Knaur)

Sorry, aber… ist eines dieser Bücher, bei denen nach nur wenigen Sätzen der Widmung bereits klar wird, wie viele Sterne es auf Goodreads, StoryGraph & Co. verdient hat: sehr viele. Mit ihrem ehrlich-direkten und humorvollen Schreibstil dekonstruiert die Autorin unsere Entschuldigungskultur, seziert in fesselnder Weise deren Auswirkungen und plädiert für ein Ende des inflationären „Sorry“-Gebrauchs.

Entschuldigungen sind kaum aus unserem Alltag wegzudenken. Ein kurzes „Sorry, aber dürfte ich mal?“ vor dem von quatschenden Menschen versperrten Nudelregal im Supermarkt. Oder ein „Sorry, aber Sie stehen auf meinem Fuß“ in der brechend vollen Bahn. Entschuldigungen sind alltäglich, fast schon überall präsent.

Tara-Louise Wittwer ist Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Content Creatorin (@wastarasagt). Besonders beliebt auf Social Media ist ihr Format „TikToxic“, in dem sie zum Beispiel auf Videos von Dating-Coaches reagiert, die krude Theorien hinsichtlich Geschlecht und Sexualität aufstellen und diese zum Maß aller Dinge erheben.
Auf Wittwers Bestseller Dramaqueen: Frauen zwischen Beurteilung und Verurteilung (2022) folgt nun ihr nächstes Sachbuch, das am 02.05. erschienen ist: In Sorry, aber…: Eine Verzichtserklärung an das ständige Entschuldigen setzt sie sich mit jenem Phänomen des Überentschuldigens auseinander – ganz gleich, ob im Supermarkt, in der Bahn oder an anderen Schauplätzen.

Sorry, aber…: Ein Mix aus Wissenschaft, Historie, Popkultur und persönlichen Erlebnissen

Neben wissenschaftlichen Studien wertet die Autorin auch popkulturelle Ereignisse aus und veranschaulicht die tiefe Verankerung der Entschuldigungskultur durch persönliche Anekdoten aus Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter. So erzählt sie zum Beispiel davon, wie ihr aufgrund ihres vermeintlich zu harschen Kommunikationsstils nach nur wenigen Wochen gekündigt worden sei: Sie hätte zu wenige Smileys in ihren Arbeits-Mails verwendet und außerdem würden Sätze in der Firma grundsätzlich mit Entschuldigungen eingeleitet werden, um auszudrücken, dass man die Zeit der anderen Mitarbeitenden schätze – das hätte Wittwer nicht ausreichend getan.
Durch ihre detailreiche Nachzeichnung von Erfahrungen und Erlebnissen können sich Lesende mit den Inhalten identifizieren, sich in bestimmten Situationen und/oder Verhaltensmustern wiederfinden. Vor allem aber wird deutlich, wie alltäglich Entschuldigungen sind.

Auch ein grober historischer Abriss darf in Sorry, aber… nicht fehlen, um zu erörtern, warum gerade weiblich sozialisierte Personen sich so häufig entschuldigen. So geht Wittwer beispielsweise auf die Scold’s Bridle ein, eine Foltertechnik des Mittelalters für Frauen (und nur Frauen), die zu laut waren oder Widerworte gaben. Es handelt sich um eine Art eisernen, dornigen Maulkorb, der selbst Trinken unmöglich machte und der Frauen einen bis mehrere Tage angelegt wurde.

Die Scold’s Bridle ist eines von vielen im Buch angeführten Beispielen, das veranschaulicht, wie Frauen seit jeher darauf konditioniert werden, ihrem Rollenbild zu entsprechen: möglichst still und unterwürfig zu sein.
Wittwer analysiert gesellschaftliche Normen und historische Prägungen scharfsinnig, deren Betrachtung unausweichlich für die Erklärung dafür ist, warum sich gerade viele Frauen so oft entschuldigen – und das meist grundlos.

