Mehr als nur ein Fest – Der CSD 2023

Der CSD in Hamburg, ein Pride Fest und Protest Der CSD 2023 in Hamburg (Foto: Janosch Lino/ Unsplash)

Von Mirja Feyerabend und Carlos

Mittlerweile sind der CSD und „Pride Month“ nicht nur jedem ein Begriff, auch Unternehmen und Parteien wie die CDU feiern die Pride-Veranstaltungen. Mit der in der Kritik stehenden Kommerzialisierung beginnt der Spagat zwischen ehrlicher Solidarität und „Pride-Marketing“. Doch dieses Jahr wirkt die Atmosphäre auch aus anderen Gründen angespannter. Auf Twitter versuchen rechte Trolle den „Stolzmonat“ zu etablieren, seit Monaten wird die hitzige Debatte rund um trans* Menschen und das TSG (Transsexuellengesetz) vorangetrieben und der Blick in die USA oder Großbritannien kann erschrecken.

Dennoch werden auch dieses Jahr tausende Menschen der LGBTQIA+-Community auf die Straßen gehen, demonstrieren, feiern. Für sie ist der CSD mehr als eine Marketingplattform. Wieso? Wo liegt der Ursprungsgedanke der Pride Week? Wie präsent ist er noch heute und warum braucht es den CSD in einem scheinbar toleranten Hamburg?

Das Stonewall Inn

Am Ende der 1960er Jahre waren Bars wie das Black Cat in Los Angeles oder das Stonewall Inn auf der Christopher Street in New York die zentralen Orte queeren Lebens. Sie waren Anlaufstellen für homosexuelle Sexarbeiter:innen, trans Personen, People of Colour, obdachlose Teenager und Drag Queens und Kings. Dabei hatten sie oft Kontakte zur Mafia und operierten ohne Genehmigungen. So auch das Stonewall Inn, welches weder Ausschankgenehmigung noch fließend Wasser hatte. Gleichzeitig wurden solche Bars häufig von der Polizei durchsucht und queere Menschen für „acts of public indicency“ festgenommen. Das Stonewall Inn mit seinen Kontakten in die New Yorker Unterwelt war zum Teil mit monatlichen Durchsuchungen konfrontiert. So auch am 27. Juni 1969.

Die „Aufstände“

Im Gegensatz zu vorherigen Durchsuchungen, floh die Mehrheit an diesem Tag nicht, sondern sammelte sich vor den Türen der Bar. Als sich eine der Besuchenden im Zuge einer Festnahme wehrte und Prügel bezog, schritt die Menge ein. Unter anderem Sylvia Rivera, einer puertoricanischen Drag Queen, wird zugeschrieben, sie hätte die erste Flasche geworfen. Im Folgenden wurde die Polizei an weiteren Festnahmen gehindert und in der Bar eingeschlossen, während sich in der engen Straße weitere Protestierende sammelten. Ebendiese engen Straßen erlaubten es, die Zufahrt für weitere Polizei zu versperren. Erst in der Nacht wurde die Menge aufgelöst. Im Nachhinein sollen es fast tausend Menschen gewesen sein, die sich spontan beteiligten.

Erinnern an die „Stonewall Riots“ und der „Christopher Street Liberation Day“ (CSD)

Schon bevor es zu den ersten Auseinandersetzungen kam, erfuhren Aktivist:innen von den Ereignissen. Einige, wie Rivera, seien direkt vor Ort gewesen. Andere, wie Craig Rodwell oder Dick Leitsch, kamen erst im Laufe des Abends und des nächsten Tages hinzu. Insbesondere Rodwell habe mit der Verteilung von Flyern und seinen Kontakten zur Presse zum Bekanntheitsgrad beigetragen. Durch diese Flyer wurde bereits am zweiten Tag die Besonderheit des Ereignis verkündet: „The nights of Friday, June 27,1969 and Saturday, June 28, 1969 will go down in history as the first time that thousands of Homosexual men and women went out into the streets to protest the intolerable situation which has existed in New York City for many years”

Es war nicht das erste oder letzte Mal, dass eine Schwulenbar durch die Polizei überfallen wurde und es zu Ausschreitungen kam, etwa wie beim Black Cat Raid 1967 oder 1970 in der Snake Pit Bar. Jedoch seien die Umstände für ein langes Erinnern in diesem Fall besonders günstig gewesen, wenn es nach Elizabeth Armstrong und Suzanna Crage geht. Die Jahre zuvor hatte sich in Greenwich Village, New York eine radikale queere Szene etabliert, die sich, von der Civil-Rights-Bewegung, Black Power und der Neuen Linken inspiriert, „Gay Power“ auf die Fahne schrieb.

Davon profitierten die Protestierenden. Durch die bereits entstandenen Organisationen und Zeitschriften wurde das Ereignis für die eigenen Ziele genutzt. Bereits im November unterbreitete Rodwell auf einem Kongress den Vorschlag für einen „Christopher Street Liberation Day“, welcher mit einer Parade oder einem Protestmarsch gefeiert werden sollte. Es kam zu Paraden in mehreren großen Städten und in Los Angeles. Das erste Mal unter Polizeischutz, die zuvor immer in Konfrontation mit großen queeren Versammlungen stand.

Und der CSD heute?

