Die Bundestagswahl steht kurz bevor und die Parteien versuchen, die Unentschlossenen mit allen Mitteln von sich zu überzeugen. In Hamburg wirbt die Linke mit einer ungewöhnlichen Wahlkampfveranstaltung um junge Wähler:innen. Das Motto: Techno, Tischtennis und Politik.
Technotischtennis ist in Hamburg eine Institution. Ob im Südpol oder in der Fabrique – jeder junge Mensch, der in Hamburg wohnt, kommt kaum an diesem Format vorbei. Unter der Woche Techno hören, Tanzen und Tischtennis spielen. In Wahlkampfzeiten, in denen jede Veranstaltung genutzt werden kann und muss, wird auch dieses Format zum entspannten Austausch und zur Wahlkampfveranstaltung genutzt. In der letzten Woche lud die Hamburger Linke zu einer Wahlkampfveranstaltung unter dem Motto “Techno-Tischtennis mit Heidi und Jan” ein.
Bereits am 18. Januar gab es eine erste Runde mit Direktkandidat:innen der Linken. Am vergangenen Dienstag waren nun die Shooting Stars der Linken dabei: Heidi Reichinnek und Jan van Aken. Mehr als 1.500 Menschen kamen, um die beiden Spitzenkandidat:innen zu sehen und brachten den Veranstaltungsort, das Fundbureau und die Beat Boutique, an seine Kapazitätsgrenzen.
Hype um Heidi
Nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht, ständigen internen Streitigkeiten und Umfragewerten von 2 Prozent war die Partei gerade dabei zu verschwinden – bis vor ein paar Wochen die Umfragewerte plötzlich besser wurden. Die Fünf-Prozent-Hürde in greifbarer Nähe. Heute liegt Die Linke in Umfragen teilweise sogar bei 6 Prozent. Bei den unter 29-jährigen ist die Linke gleichauf mit den Grünen aktuell stärkste Kraft. Die Gründe sind schwer zu greifen, aber eine sehr erfolgreiche Social Media Strategie und eine rhetorisch starke Spitzenkandidatin scheinen eine große Rolle zu spielen.
Schon vor Beginn der eigentlichen Veranstaltung wird klar: Heidi ist der Star des Abends und das neue Gesicht der Linken. Während sie sich im Fundbureau den Fragen der Presse stellt, muss van Aken die Menge vor dem Club etwas anheizen. Man merkt ihm an, dass er diese Form der Aufmerksamkeit nicht gewohnt ist – die Rolle des Polit-Popstars überlässt er lieber seiner Kollegin.
Während ihrer Rede etwas später am Abend gibt es einen einzigen Zwischenruf: „Heidi for Kanzlerin“. Eine junge Frau sagte uns, sie sei “nur für Heidi da” und brachte noch eine Freundin mit. Femininomenon Schilder erinnerten an den Wahlkampf von Kamala Harris in den USA und auch wenn Heidi sagt, es gehe nicht um Personenkult, ist der Hype nicht zu ignorieren. Um Inhalte solle es gehen, so Reichinnek. Es fällt schwer, ihr das zu glauben.
Die Linke war mit Führungsfiguren wie Sahra Wagenknecht, Gregor Gysi und Bodo Ramelow immer eine Partei, die vom Personenkult profitierte. Die Ablehnung ist ehrenhaft, aber wahrscheinlich nicht einmal notwendig. Wir wollen die Menschen, die wir wählen, kennen. Durch Personenkult, zum Beispiel auf Social Media, nähern wir uns diesem Zustand zumindest an.
TikTokisierung des Wahlkampfs
Der mediale Durchbruch gelang Reichinnek mit einer Rede im Bundestag, in der sie die Abstimmung der Union mit der AfD lautstark kritisierte. Auf TikTok hat diese Rede mittlerweile mehr als 6 Millionen Aufrufe. Generell steht die Wahlkampfveranstaltung ganz im Zeichen der Kurzvideoplattform. Immer wieder zitiert van Aken den durch TikTok bekannt gewordenen Song “Für immer Frühling”, der im letzten Jahr zur Anti-AfD-Hymne wurde. Die Schilder mit der Aufschrift “Femininomenon” sind eine Referenz auf einen Song der Sängerin Chapell Roan, der ebenfalls durch TikTok bekannt wurde. Und so bedankt sich Heidi Reichinnek auch folgerichtig beim Publikum fürs Teilen ihrer Social-Media Beiträge, die für den aktuellen Aufschwung der Linken im Grunde unverzichtbar sind.
Die Linke als Fundamentalopposition und Auffangbecken
Die Kernbotschaft des Abends ist deutlich: Wir bleiben links, während andere Parteien mit dem Mainstream immer weiter nach rechts wandern. Die Linke in ihrer alten Rolle als Fundamentalopposition und Korrektiv. Vor Ort merkte man: Dieses Versprechen kommt an. Eine frustrierte Grünen-Wählerin sagt uns, sie werde immer unzufriedener mit der Partei und überlege jetzt – auch wegen „Heidi“ – Die Linke zu wählen. Wir treffen auch einen Sozialdemokraten, den Reichinneks Rede im Bundestag beeindruckt hat und der der Linken jetzt eine Chance geben möchte. Es scheint, als würde Die Linke vor allem ein Auffangbecken für die enttäuschten Wähler:innen der anderen progressiven Parteien sein.
Dazu passt auch das Wahlprogramm, das die beiden in Windeseile durchgehen. Ein Mietendeckel soll nun endlich für bezahlbaren Wohnraum sorgen. Scharf kritisiert wurde auch die Migrationspolitik aller anderen Parteien. Die Forderung nach mehr Therapieplätzen bzw. mehr Kassensitzen für Therapeut:innen erhält viel Applaus, genau wie Forderungen zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Auch queere Pädagogik sei ein Herzensthema.
