„Zu Vino sag ich nie no“ – über die Romantisierung von Alkoholkonsum

Alkoholische Getränke werden bei den meisten Veranstaltungen selbstverständlich angeboten und ausgeschenkt. Wer ein solches Getränk ablehnt, muss sich oftmals dafür rechtfertigen. (Foto: Alexander Naglestad/Unsplash) Alkoholische Getränke werden bei den meisten Veranstaltungen selbstverständlich angeboten und ausgeschenkt. Wer ein solches Getränk ablehnt, muss sich oftmals dafür rechtfertigen. (Foto: Alexander Naglestad/Unsplash)

Alkoholische Getränke sind beinahe irreversibel mit sozialen Events verflochten. Die Omnipräsenz von Alkohol offenbart nicht nur dessen Normalisierung und Verherrlichung, sondern kann darüber hinaus in der Exklusion Nicht-Trinkender münden. KOPFZEILE spricht deshalb mit Frank (49) und Lukas (22) über ihren Konsum, der unterschiedlicher kaum sein könnte.

„Zu Vino sag ich nie no“ – diesen Spruch werden vermutlich die meisten schon einmal gehört haben. Er prangt auf T-Shirts, Beuteln oder Mützen, schmückt Tinder-Bios und komplettiert Instagram-Posts. Er ist ein aktuelles, populäres und vor allem medial sehr wirksames Beispiel dafür, wie Alkoholkonsum verherrlicht oder vielmehr romantisiert wird. Der trendige Vino-Spruch belegt außerdem die Feststellung des Bundesgesundheitsministeriums, dass in der Gesellschaft „eine weit verbreitete unkritisch positive Einstellung zum Alkohol“ vorherrscht.

Zwischen Exzess und Abstinenz

Deutschland ist Hochkonsumland, wenn es ums Alkoholtrinken geht. Doch wann und wo beginnt der Konsum?

Es ist schwierig, ein Durchschnittsalter für den Alkoholerstkonsum von Jugendlichen festzulegen: Teils wird angegeben, Jugendliche tränken durchschnittlich mit fünfzehn Jahren zum ersten Mal Alkohol; fast ein Drittel der 12- und 13-Jährigen habe bereits Alkohol probiert. Andere Quellen geben ein durchschnittliches Alter von 13,8 Jahren an. Aus den Quellen geht hervor, dass vor allem im Alter von zwölf bis fünfzehn Jahren der Erstkontakt von Jugendlichen mit Alkohol stattfindet.

Lukas (22) hat mit etwa fünfzehn Jahren begonnen, Alkohol zu trinken. Er erzählt, dass der Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit ausschlaggebend gewesen sei. Der Alkohol sei seitdem dauerhaft präsent; dafür müsse kein Club besucht werden, es fange bei Geburtstagen an. Seit November 2022 trinkt er konsequent keinen Alkohol mehr, denn er habe mit dem Konsum von Alkohol zunehmend seinen zuvor begonnenen Cannabis-Verzicht bewältigt, wodurch es zu einer Verlagerung des Drogenkonsums gekommen sei.

Frank (49) trinkt seit fünfunddreißig Jahren Alkohol, auch er hat mit etwa fünfzehn Jahren mit dem Konsum begonnen. Oder wie er es nennt: „dem Saufen“. Ein Leben ohne den Alkohol könne er sich nicht vorstellen, jedoch – betont er – habe er kein Alkoholproblem. Früher habe er sich mit seinen Kumpeln vor einem Diskobesuch zum Trinken getroffen, heute treffe er sich mit denselben Kumpeln vor Konzertbesuchen. Auch hierbei dürfe der Alkohol keinesfalls fehlen, denn das Trinken verbinde ihn seit Jahren mit jenen Freunden.

Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums konsumieren in Deutschland 7,9 Millionen Menschen (der 18- bis 64-Jährigen) Alkohol „in gesundheitlich riskanter Form“.

„Die lustigen Sachen passieren ja nicht, wenn alle nüchtern zu IKEA fahren“

Auf die Frage, ob Lukas der einzige Nicht-Trinkende in seinem Umfeld sei, gibt er an, mit seiner Entscheidung auf jeden Fall die Ausnahme zu sein. Es gebe einige Freund:innen, die weniger tränken, aber generell sei ein regelmäßiger Konsum die Norm. Genervtes Augenrollen oder Ähnliches kenne Lukas aus seinem Umfeld jedoch nicht. Die Reaktionen auf seinen Nicht-Konsum seien bislang vielmehr verständnisvoll und unterstützend gewesen.

