Mit den Worten „Schön, dass ihr da seid, trotz der Drangsal des Wetters“, begann der Künstler Drangsal seine Open-Air-Lesung am 08. August 2023. Denn trotz des nasskalten Wetters erschienen seine Besucher*innen zahlreich. Der Musiker veröffentlichte sein „literarische[s] Debüt zwischen Fakt und Fiktion“ mit dem Titel „Doch“ im Frühling 2022 und begab sich diesen Sommer erneut auf eine kleine Tour, um daraus vorzulesen und ein paar Songs zu performen.
Wohnzimmer-Feeling im Freien
Fast gemütlich sitzt Drangsal (bürgerlich Max Gruber) an seinem Tisch auf der Bühne im „Draussen im Grünen“ im Hamburger Planten un Blomen. Mit Getränk, Notizen, Buch und Akustikset sitzt der Sänger im warmen Bühnenlicht und erzeugt in seiner Show schon fast eine wohnliche, traute Atmosphäre.
Das Multitalent bietet mit seinen Lesungen einen erfrischenden Kontrast zu seinen sonstigen musikalischen Auftritten als Drangsal. Sein Buch “Doch” besteht aus Poesie, autobiographischen Anekdoten und Erzählungen. Mit den kurz gehaltenen Texten wollte Drangsal “etwas machen, was der Generation TikTok entgegenkommt.”
Statt Moshpits zu seiner lauten Musik, gibt es jetzt gesprochene Texte, Anekdoten und ein kleines Akustikset mit neuen und alten Liedern. Die Besucher*innen durften an dem Abend im Wechsel jeweils einen vorgelesenen Text und ein Lied hören.
Vor allem in einer Sache überschneiden sich seine Liedtexte mit dem Geschriebenen: ihrer Wortgewandtheit. Das Vorgelesene übertrifft das ohnehin schon schreibkünstlerische Songwriting sogar noch. Die teils prosaisch, teils lyrischen Texte strotzen nur so vor sprachlichen Mitteln, Reimen und Wortspielen. So klingen die präsentierten Kapitel ähnlich melodisch wie die von Musik begleiteten Songtexte, wie beispielsweise hier:
„Die Capri-Sonne blendet, eisgekühlte Cola perlt dir von der Stirn, einzig Konfekt, wo sonst Gehirn, Gummiwürmer hast du anstatt von Sehnen. Der Zahn der Zeit hat Karies, nagt trotzdem unentwegt.“ (Ein Ausschnitt des Textes ‚Süß‘)
Drangsal neu aufgelegt
Musikalisch liegt Drangsal solo derzeit etwas auf Eis. Sein letztes Album „Exit Strategy“ erschien vor zwei Jahren im August 2021 – die Tour zum Album begann für Gruber und seine Band im folgenden Jahr. Ein paar Lesungsauftritte gab es schon parallel dazu, nachdem „Doch“ im März erschien. Aufgegeben hat der Sänger die Musik allerdings nicht: Max Gruber ist Mitgründer der deutschen Supergroup „Die Benjamins“. Wer den Musiker also weiterhin verfolgen möchte, wird mit der erst kürzlich veröffentlichten ersten EP der Band fündig.
Nach einer kurzen Pause kehrte der Künstler zurück auf die Bühne, um einige Ausschnitte aus seinem derzeitigen Projekt, einem geplanten Roman, vorzutragen. Gemischt wurde dieser Part mit neuen Liedern, die Drangsal gemeinsam mit seinem Songwriter vorspielte. Diese letzte halbe Stunde der Lesung zeigte nicht nur, dass die Texte anders als in „Doch“ sind.
Seine neue Musik hebt sich genauso von ihrem bekannten Klang ab. Im Kontrast zu seinem letzten Album gab es beispielsweise ein englischsprachiges Lied. Auch klingen die neuen Lieder – nicht nur durch das Akustikset – ruhiger. Musikalisch schlägt Drangsal mit seinen aktuelleren Projekten also nochmal eine etwas andere Richtung ein – ihren typischen Wiedererkennungswert haben sie aber trotzdem allemal.
Knightrider oder Himbeertoni?
Der Protagonist des neuen Buches, genannt „R“, wird als „zu gleichen Teilen rührselig, aggressiv und geil“ vorgestellt. Diese Beschreibung passt nicht nur zu der Romanfigur, die vorgetragene Handlung fügt sich ähnlich in diese Charakterisierung. Die Buchausschnitte streifen Alltagssituationen und fokussieren sich auf detaillierte Darstellungen weiterer Romanfiguren. Auch wenn die sprachlichen Ausschmückungen hier etwas kürzer ausfallen als in „Doch“, bleibt der Schreibstil des Romans originell und erfrischend.
Die Lesung endet mit einem letzten Kapitel über den doch eher autobiographisch geprägten Vater des Protagonisten. Hier erwähnt Gruber nebenbei auch, dass dieser sehr von seinem eigenen Vater inspiriert wurde. Vor allem hier lernt man die Figur „R“ durch den Familieneinblick etwas näher kennen. Den krönenden Leseabschluss macht der letzte Satz dieses Kapitels – das Motto des Vaters: „Im Leben ist man entweder ein Knightrider oder ein Himbeertoni.“
Wann und ob der Roman noch veröffentlicht wird, sei laut Drangsal noch unklar. Zur Erscheinung der unveröffentlichten Musik gibt es ebenfalls nur vage Informationen. Ein bisschen Geduld ist daher noch gefragt. Sicher ist allerdings: Fans seiner fesselnden Lyrik können schon jetzt voller Vorfreude sein: ob Musik oder ein Roman, Drangsal sprüht voller kreativer Ideen.