Am Freitag Aden 27.10.2023 prämierte „Iokaste“ im Schauspielhaus Hamburg. Blutig und zum Teil obszön, durfte der Zuschauer der Stadt Theben bei ihrem Niedergang zusehen. Es geht in dem Stück um unsere Gesellschaft und die Frage, nach menschlicher Verbissenheit.
Antike Dramen in Fünf Teilen
Basierend auf den antiken Dramen von Aischylos, Sophokles und Euripides, erfindet Roland Schimmelpfennig Anthropolis. Ein Stück in fünf Teilen, dass unter der Regie der Intendantin des Deutschen Schauspielhauses Karin Beier. Iokaste ist der vierte Teil dieser Serie.
Bruderkrieg in Theben
Es ist der Vorabend des Einmarsches Polyneikes (Paul Behren) nach Theben. Theben ist seine Geburtsstadt, hier ist er als Sohn von Ödipus und Iokaste (Julia Wieninger) aufgewachsen. Nachdem sein Vater sich selbst geblendet hatte, brauchte Theben einen neuen König. Polyneikes und sein Bruder Eteokles (Maximilian Scheidt) entschlossen sich dazu immer im Wechsel für jeweils ein Jahr König zu sein. Nachdem Eteokles nach einem Jahr nicht abtretten will und seinen Bruder Polyneikes aus der Stadt jagt, beschließt dieser die Stadt zurückzuerobern. Eher zerstört Polyneikes die Stadt, als sich mit seinem Bruder zu versöhnen.
Nun steht Polyneikes Heer vor den Stadttoren. Iokaste versuche ein letzte Mal ihre Söhne an einen Tisch zu bringen und Frieden zu schließen. Denn „es muss Frieden geben können“. Doch beide Brüder sagen nichts. Wenn sie doch sprechen, dann nur um sich selbst Recht zu geben. Somit spitzt sich die Situation im Verlauf der Nacht zu.
Während im Konferenzraum eine scheinbar politisch rationale Debatte geführt wird um einen Krieg abzuwenden, schickt der Seher Teiresias (Michael Wittenborn) den Jungen Menoikeus (Daniel Hoevels) in den Tod. Denn was kann einen Krieg eher verhindern, als das Opfer eines Individuums.
Doch weder Friedenskonferenz noch Menschenopfer verhindern die Eskalation der Gewalt und es kommt zum Kampf vor den Toren Thebens. In den Trümmern der Schlacht findet eine Mutter ihre beiden toten Kinder, weil keiner von beiden bereit war, für den Frieden zu verhandeln.
Die Inszenierung
Die Inszenierung balanciert zwischen antikem Heldenepos und kontemporären gesellschaftlichen Fragen. Die Handlung springt zwischen den Zeiten. Mal steht der Zuschauer vor den Toren Thebens vor 2500 Jahren dann wieder im Sitzungssaal einer modernen Friedenskonferenz.
Es geht um Krieg, die Bühne ist kaum beleuchtet, verhandeln wird an einem langen Tisch. Der Tisch wird länger, je weiter sich die Positionen der einzelnen Parteien voneinander entfernen. Somit ist auch Iokaste, die versucht die Kriegsparteien näher zu bringen, gezwungen weiter von beiden Seiten abzurücken. Das Stück lebt dabei von dem Aufbau von Illusionen: Den Illusionen in denen die Charaktere leben. Alle Seiten haben Recht, aber nur im Bezug auf ihre eigenen Vorstellungen
Jedoch ist fraglich, ob jede neue Inszenierung einen Menschen braucht, der von der Decke hängt oder eine Schauspieler:in die sich entblößen muss. Das Herabhängen ergibt dabei noch Sinn um einen verzweifelten Sturz in den Tod aufzuzeigen. Die einer Vergewaltigung gleichkommenden Gewalt zwischen Sohn und Mutter ist in einem Stück, das an allen Stellen Gewalt ausstrahlt, vielleicht konsistent, aber nicht notwendig. Iokastes Verletzlichkeit wird auch ohne eine solche Szene deutlich.
