gelesen: „Stärker als Wut“

Stärker als Wut

Stefanie Lohaus wurde als Feministin vor allem dadurch bekannt, dass sie das feministische Pop-Magazin „Missy“ mitbegründet hat und es bis heute herausgibt. Wie sie dorthin gekommen ist und was die gesellschaftliche Darstellung von Geschlecht damit zu tun hat, ist Inhalt ihres neuen Buchs. 

von Daria

„Stärker als Wut“ ist eine biographische Analyse

Die in Jahrzehnte unterteilten Kapitel fangen dabei in den 80er Jahren an und enden im Heute der 20er Jahre . Die Entwicklung einer heranwachsenden Frau und den gesellschaftlich diskutierten Konstrukten von Geschlecht zeigt eine widersprüchliche Erwartungshaltung an Lohaus. Auf der einen Seite ist Feminismus ein anderes Wort für Männerhass und davon gilt es, sich gerade in der Schulzeit abzugrenzen, um als begehrenswert wahrgenommen zu werden. Auf der anderen Seite beginnt sie, erste Ungerechtigkeiten zu erleben. Den ersten Kontakt mit dem Thema Geschlecht hatte Lohaus als stille Beobachterin der abendlichen Gespräche von Erwachsenen, welche die Gleichstellung der Geschlechter befürworteten, aber immer wieder auf grundlegende biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen verweisen. Feminismus sei inzwischen überflüssig. Man hätte schon alles erreicht. So führt Lohaus in „Stärker als Wut“ die Leser:innen durch ihr Leben und schreibt über ihre erste Periode, die ersten Beziehungen und schließlich die ersten sexuellen Belästigungen.

Lohaus skizziert eine Geschichte des Feminismus

 

Durch die Unterteilung in die verschiedenen Jahrzehnte ihres Lebens veranschaulicht Lohaus die Entwicklung des Feminismus in der öffentlichen Wahrnehmung. Das Gleiche gilt für die inhaltlichen Veränderungen der Bewegung. In den 80ern wurde Feminismus als überholt angesehen. Die 68er-Bewegung lag einige Jahre zurück und die 80er waren von der Überzeugung geprägt, es habe sich genug getan. In den 90ern wurde Feminismus ebenfalls als veraltet angesehen. Es trat der Postfeminismus auf die Bühne. Unter dem Motto von Girlpower wurden Frauen dazu ermutigt, autonom alles werden zu können, was sie wollten. Es war eine Zeit der gegenseitigen Solidarität und Frauenfreundschaften. Was jedoch aus dem Blick geriet, waren die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, die weiter existierten.

Die Frauen- und Lesbenbewegung der 68er Jahre hatte Veränderung durchgesetzt. In Institutionen wurden Gleichstellungsbeauftragte eingesetzt und Gesetze zur Gleichstellung wurden auf den Weg gebracht. Die Umsetzung erschwerte sich dann jedoch merklich. Den Gleichstellungsstellen fehlten Ressourcen und Gesetze ohne gesellschaftlichen Wandel bringen nicht all zu viel. Die 2010er waren gerade durch das Aufkommen von Social-Media ein Jahrzehnt, in dem Feminismus zum Trend wurde. Wer als hip gelten wollte, bezeichnete sich als Feministin. Von Beyoncé bis Ivanka Trump wurde dieses Label in Anspruch genommen, mal mehr, mal weniger passend. Sowohl der Queerfeminismus, als auch der intersektionale Feminismus bekamen durch Social-Media mehr Gehör. Dieser Fortschritt ist immens, wenn man sich vor Augen hält, wie weiß und akademisch die Frauenbewegung bis heute wahrgenommen wird. Doch eine umstrittene Entwicklung ist die Kapitalisierung des Feminismus. Wenn Feminismus Trend ist und warenförmig wird, geht es nicht mehr nur darum, was die Einzelne empfindet, sondern vor allem, was sie konsumiert. Doch Lohaus ist der Meinung, dass es ein Erfolg sei, dass Feminismus Trend geworden ist, dass Pop und Kapitalismus Werkzeuge sein können, um Veränderung zu schaffen.

