Wer sagt, dass das Studieren nur etwas für junge angehende Akademiker:innen ist? Immer mehr Menschen entscheiden sich neben oder nach der Berufstätigkeit für ein Studium an der Universität. Was treibt sie an?
von Emilia Fischer und Patrizia Mohr
Mit Brille und hellblauen Hemd wirkt der Mann mit grau meliertem Haar freundlich. Seine 76 Jahre sind kein bisschen erkennbar. Der ehemalige Chefarzt Uwe Ellerbrock sitzt mit einem Freund in einem Café am Campus und strahlt ehrliches Interesse aus, egal um welches Thema es sich handelt, so zum Beispiel auch für diesen Artikel.
Uwe Ellerbrock studiert seit 12 Jahren an der Uni Hamburg im Kontaktstudium. Er beschreibt die Idee des Kontaktstudiums so: „Ein Angebot der Universität, wenn man sein Berufsleben beendet hat, aber sich weiter seinen Interessen widmen möchte”. Einen Abschluss kann man dabei nicht erlangen. Insgesamt gib es ein Angebot von 300 – 400 Vorlesungen, die von den Kontaktstudierenden besucht werden können. Bei vielen davon ist die Teilnehmer:innenzahl für Kontaktstudierende begrenzt. Fast 1.300 Studierende sind im Alter von 19 – 65+ Jahren im Sommersemester 2023 eingeschrieben, teilt das Zentrum für Weiterbildung mit. Davon sind 74 Prozent der Eingeschriebenen über 65 Jahren.
Doch wie kam Ellerbrock zum erneuten Studieren? Nach seiner Tätigkeit als Chefarzt im Elmshorner Krankenhaus, reicht es ihm nicht seinen Alltag mit Tennis und Kaffee zu verbringen. „Ursprünglich hatte ich mit 60 angefangen mich mit einem speziellen Thema auseinanderzusetzten – die Geschichte des Parthischen Reiches”, erzählt Ellerbrock. Er beschließt mit drei Freunden erneut die Universität zu besuchen, erzählt er in einem Interview bei Kaffee und Keksen auf seiner Terrasse in Elmshorn. „So waren wir zu dritt und konnten auf diese Weise unsere sozialen Kontakte pflegen, was neben der Wissensvermittlung von enormer Bedeutung für uns ist!”, beteuert Ellerbrock.
Er sammelt Münzen des alten iranischen Volks: „Ich lernte eine Archäologin kennen und fragte sie nach Literatur, um mich mehr mit dem Thema auseinanderzusetzten”, fährt er fort. Diese erzählt ihm, dass es noch keine Literatur zu dem Thema gibt. Davon motiviert entschließt er sich, das Angebot der Uni zu nutzen und sich somit Zugang zu den Bibliotheken zu verschaffen. Entstanden sind aus dieser Neugierde drei Bücher, die Ellerbrock ohne Verlag veröffentlichte. Außerdem führte ihn diese Leidenschaft zum Kontaktstudium, welches für ihn „einen Freiraum, den niemand einem wegnehmen kann” bedeutet.
Zusammen besuchen die drei Senioren verschiedene Vorlesungen, die sie sich nach ihrem Interesse aussuchen können. Manche sogar schon zum zweiten oder gar dritten Mal, denn „es ändert sich ja jedes Jahr etwas am Inhalt und es bleibt immer interessant”. Selbst nach mehr als einem Jahrzehnt findet Ellerbrock immer wieder aufs Neue Themen, für die er sich begeistern kann. Er sagt: „Ich finde es gut, dass es ein solches Angebot an der Uni gibt, weil es einen anregt seinen Kopf mit neuen Dingen zu beschäftigen.“

Einen Austausch zwischen regulären Student:innen und den Senioren gibt es leider „eher wenig”. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Herren ihre Dreisamkeit genießen. Es gibt zwar das Angebot eines Kontaktcafés, wo sich Kontaktstudierende untereinander vernetzen können, doch „dieses Angebot der Uni habe ich nicht genutzt, weil ich ja schon meine kleine Gruppe hatte”, erklärt der ehemalige Chefarzt.
