Die iranische Revolution ist noch lange nicht vorbei

iranische Revolution, Iran, Uni Hamburg, UHH, Café Knallhart, offene Lesebühne, Kopfzeile, Rote Flora, Jina Mahsa Amini, Nika Shakarami Die feministische iranische Revolution ist ein Jahr alt. Im September 2022 ermordete das iranische Regime Jina Mahsa Amini und löste damit in der gesamten iranischen Gesellschaft Proteste aus (Foto: Anonym).

Ein Jahr ist es her, dass Jina Masha Amini nach ihrer gewaltsamen Festnahme durch die iranische Sittenpolizei starb. Damals wurde auf der ganzen Welt berichtet. Mittlerweile ist in der Berichterstattung nur noch wenig von der iranischen Revolution zu hören. Doch der Iran ist immer noch laut. Die iranische Revolution hat angefangen, doch wie sie ausgeht, ist noch ungewiss. Ein anonymer Gastkommentar über den mutigen Kampf der Iraner:innen.

Achtung: In diesem Beitrag werden jegliche Formen von Gewalt wie zum Beispiel Sexualstraftaten und Folter thematisiert. 

Eine kurze Geschichte des Iran

Der Iran ist ein uraltes Land, mit einer noch älteren Kultur. 539 v. Chr. wurden im alten persischen Reich die ersten Menschenrechte verfasst. Und der Iran war nicht schon immer so, wie er jetzt gerade ist. Vor 1979 war der Iran eine Monarchie. 38 Jahre herrschte der letzte Schah des Irans, Mohammad Reza Pahlavi. Natürlich war der Iran damals auch nicht auf eine politisch-demokratische Weise frei, jedoch gab es deutlich weniger Unterdrückungsformen gegen die eigene Bevölkerung. Am 11. Februar 1979 sollte sich der Iran dann für immer ändern. Mit einer Revolution wurde der Schah aus dem Land gejagt. Ruhollah Musawi Chomeini kam als neues Staatsoberhaupt aus dem Exil in den Iran zurück, Die Theokratie, die der Iran heute ist, war geboren.

Die Revolution 1979 war nie eine gemeinsame Sache. Am Ende setzte sich die streng religiöse Mullah-Fraktion durch. Die Gesetze, die nun im Iran gelten, gehen auf die Scharia, das islamische Gesetz zurück. Sie begründet in der iranischen Auslegung beispielsweise auch die Todesstrafe, sollte gegen die Scharia gehandelt werden. Das führt dazu, dass der gesamte Iran dazu gezwungen wird, muslimisch zu sein.

Die Bevölkerung des Iran berichtet von einem gemeinsamen Geist, einer Solidarität, die es vor Jinas Tod nicht gab.

Die Umsetzung dieser Gesetze obliegt der Sittenpolizei. Sie ist es, die Menschen seit Jahren tagtäglich ermordet. Und dann gibt es noch die sogenannte Revolutionsgarde, das IRGC. Sie ist seit 1979 die zweite Armee des Iran. Sie verfügt über deutlich mehr Ressourcen als die offizielle Armee und beherrscht ganze Wirtschaftszweige. Von den aktuellen Revolutionären wird gefordert, die Revolutionsgarde in die Liste der terroristischen Vereinigungen aufzunehmen, da sie – ähnlich wie der IS – die Aufgabe verfolgt, ihre Interpretation des Islam global umzusetzen. All das macht den heutigen Iran so gefährlich.

Beginn der iranischen Revolution: Der Tod Jina Masha Aminis

Als Jina Masha Amini am 16. September 2022 nach der starken Gewalteinwirkung in Polizeigewahrsam starb, hielt die ganze Welt den Atem an. Alle Augen waren auf den Iran gerichtet. Dabei ist Jina nicht die Erste und nicht die Letzte gewesen, die sterben musste. Seit 1979 verschwinden Menschen, die nicht ins System passen. Seit vier Jahrzehnten kämpfen Frauen für ihre Freiheit, doch erst mit Jinas Tod bekamen es alle mit. Aber warum war Jinas Tod der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte?

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Das Café Knallhart, in dem die solidarische Lesenbühne für die iranische Revolution stattfand (Foto: Anonym).

Jina war Kurdin. Kurd:innen werden im Iran besonders unterdrückt. Sie werden vom öffentlichen Leben ausgeschlossen und erfahren besonders viel Gewalt durch die Sittenpolizei. Zudem fällt einer solche Gewalt mehr Leuten auf, wenn sie in einer großen Stadt wie Teheran vorkommt. Ein weiterer Grund ist die wirtschaftliche Lage des Irans, die schon 2019 der Auslöser für Proteste war. Die Bevölkerung des Irans kann sich ihr Leben nicht mehr leisten. Sie hat keine Zukunft in einem Land, was ihre Freiheit einschränkt und ihren gleichzeitig keine Ressourcen fürs Überleben bereitstellt. Das alles hat die Menschen dazu veranlasst, zusammenzurücken und radikaler für ihre Rechte einzutreten. Die Bevölkerung des Iran berichtet von einem gemeinsamen Geist, einer Solidarität, die es vor Jinas Tod nicht gab.