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Repetition des Dialogs, Vielseitigkeit im Schauspiel
Ein signifikanter Teil des Stückes besteht aus einem sich immer widerholenden Dialog. Diesen Dialog immer neu vorzutragen und dabei nicht in eine monotone Repetition zu verfallen ist dem Stück gelungen. Ganz besonders Wieningers Iokaste merkt man das Leid, das sie zu tragen hat, an. Ihr Charakter ist voller Ambivalenz. Diese kommt besonders zum Vorschein, wenn Iokaste sich fragt, wie determiniert das menschliche Leben ist.
Andere Charaktere scheinen hinter Iokaste zu verschwimmen, dennoch schaffen es Bahren und Scheidt die beiden Brüder in ihrer Wut aufeinander und in ihrer Selbstgerechtigkeit überzeugend zu verkörpern. Beide Brüder geben sich philosophisch und gesteuert vom Wunsch, eine besser Welt zu schaffen. Aber jederzeit ist deutlich, dass sie sich wie Kinder um ein Spielzeug, in diesem Fall die Stadt Theben, zanken.
Daneben verlieren sich die anderen Charaktere, wie etwa Menoikeus, Teiresias, Kreon (Ernst Stötzner) und Ismene (Josefine Israel). Sie alle sind Teil der antiken Heldenepen, in Iokaste wirken sie aber mehr wie Beiwerk . Während Ismene, vor allem Zusammenhänge erklärt, ist Menoikeus der immer wiederkehrende fanatische Unterton.
Direkte Worte ans Publikum
Das Stück präsentiert Figuren die als Archetypen verstanden werden können. Menoikeus ist der Verschwörungstheoretiker, der sich selbst als das Zünglein an der Wage sieht. Ismene ist die Stimme der Vernunft. Eteokles und Polyneikes sind die Kriegsparteien, die in ihrer eigenen Starrköpfigkeit, einen Krieg der Egos führen und Iokaste ist ein Sinnbild für ein Leben, das sie immer wieder niederwirft. Es wird kein Heldendrama gezeigt in dem ein einzelnes Individuum alle Stricke in den Händen hält. Es gibt keine Götter, die in letzter Sekunde alles zum Guten wenden.
Das Stück ist ein Appel an alle, Verständnis für andere zu zeigen und alternative Lösungen zu immer gleichen Problemen zu finden. In machen Szenen wird diese Mitteilung beinahe plump und plakativ immer wieder in das Publikum eingehämmert, gerade als ob man bezweifle, dass es verstanden würde. Blickt man auf die Welt außerhalb des Theaters, ist es wahrscheinlich gar nicht so weit hergeholt Subtilität und Interpretation über Bord zu werfen und stattdessen so direkt zu sprechen. Denn auch wenn es in der Inszenierung nicht direkt benannt wird, ist doch klar, dass das Stück sich auch auf das aktuelle weltpolitische Geschehen bezieht.
Fazit
Das etwa 2 stündige Stück bringt die Antike in eine neuzeitliche Perspektive. Schon vor 2500 Jahren waren es nicht die Götter oder das Schicksal die Krieg führten. Das Schauspiel holt den Zuschauer ab und man wartet gespannt auf das Finale, den Einfall in die Stadt Theben.
Die Frage was Recht und Gerechtigkeit ist, ist heute so aktuell wie immer und wird im Stück gut in die Perspektive des individualen Miteinanders aber auch der kollektiven Interaktion gestellt.
Im Stück kann Frieden nicht verhandeln werden, somit kommt es zu einer Eskalation der Gewalt. Manche dieser Szenen sind exzessiv, an machen Stellen ist es dabei fraglich ob eine solche explizite Darstellung nötig war.
Zusammengenommen wird man im Stück kaum erbauliche Momente finden, zu sehr ist es durchdrungen von den Problemen unserer Welt. Aber vielleicht ist es deshalb so wichtig diesen Schmerz auf der Bühne ausleben zu können, um am nächsten Tag daran gehen zu können, diese Welt zu verändern.
Die nächsten Vorstellungen finden an den folgenden Tagen statt:
Sonntag 11.12.2023
Donnerstag 28.12.2023
Mittwoch 03.01.2024
Samstag 27.01.2024
Sonntag 11.02.2024