Ent-schuldigungen: Taylor Swift, People-Pleasing und der Kapitalismus

Ist es in Ordnung, Entschuldigungen abzulehnen? Kann ich mich einfach entschuldigen oder muss ich um Entschuldigung bitten? Und für wen ist die Entschuldigung gedacht: Will ich mich bloß von meinem eigenen Schuldgefühl befreien, mich ent-schuldigen, oder tut es mir wirklich leid? Muss ich mich überhaupt für bestimmte Dinge entschuldigen?
Diesen und vielen weiteren Fragen geht Wittwer in ihrem Buch nach. Sie zeigt dabei auf, dass sich selbst Celebrities wie Taylor Swift in Interviews zum Beispiel dafür entschuldigen, emotional zu werden – also für Dinge, für die sie sich schlichtweg nicht entschuldigen müssten.

Die Autorin setzt sich außerdem mit People-Pleaser:innen und deren Entschuldigungsverhalten auseinander. Sie stellt fest, dass jene Personen, die immerzu allen gefallen und es allen recht machen möchten, sich möglichst wenig entschuldigen: Weil sie es gar nicht erst so weit kommen lassen wollen, dass sich jemand auch nur potenziell an ihnen stören könnte. Welche Gefahren dieses entschuldigungs(ver)meidende Verhalten birgt, wird ebenfalls thematisiert.

Nicht zuletzt setzt sich Wittwer auch mit öffentlichen Entschuldigungen von Prominenten (zum Beispiel in Form von YouTube-Videos) sowie von großen Marken wie Balenciaga auseinander und wirft dabei weitere Fragen auf: Sind ihre Entschuldigungen tatsächlich ernst gemeint? Welche Rolle spielt die Angst davor, gecancelt zu werden? Sind Tränen ein Garant für Reue, Symbol einer ernst gemeinten Entschuldigung? Und inwiefern hat der Kapitalismus mit alledem zu tun?

Sorry, aber… ist nicht nur eine Verzichtserklärung an das ständige Entschuldigen, es ist auch eine Einladung, die eigenen, im Laufe der Sozialisierung antrainierten und im Alltag (kontinuierlich) performten Entschuldigungsgewohnheiten zu überdenken. Darüber hinaus sensibilisiert das Buch für eine kritische Wahrnehmung öffentlicher Entschuldigungsszenarien. Sorry, aber… ist ein feministisches Plädoyer für Veränderungen in unserer äußerst ausgeprägten Entschuldigungskultur.

Zukunft der Entschuldigungen

Doch was bedeutet das nun für den Alltag? Auf Nimmerwiederhören, Entschuldigungen?

Wittwer hält in ihrem Buch fest, dass sie nicht aufhören will, sich zu entschuldigen. Sorry, aber… ist kein Manifest gegen die grundsätzliche Aussprache von Entschuldigungen. Vielmehr geht es darum, sich bewusst zu entschuldigen, sich dann zu entschuldigen, wenn man es auch wirklich so meint. Schließlich ist ein schnell abgefeuertes „Sorry“ auch keine Universallösung für jegliche Probleme.

In Sorry, aber… geht es darum, sich (besonders unter Berücksichtigung von Geschlecht) nicht für Dinge entschuldigen zu müssen, für die man sich nun mal einfach nicht entschuldigen muss. Die Autorin macht dabei aber auch sichtbar, dass der Weg dorthin herausfordernd sein kann und dass es auch für sie in bestimmten Situationen noch immer schwierig ist, sich endgültig von dem jahrelang verinnerlichten Entschuldigungskult loszulösen.

Sorry, aber…: Top oder Flop?

Wuschwuschwusch macht es beim Lesen, denn als Leser:in blättert man sich in null Komma nichts bis zum Ende des Buches vor: Trotz der Be- und Abhandlung auch durchaus belastender Themen sorgt Sorry, aber…mit seinem humorvollen, mitreißenden, aber vor allem persönlichen Schreibstil dafür, dass man es schlichtweg nicht aus den Händen legen kann – geschweige denn will. Es ist, als klebten die Finger förmlich an dem lilafarbenen Einband fest, solange nicht jede einzelne Seite, jedes einzelne Wort mindestens einmal inhaliert wurde. Sorry, aber es geht einfach nicht anders.


Autorin
: Tara-Louise Wittwer

Titel: Sorry, aber…: Eine Verzichtserklärung an das ständige Entschuldigen

Verlag: Knaur

Preis: 18,00 € (Paperback)

Seitenzahl: 208

ISBN: 978-3-426-44681-2