Obwohl der CSD und die Pride Veranstaltungen in Deutschland heute also auf den ersten Blick wie ein großes Party-Event erscheinen, stecken viel Geschichte, Emotionen und vor allem der noch immer geführte Kampf für Gleichberechtigung dahinter. Doch nicht nur Erinnerungskultur, sondern auch der weiter bestehende Handlungsbedarf prägen den CSD. Denn auch wenn man es der ausgelassenen Stimmung der Hamburger Pride Week nicht anmerkt, die gegenwärtigen Entwicklungen sind für viele queere Menschen erschreckend.

2022 wurden 1005 Fälle von Hasskriminalität gegen Angehörige der LGBTQIA+-Community in Deutschland registriert. Die Zahlen seien somit weiter gestiegen, berichtete das zuständige Bundesministerium. Übergriffe auf Pride-Demos, unter anderem von Neonazis, waren leider auch schon dieses Jahr in anderen Städten Realität.

Beängstigend ist in diesem Zuge auch das Hashtag #Stolzmonat, welches seit einigen Wochen in den sozialen Medien herumgeistert. Das von rechten Gruppen, unter anderem der AfD, propagierte Gegenstück zum #Pridemonth ruft zu Nationalstolz und Verhöhnung der Pride-Bewegung auf. Laut der Amadeu Antonio Stiftung, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus stark macht, handle es sich zum Glück nicht um eine relevante Mehrheit, sondern „primär um frustrierte Menschen mit zu viel Zeit“. Das Hashtag und die Postings sollen die organische Entwicklung eines Social Media Trends suggerieren – und leider spielen Algorithmen und das System Social Media den Rechtsradikalen hierbei in die Hände.  Die rechtsradikalen und queerfeindlichen Tendenzen der AfD treten immer deutlicher hervor. Entsprechend wichtig ist der LGBTQIA+ Community auch ihre Sichtbarkeit als Gegenbewegung.

Doch da die AfD immer salonfähiger wird, nicht nur durch ihre Präsenz im Bundestag, sondern auch durch Äußerungen andersparteiischer Politiker wie Friedrich Merz, werden die überzogenen Beiträge von Internettrollen plötzlich gefährlich. Denn wenn die AfD salonfähig wäre, so wären es auch ihre Aussagen, und in diesem Falle wäre das Queerfeindlichkeit.

Aufkeimender Kulturkampf

Der Blick ins Ausland, etwa nach Amerika, macht wenig Mut. Mit Gouverneuren wie Ron DeSantis, der Abtreibungsverbote und Anti-LGBTQ-Gesetze auf den Weg bringt, ist Rechtsaußen sehr präsent vertreten. Doch gerade diesen hatte Andreas Scheuer (CSU) im Mai noch für ein Gespräch besucht, wofür er im Anschluss auch massig Kritik bekam. Es scheint, der Kulturkampf wird langsam nach Deutschland exportiert, wenn er nicht schon hier ist.

Tatsächlich wurde die Hamburger CDU wegen bestimmter politischer Einstellungen zum Thema Selbstbestimmungsgesetz für Trans-Menschen jetzt vom der Hauptdemonstration des Hamburger CSDs ausgeladen. Thomas Thomsen, der Vorsitzende der „Lesben und Schwulen in der Union“ (LSU) kann die Gründe in einem Interview mit der taz nachvollziehen und beschreibt Meinungsverschiedenheiten in der eigenen Partei. Uneinigkeit scheint es also nicht nur zwischen Parteien zu geben, sondern selbst innerhalb. Die Samen des Kulturkampfes scheinen immer mehr und breiter gesät. Es bleibt zu hoffen, dass diese nicht aufkeimen.

Was bleibt?

Was bleibt ist die unermüdliche Bereitschaft aller Organisatoren, Demonstranten und Beteiligten des CSD ihre Rechte zu feiern und zu leben und dafür weiter zu kämpfen. Gerade dieses Jahr scheint die historische Bedeutung der Pride Week umso wichtiger, der CSD umso politischer und deutlicher in seinen Forderungen und Prinzipien. Die Pride Week ist keine Bühne für leere Marketing-Slogans. Mit dem Ausladen der CDU machen die Organisatoren klar, dass es Zeit wird Flagge zu zeigen – in diesem Fall eine, die so bunt ist wie die Menschen, um die es eigentlich geht.

Die diesjährige CSD-Demonstration in Hamburg findet am Samstag, den 5. August um 12 Uhr am Ende der Langen Reihe statt.

Weitere Quellen

Armstrong, E. A. u. Crage, S. M.: Movements and Memory: The Making of the Stonewall Myth, in: American Sociological Review, Bd. 71, Nr. 5, 2006, S. 724-751. Online: https://www.jstor.org/stable/25472425

Ashley, C. P.: Gay Liberation: How a Once Radical Movement Got Married and Settled Down, in: New Labor Forum, Bd. 24, Nr. 3, 2015, S. 28-31. Online: https://www.jstor.org/stable/24718619

DeFilippis, J. N.: Betraying the Legacy of Stonewall, in: QED: A Journal in GLBTQ Worldmaking, Bd. 6, Nr. 2, 2019, S. 95-103. Online: https://www.jstor.org/stable/10.14321/qed.6.2.0095

Duberman, M. u. Kopkind, A.: The Night They Raided Stonewall, in: Grand Street, Nr. 44, 1993, S. 120-147. Online: https://www.jstor.org/stable/25007620

Mumford, K.: The Lessons of Stonewall Fifty Years Late, in: QED: A Journal in GLBTQ Worldmaking, Bd. 6, Nr. 2, 2019, S. 85-90. Online:
https://www.jstor.org/stable/10.14321/qed.6.2.0085