Andere hingegen nutzen das Kontakt-Café mit Begeisterung. „Das Café oder Vorläuferveranstaltungen dieser Art, gibt es bereits seit Ende der 90er oder Anfang des neuen Jahrtausends“, entsinnen sich die beiden Mitglieder vom Sprecherrat des Kontaktstudiums Martina Milatz und Wolfgang Poppelbaum. Mit der Covid-Pandemie gingen die auf gegenseitigen Austausch ausgerichteten Treffen in den digitalen Raum über und verbleiben auch heute auf Zoom.
Die Nachfrage sich wieder in Cafés oder Restaurants zu treffen, besteht zwar, doch überwiegt unter den Teilnehmenden der Wunsch sich weiterhin digital zusammenfinden möchte. Bei Kontaktstudierenden, die beispielsweise „aus Lübeck oder weiten Teilen Schleswig-Holsteins nach Hamburg pendeln“, so Wolfgang Poppelbaum, „liegt die Bevorzugung von digitalen Veranstaltungen nahe“.
Am ersten Freitag im Monat um 14.00 Uhr schalten sich über 50 Kontaktstudierende auf Zoom zusammen. Die Wortbeträge zum Auftakt vermitteln ein geschlossenes Bild geteilter Vorfreude auf das kommende Semester. Ein Teilnehmer gesteht, sich nur „schweren Herzens vom Überseering und der ruhigen Mensa dort verabschiedet“ zu haben. Eine Kontaktstudierende positioniert sich zur digitalen Lehre: „Zoom. Wunderbar, dass es das gibt!“.
Die angesprochenen Themen der Veranstaltung spiegeln auch die Fragen der regulären Studierenden wider. Doch Fragen sich auch die alternden Kontaktstudierenden wie sie in Beziehung zu den jüngeren Regelstudierenden stehen. Begegnungen kämen in den Fakultätsveranstaltungen selten von sich aus zustande: „Vielleicht trauen sich viele nicht. Fragen sich aber, wer diese älteren Menschen in den Veranstaltungen eigentlich sind?“, überlegt ein Teilnehmer des Cafés. Die Veränderung der Weltvorstellung, die einzelne Kontaktstudierende wahrnehmen, werden als spannend empfunden. Auch besteht das Gefühl, dass Regelstudierende das Konzept vom lebenslangen Lernen durchaus interessiere.
Nach dem Vortrag eines Kontaktstudierenden und der Vorstellung seines Reiseblogs wurden alle Anwesenden, um neue Eindrücke reicher, ins Wochenende entlassen. Der Sprecherrat verschreibt sich der Förderung des Umgangs zwischen Regel- und Kontaktstudierenden. Drei der sieben vom Sprecherrat ausgegebenen „Spielregeln” thematisieren dieses Miteinander. So soll der Umgang offen und respektvollen sein, Kontaktstudierende sollen sich in Veranstaltungen zurücknehmen und in Diskussionen Regelstudierenden den Vortritt lassen.
Die Show solle nicht an sich gerissen werden, dieser Grundsatz wird von verschiedenen Gesprächspartner:innen als Selbstverständnis artikuliert. Ob es bereits zur Notwendigkeit einer Schlichtung zwischen Regelstudierenden und Kontaktstudierenden gekommen sei? „Nein, nicht wirklich“, lautet die Antwort seitens der Sprecherratsmitglieder Milatz und Poppelbaum.
Der geschichtsbegeisterte Ellerbrock kritisiert die begrenzte Zahl der Teilnehmenden in Vorlesungen für Kontaktstudierende: „Wenn bei einer Vorlesung nur 5 Kontakt-Student:innen gestattet sind, wird es für uns schwierig”. Er kann jedoch nachvollziehen, dass das Studieren primär für die Studierenden gedacht ist, die auf einen akademischen Abschluss hinarbeiten. Uwe Ellerbrock schaut auf die Uhr: Zehn Minuten nach Zehn – höchste Zeit aufzubrechen, denn die griechische Geschichte ruft. Er freut sich jeden Dienstag aufs Neue seinen Horizont zu erweitern und ein Teil der Uni sein zu können.