Mit „Stärker als Wut die eigene, feministische Wut besser fassen

Bei der historischen Betrachtung feministischer Bewegungen und Errungenschaften kann man schon mal den Titel aus dem Blick verlieren. Die Wut, die angesprochen wird, ist nicht der Mittelpunkt des Buchs. Trotzdem lohnt es sich, genau zu verstehen, welche Wut Lohaus in „Stärker als Wut“ meint und wie sie diese bewertet. Zum einen stellt sie heraus, dass Wut eine nachvollziehbare und die einzig gesunde Reaktion auf die herrschenden Verhältnisse darstellt. Wer sich dem Feminismus verschreibt, ist mit Frustration konfrontiert, die lähmend wirken kann. Auch Wut per se macht nicht handlungsfähig, aber sie kann dazu dienen, Handlungsunfähigkeit zu überwinden, wenn Strukturen und Maßnahmen geschaffen werden. Kritisches Denken und die Orientierung an Ideologie und Utopien geben Ideen, die nach Frustration und Ermüdung weiterführen können. Andererseits wird weibliche Wut in unserer Gesellschaft sanktioniert. Es ist ein Zwiespalt zwischen Hoffnung und der Aussetzung von Nachteilen, sich feministisch zu nennen. Also lohnt sich wütend sein mal mehr mal weniger, aber es kann wertvoll sein und weiterführen. Dass Lohaus mit „Stärker als Wut“ die weibliche Wut thematisiert und in einen historisch gewachsenen Gesellschaftsumstand setzt, ist enorm bereichernd, um die eigenen Gefühle zu verstehen

Beim Lesen fiel mir zunehmend auf, dass ich meine Bedenken über mein eigenes Erscheinungsbild als radikale Feministin und “Männerhasserin“ besser einordnen und verstehen kann. Ich habe durch ein Gefühl von tiefem Verständnis und Zusammenhalt verstanden, woher mein Frust kommt.

Ist Feminismus jetzt Trend?

Ja und Nein. Feminismus ist der Trend, sich als selbstbewusst zu betiteln. Was das genau heißt, kann individuell unterschiedlich sein. Von Altfeminist:innen bis hin zur Boss-Bitch kann Feminismus etwas gänzlich Unterschiedliches bedeuten. Was Feminismus aber immer bedeuten soll, ist die Umsetzung vom deutschen Grundgesetz. Und das verspricht Gleichheit. Wie das umgesetzt werden soll, darüber wird sich gestritten. Doch das Streiten lohnt sich. Der Kipppunkt, der dafür sorgen soll, dass alle, unabhängig von Geschlecht ein Recht auf Selbstbestimmung haben, kann erreicht werden. Wer verstehen will, wie sich die feministische Bewegung entwickelt hat, sollte „Stärker als Wut“ von Stefanie Lohaus lesen. Doch eine vollumfängliche Anleitung zu einer gerechten Gesellschaft ist das Buch natürlich nicht. Vielmehr bietet es einen Überblick über die letzten Jahrzehnte und stellt sie schonungslos dar. Sowohl die Errungenschaften als auch die Verkürzungen von Lösungsansätzen und die Streitigkeiten in der Lesben- und Frauenbewegung werden analysiert. Doch das Buch bleibt relativ oberflächlich, wenn es um feministische Theorien geht. Die Tatsächliche Idee von Geschlecht, was zentral für die wissenschaftliche Auseinandersetzung von geschlechterbezogener Gesellschaft ist, bleibt diffus. „Stärker als Wut“ reiht sich in die Werke popwissenschaftlichem Feminismus ein. Doch das ist auch der Ansatz des Buches. Es will eine breite Masse an Publikum anziehen. Die barrierearme Aufarbeitung von historisch feministischer Entwicklung ist ein weiterbringender Einsatz feministischer Arbeit. „Stärker als Wut“ kann besonders wertvoll für vor allem an historisch interessierten Menschen sein, die vielleicht noch gar nicht so viele Kontaktpunkte mit Feminismus hatten. Wer einen Beitrag aus der Genderforschung erwartet, sollte doch eher zu anderer Literatur greifen.

„Stärker als Wut“ ist aber in jedem Fall ein spannendes und niedrigschwelliges Buch, um auf Zugfahrten etwas zu tun zu haben, hier und da zu lachen und mit Sicherheit immer noch etwas zu lernen.