Ein Tag als iranische Revolutionärin

Es gibt einen Trakt im Evin-Gefängnis in Teheran: Der Trakt 209. Er ist dem Geheimdienst unterstellt. Vor 209 muss man sich fürchten.

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Auch wenn die revolutionären Proteste in Iran von einem Querschnitt der Gesellschaft unterstützt werden, sind es vor allem junge Frauen, die sich gegen das Regime wehren. Die tödliche Unterdrückung der Frauen und queeren Menschen sind Auslöser der iranischen Revolution (Foto: Anonym).

Um das Ausmaß zu verstehen, muss sich vor Augen gehalten werden, wie das Regime genau vorgeht. Ihnen ist egal, wen sie töten. Am Anfang der Revolution war das geschätzte Durchschnittsalter der Demonstrierenden 17 Jahre. Wer als Frau ins Gefängnis kommt, muss damit rechnen, vergewaltigt zu werden. Dauerhaft wird eine Frau durch die Justiz übergriffig behandelt, ob verbal, oder etwa durch das Anfassen der Brüste von der Sittenpolizei und der Vergewaltigung durch Gefängnispersonal. Täglich werden die Menschen um einen herum hingerichtet. Durchgängig hört man Folterschreie. Einige sind ans Bett gekettet. Die Gefängnisse haben oft kaum Abwassereinrichtungen oder fließendes Wasser. Oft müssen sich die Gefangenen ihr Wasser selbst kaufen. Es gibt keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung oder Medikamenten.

Wut ist ein hervorragender Antrieb für eine Revolution.

Das Ziel ist die Einschüchterung der Menschen. Sie wollen die Aufmüpfigen brechen, ihnen die Persönlichkeit und Identität nehmen. Sie versuchen, die Frauen zu entmenschlichen. Oft genug funktioniert das, aber immer mehr Menschen lassen sich nicht mundtot machen. Sie gehen immer wieder ohne Waffen friedlich demonstrieren, obwohl sie wissen, dass ihre Gegner Waffen haben und sie einsetzen werden. Die Ratlosigkeit, die lange den Iran bestimmte und die Menschen gelähmt hat, hat sich in politische Wut, in Energie umgewandelt. Und Wut ist ein hervorragender Antrieb für eine Revolution. Die Demonstrierenden sind mutig, jedoch nicht furchtlos. Natürlich haben sie Angst, denn ihnen drohen Hinrichtungen, Verhaftungen, Folter. Und Schäden, die für immer bleiben.

Was ist mit der iranischen Revolution heute?

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Das Regime der Islamischen Republik Iran schaltet das Internet ab, um die Protestierenden zu isolieren und die iranische Revolution zum Erliegen zu bringen (Foto: Emma Guliani/Pexels).

Die Strategien der sich gegenüberstehenden Demonstrierenden und dem Regime haben sich in diesem einen Jahr verändert. Während vor einem Jahr Demonstrationen zerschlagen wurden, mutmaßlich Kinder vergiftet wurden und massenhaft Menschen hingerichtet wurden, setzt das Regime inzwischen auf subtilere Maßnahmen. Trotzdem gibt es immer noch massenhaft Hinrichtungen und auch Demonstrationen werden nicht einfach geduldet. Das Regime greift in aller Härte durch, denn wenn sie scheitern, müssen sie sich für ihre Taten verantworten. Diese Liste ist zu lang, um sie vollständig aufzuzählen.

Doch eine Maßnahme ist dazugekommen. Überall im Iran tauchen Kameras auf, einige davon wohl aus deutscher Produktion. Es sind dieselben Kameras, die die chinesische Regierung nutzt, um ihre Bevölkerung zu beobachten. Die Bevölkerung wird rund um die Uhr bewacht. Macht jemand etwas auffälliges, verschwindet dieser Mensch ein paar Stunden oder Tage später auf dem Weg zur Schule oder zum Einkaufen. Auch Menschen, die sich nicht politisch äußern sind auf diese Weise schon verschwunden. Das Internet wird immer wieder komplett abgeschaltet und stark eingeschränkt. Auch hier mit Unterstützung aus Deutschland

Doch die Demonstrierenden haben ihre Strategie genauso angepasst. Schon seit 20 Jahren arbeiten Aktivist:innen an der Bildung zivilgesellschaftlicher Institutionen. Gewerkschaften zum Beispiel sind im Iran natürlich verboten, allerdings trauen sich die Menschen nun zu streiken. Viele Basare sind wie ausgestorben, ganze Wirtschaftszweige stillgelegt. Aus Solidarität mit der iranischen Revolution. Außerdem tragen viele Frauen wie selbstverständlich kein Hijab mehr. Menschen tanzen in der Öffentlichkeit, küssen sich. Da spielt auch die queere Bewegung eine Rolle, von der immer wieder Videos mit öffentlichen Küssen im Internet landen. Wer sich nicht positioniert, wird in einem tödlichen System ein elendes Leben führen. Die Menschen im Iran haben lange auf Diplomatie und Dialog gesetzt, aber ein solches Regime – da sind sie sich einig – kann nicht reformiert werden. Es gehört abgeschafft.