Bei Van Aken geht es dann um Wirtschaftspolitik. Genauer: Steuerpolitik. Reiche will van Aken durch eine höhere Erbschaftssteuer und eine neu eingeführte Vermögenssteuer stärker zur Kasse bitten – alles klassisch linke Themen. Während Reichinnek Soziales abdeckt, geht van Aken in die Tiefen einer umfassenden Umverteilung.
Übers Klima redet jedoch auch hier niemand. Es sei nicht über Soziales gesprochen worden beim TV-Duell – betont Reichinnek. Obwohl sich ambitionierte Klimaziele in ihrem Programm finden lassen, merkt man schnell – entsprechend den Parteilinien – liegt der Fokus hier klar woanders.
Für eine Partei, die noch nie Regierungsverantwortung im Bund hatte und auch auf absehbare Zukunft keine haben wird, sind viele dieser Versprechen natürlich leicht gemacht. Politik ist immer auch Konflikt und Kompromiss. Im Ampel-Bashing wird oft und gerne vergessen, dass spätestens nach der Wahl wieder gemeinsam Lösungen gefunden werden müssen. Vor allem in Dreier-Bündnissen müssen alle Beteiligten stellenweise wichtige Positionen aufgegeben werden. Was passiert, wenn das nicht möglich ist, haben wir im November eindrucksvoll gesehen.
Die eigene Bubble
Schaut man sich auf dieser Veranstaltung um, wird deutlich, dass das Format der Veranstaltung vor allem die eigenen Leute anzieht. Viele der Teilnehmenden sind junge Menschen, Studierende und einige sogar Mitglieder der Linken. Es wird gejubelt, wenn Jan van Aken ruft „Das Problem sind Männer.“ Und zwar von allen. Es geht ein Raunen durch die Menge bei den Themen Therapieplätze und bezahlbare WG-Zimmer. Die meisten Teilnehmer:innen der Veranstaltung scheinen progressiv zu sein. Eine Mischung aus Linken und enttäuschten SPD und Grüne Wähler:innen.
Am Ende des Abends bleibt dann die Frage, ob es Wahlkampf war oder doch auch viel Unterhaltung und Belohnung für die eigenen Leute.
Die Fünf Prozent Hürde
Die neuen frischen Gesichter von „Die Linke“ halten in Hamburg flammende Reden und hoffen so nicht nur die 1.500 Menschen vor Ort, sondern noch jeweils 100 weitere zu erreichen. Gleichzeitig sind in Berlin und Sachsen die drei Oldies der Partei unterwegs. Gysi, Ramelow und Bartsch sind die selbst erkorene „Mission Silberlocke“ und kämpfen um die wichtigen Direktmandate. Bekannt und beliebt sind die drei. Dass auch sie – wie neulich in Dresden – Locations sprengen, ist trotzdem überraschend.
Gute Umfragewert hin oder her, ob die Partei es in den Bundestag schafft, hängt eben auch an den Direktmandaten. Bereits bei der Bundestagswahl 2021 sicherten drei Direktmandate den Einzug. Gregor Gysi (Treptow-Köpenick, Berlin), Gesine Lötzsch (Bezirk Lichtenberg, Berlin) und Sören Pellmann (Leipzig) gewannen damals ihre Wahlkreise. Durch die Grundmandatsklausel wird dann die Fünf-Prozent-Hürde ausgehebelt und die Linke konnte auch mit 4,9 Prozent in den Bundestag einziehen. Auf diese und ein paar weitere wird auch bei der Wahl am 23. Februar gesetzt.
Gut eine Woche vor der Wahl sehen die Umfragen gut aus. Die parteiinterne Regel lautet jedoch: Für 5 Prozent bei der Wahl braucht es stabile 6 Prozent in den Umfragen. Und 5 Prozent in den Umfragen kann eben alles zwischen 3 und 7 Prozent bedeuten.
Die Zukunft von „Die Linke“
Wenn Die Linke es nicht in den Bundestag schafft, hätte das substanzielle Folgen für die Sichtbarkeit der Partei. Die parlamentarische Arbeit der Bundestagsabgeordneten z. B durch Caren Lay wird auch an diesem Abend betont.
Die Krux bleibt jedoch: Scheitert „Die Linke“ an der 5-Prozent-Hürde, werden die Anteile an die anderen Parteien verteilt und das logischerweise auch zum Vorteil der AfD.
Ob diese Zweifel Wähler:innen abschrecken, das vermeintlich weit verbreitete taktische Wählen einen Einfluss hat und ob TikTok Wahlen tatsächlich beeinflussen kann, werden wir am kommenden Wochenende sehen.
Für alle die weiterhin unentschieden sind hier ein paar Entscheidungshilfen:
Wahlprogramme der Parteien:
Überblick der Direktkandidat*innen für Hamburg
Ergebnisse der Bundestagswahl 2021 in Hamburg
Ergebnisse der Wahlkreise bei der Bundestagswahl 2021 (Gewinner:in der Erststimme)
Hamburg-Mitte (SPD)
Hamburg-Altona (GRÜNE)
Hamburg-Eimsbüttel (GRÜNE)
Hamburg-Nord (SPD)
Hamburg-Wandsbek (SPD)
Hamburg-Bergedorf-Harburg (SPD)
Ergebnisse der Bundestagswahl 2017 in Hamburg
Ergebnisse der Wahlbezirke bei der Bundestagswahl 2017 (Gewinner:in der Erststimme)
Hamburg-Mitte (SPD)
Hamburg-Altona (SPD)
Hamburg-Eimsbüttel (SPD)
Hamburg-Nord (CDU)
Hamburg-Wandsbek (SPD)
Hamburg-Bergedorf-Harburg (SPD)