Es gibt allerdings auch Menschen, die weniger respektvoll mit Nicht-Trinkenden umgehen. Erst kürzlich postete funk, das Online-Content-Netzwerk der ARD und des ZDF, einen Instagram-Beitrag, der sich genau dieser Thematik widmete. In den Kommentaren berichten einige User:innen, wie sie zum Beispiel gefragt worden seien, weshalb sie überhaupt zu einer Feier kämen, wenn sie doch eh nichts trinken würden. Dies offenbart die enge Beziehung von sozialem Event und Alkoholkonsum, die oft gegeben ist.

Im Gespräch mit Frank wird deutlich, dass Alkohol als eine Art Bindemittel zwischen ihm und seinen Freund:innen fungiert. Der Konsum selbst ist ein Event, das die trinkenden Anwesenden miteinander verbindet.

„Die lustigen Sachen passieren ja nicht, wenn alle nüchtern zu IKEA fahren, sondern wenn alle irgendwo was getrunken haben.“
– 
Frank

Alkohol ist laut Frank nahezu ein Garant für Spaß, gute Laune und witzige Erinnerungen. Die verheerenden Folgen hingegen, die ein übermäßiger Konsum nach sich ziehen kann, bleiben unerwähnt.

Statistiken zeigen beispielsweise, wie viele Verkehrsunfälle (insbesondere durch Trunkenheit am Steuer) aus dem Konsum von Alkohol resultieren: Im vergangenen Jahr wurden durch derartige Unfälle in Deutschland 20.118 Menschen verletzt, 242 starben. Etwa 74.000 Menschen sterben zudem jährlich durch ihren Alkoholkonsum allein oder aufgrund des Konsums von Tabak und Alkohol.

Ausgrenzung durch Nicht-Konsum?

Ob auf Uni-Partys, bei Betriebsfeiern oder bei entspannten Treffen mit Freund:innen – Alkohol wird in den meisten Fällen vollkommen selbstverständlich angeboten und konsumiert. Aber wie ist das, wenn man keinen Alkohol trinkt? Kann man an allen Unternehmungen (wie zuvor) teilnehmen oder kommt es zur sozialen Ausgrenzung?

Seit Lukas mit dem Alkoholtrinken aufgehört hat, habe er auf die ein oder andere Unternehmung verzichtet. Er sei weiterhin zu Bar-Abenden oder Weinproben eingeladen worden, jedoch nehme er an diesen Veranstaltungen nicht mehr teil, da sie sich schließlich vorrangig um den Konsum von Alkohol drehen.

„Ich könnte da [in Bars] auch hingehen und mir dann eine Cola bestellen, aber das ist ja ein bisschen witzlos, ehrlich gesagt. Das lasse ich dann schon eher.“
– Lukas

Frank erzählt im Gespräch mit KOPFZEILE, er finde es toll, wenn Leute keinen Alkohol konsumierten, er wolle sich jedoch nicht mit ihnen verabreden. Musik und Fußball seien für Nicht-Trinkende nicht wichtig, wodurch gemeinsame Unternehmungen ausscheiden würden.
Sicherlich handelt es sich bei Konzerten und Fußballspielen um Events, die von einem starken Alkoholkonsum durchzogen sein können. Die Verallgemeinerung, Nicht-Trinkende wären generell nicht interessiert an diesen Veranstaltungen und man könne sich deshalb nicht mit ihnen treffen, ist jedoch problematisch – und führt, wie Frank deutlich macht, zur Ausgrenzung.

„Ich hab gemerkt, dass Menschen, die keinen Alkohol trinken, keine Freunde haben.“
– Frank

Einige von Franks Arbeitskolleg:innen würden nicht trinken und nach Selbstaussage keine Freund:innen haben. Ob tatsächlich generalisiert werden kann, dass Nicht-Trinkende tendenziell freund:innenlos sind, ist fraglich. Dass Alkohol jedoch zu sozialer Ausgrenzung führen kann, spiegeln Franks Äußerungen eindeutig wider.

„Drogen versus Alkohol“ – Normalisierung von Alkohol

Die Unterscheidung von „Drogen“ auf der einen und „Alkohol“ auf der anderen Seite, wie sie oftmals in der Gesellschaft praktiziert wird, findet Lukas sehr schwierig. Sie offenbart, dass Alkohol offensichtlich für viele eine besondere Stellung unter den Drogen einnimmt – und zwar die einer Droge, die nicht als solche anerkannt wird, sondern gesellschaftlich gänzlich etabliert und akzeptiert ist.