Die Rolle des Westens in der iranischen Revolution

Der Einfluss des Westens ist entscheidend für den Ausgang dieser iranischen Revolution. Seit Jahrzehnten unterstützt die Außenpolitik der europäischen, sowie amerikanischen Staaten den Iran maßgeblich. Der Iran erhält die erhebliche finanziellen Mittel aus dem Westen und verhilft dem Iran dadurch auch zu Glaubwürdigkeit in ihrer Selbstdarstellung. Unter dem Vorwand der Diplomatie werden durchgängig Geschäfte mit dem Iran gemacht.

Die Opposition der regierenden Staatsoberhäupter des Iran, die sich im Ausland formatiert hat, wird von der internationalen Gemeinschaft ignoriert. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock traf sich seit Beginn der Revolution nicht einmal mit ihnen, obwohl sie sich sehr um ein Treffen bemühten. Stattdessen traf sie sich regelmäßig mit Regimemitgliedern. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass einer ihrer Berater Adnan Tabatabei ist. Seine gesamte Familie spielte während der Revolution 1979 bis heute eine entscheidende Rolle im iranischen Regime.

Eine andere Strategie des Regimes sind Geiselnahmen. Vor über 140 Tagen wurde Jamshid Sharmahd in Dubai entführt. Gegen ihn wurde die Todesstrafe wegen Spionage-Vorwürfen verhängt. Jamshid Sharmahd ist deutscher Staatsbürger, was ihn zum Ziel von Erpressung macht. Seit über 140 Tagen interessiert sich die Bundesregierung nicht dafür. Auch ein schwedischer Staatsbürger, Johan Floderus, sitzt seit über 500 Tagen in einem iranischen Gefängnis. Er ist ein Mitarbeiter der UN.

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Plakate an der Roten Flora zeigen Frauen, die wegen ihres Geschlechts und/oder ihres politischen Engagements ermordet wurden. Mittig: Nika Shakarami und Jina Mahsa Amini, zwei der bekanntesten Gesichter der iranischen Revolution und der Schriftzug "Jin, Jîyan, Azadî" (Foto: Anonym).

Dennoch konzentriert sich der Westen nicht auf den Ursprung des Problems. Das Regime selbst ist auch international zerstörerisch. Eigentlich müsste die ganze Welt ein Interesse daran haben, sie zu stürzen. Frieden funktioniert nicht innerhalb geografischer Grenzen. Menschenrechtsverletzungen müssen überall gestoppt werden, um Frieden zu schaffen. Das hat sich die UN eigentlich auch zur Aufgabe gemacht. Also warum wird die Revolutionsgarde nicht als terroristische Gruppe eingestuft? Warum gab und gibt es Abschiebungen in den Iran? Warum gibt es immer noch die deutsche Botschaft in Teheran?

Eine Perspektive für die iranische Revolution

Eine Regierung hat nur so lange Legitimität, wie das Volk sie stützt. Das ist im Iran vorbei. Sollte die Revolution im Iran Erfolg haben, ändert sich die gesamte Welt. Nicht nur in Iran werden Menschen unterdrückt. Die iranische Regierung finanziert Terrororganisationen überall auf der Welt. Durch ihre Handelspartner profitieren auch Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder Afghanistan von der Politik des Iran. Auch in Afghanistan wehren sich die Frauen mit derselben Message: Jin Jiyan, Azadî, gegen die Taliban. All diese patriarchalen Staaten im Nahen Osten würden unter Druck geraten, Menschenrechte ernsthaft für alle durchzusetzen. Und auch die westlichen Länder könnten vom iranischen Zusammenhalt lernen, der Menschen unterschiedlicher Klassen, Geschlechter, Herkünfte und vieles mehr vereint, um für eine bessere Welt zu kämpfen.

Dem Iran würde es in Zukunft nutzen, wenn die sehr unterschiedlichen Regionen mit ihren unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Menschen durch eine territoriale Selbstregierung eigene Handlungsmöglichkeiten bekämen. Um aber solche Überlegungen zu diskutieren, bedarf es einer Opposition. Das ist im Iran gerade nicht umzusetzen, aber es gibt immer wieder Anstrengungen, eine Opposition im Ausland zu gründen. Diese muss von der internationalen politischen Gemeinschaft ernstgenommen und unterstützt werden.

Die Menschen im Iran bleiben ihrem Traum, ein selbstbestimmtes freies Leben zu führen, treu. Das bringt Hoffnung. Seit 44 Jahren haben die Menschen im Iran wieder solche kollektiven, revolutionären Gefühle, die sich gegen das Regime richten. Menschen, die die Revolution 1979 mitbestritten, die Verletzungen und Traumata davongetragen haben, die ihre Familie verloren, durch Hinrichtungen oder Flucht, hoffen auf Heimat. Diese Menschen schöpfen Hoffnung. Lasst sie uns nicht enttäuschen.