Den günstigsten Alkohol Europas gibt es in Ungarn zu kaufen. Deutschland folgt dahinter auf Platz zwei. Diese Platzierung ist nicht unerheblich, denn sie offenbart die Niedrigschwelligkeit von Alkohol (und seinen Konsummöglichkeiten) in Deutschland. Internationale Vergleiche zeigen zudem, dass in Deutschland auffällig viel Alkohol konsumiert wird.

Die Normalisierung lässt sich auch in den verschiedensten Geschäften beobachten. Ob in Supermärkten oder in Läden, die sich vornehmlich um den Verkauf von Geschenk- und Dekorationsartikeln bemühen: Alkoholglorifizierende Produkte gibt es an so gut wie jeder Ecke zu sehen.

Dekorationsartikel im Eingangsbereich einer EDEKA-Filiale. (Foto: Johanne Målin Bleck)
Dekorationsartikel im Eingangsbereich einer EDEKA-Filiale. (Foto: Johanne Målin Bleck)
Getränkeuntersetzer bei NANU-NANA. (Foto: Johanne Målin Bleck)
Getränkeuntersetzer bei NANU-NANA. (Foto: Johanne Målin Bleck)
Partyzubehör bei NANU-NANA. (Foto: Johanne Målin Bleck)
Partyzubehör bei NANU-NANA. (Foto: Johanne Målin Bleck)

Erinnerungen an Alkoholkonsum und seine Folgen

Früher habe Lukas verlorene Tage durch einen ausschweifenden Alkoholkonsum am Vorabend und einen kurz darauf einsetzenden Kater gehabt. Dass ihm diese Erlebnisse nun erspart blieben, empfinde er als besonders schön am Abstinentsein. Auch erzählt er, dass er heute einen bewussteren Umgang mit der eigenen Zeit pflege: Schlechte Partys meide er zum Beispiel im Gegensatz zu früher eher. Der Geschmack von Alkohol habe ihm außerdem – stellt Lukas rückblickend fest – nie wirklich gefallen.

Obwohl Frank den Konsum von Alkohol grundsätzlich vor allem euphorisch betrachtet, gibt es einen Anflug von Reue, als auch er seine fünfunddreißig Jahre Alkoholkonsum rekapituliert: „Hätte ich nie getrunken – bin ich der Meinung –, würde ich auch Französisch wie Deutsch sprechen.“ Frank ist sich sicher, er würde heute Französisch genauso gut wie Deutsch sprechen, wenn er nicht durch das jahrelange „Saufen“, wie er es bevorzugt nennt, jegliche Französischkenntnisse verloren hätte. Ob tatsächlich der Alkohol dafür verantwortlich ist, vermag dieser Artikel nicht zu beatworten, jedoch wird deutlich, dass auch Frank nicht vollkommen unkritisch auf seinen Konsum blickt.

Wie kann es weitergehen?

Die Verherrlichung von Alkohol ist problematisch. Doch wie könnten Lösungen aussehen? Lukas hat einige Ideen: Anstatt Alkohol an jeder Supermarktkasse auszustellen, könnte er nur noch in gesonderten Läden verkauft werden, wie Schweden es beispielsweise bereits vorlebt. Ein Verbot von Alkoholwerbung wäre ebenfalls denkbar. Außerdem, so Lukas, seien mehr Repräsentationen von Nicht-Trinkenden in Bereichen wie Musik, Film und Fernsehen wünschenswert – drei Bereichen, in denen alkoholverherrlichende Texte und Szenen en masse zu finden sind.

Um Stigmatisierungen zum Nicht-Konsum aufzuweichen, ist es wichtig, generell für die Thematik zu sensibilisieren. Denn nicht selten sorgt ein Nein zum Alkohol beim Gegenüber für Verständnislosigkeit. Die Folge ist dann häufig quengelndes Nachfragen, weshalb man nicht trinke, ob man nicht mal etwas probieren wolle, was auch wirklich nicht nach Alkohol schmecke, oder – wenn man weiblich gelesen ist – ob man schwanger sei. Eine Instagram-Userin hat unter dem funk-Post eine passende Antwort auf Gegenfragen formuliert:

„Die richtige Antwort auf ‚Ich trinke keinen Alkohol‘ ist übrigens ‚Was kann ich dir zu trinken anbieten (als Alternative)?‘“
– eine Userin in den Kommentaren unter dem Instagram-Post von funk

Wie bei so vielen Dingen muss letztlich jede:r für sich selbst entscheiden, ob und in welchem Ausmaß er:sie Alkohol konsumieren möchte, solange Außenstehende nicht verletzt oder gefährdet werden. Auch Lukas schließt nicht aus, irgendwann wieder Alkohol zu trinken. Er sagt aber auch, dass er es dann aus Genuss mit Freund:innen tun würde – und vor allem: in Maßen.