Die Zeit mit dem Kanzler

Olaf Scholz im Interview mit Mariam Lau und Roman Pletter Olaf Scholz im Audimax bei der Langen Nacht der ZEIT 2023 (Foto: Mika Stoffer)

Um Punkt 18 Uhr wurde das bis zum Rand gefüllte Audimax stumm, was war passiert? Gar nichts. Nichts, bis auf die Tatsache, dass es 18 Uhr schlug und Olaf Scholz zu dieser Uhrzeit erwartet wurde.

Der Bundeskanzler wurde für die Veranstaltung „Eine Stunde Zeit mit Olaf Scholz“ erwartet, diese fand im Rahmen der „Langen Nacht der ZEIT“  statt. Das Audimax ist so voll wie ich es noch nie gesehen habe, es stehen sogar Menschen neben den eigentlichen Reihen, um der kommenden Veranstaltung beizuwohnen. Die Uhr springt auf 18 Uhr und fast alle Gespräche ebben ab. Ich konnte nur vereinzeltes Getuschel um mich herum wahrnehmen. Es war ein beeindruckender Moment, dass das gesamte Audimax still werden kann, weil der Bundeskanzler jede Sekunde erwartet wird.

Kurz nach diesem Moment beginnt er, der „Höhepunkt der Langen Nacht der ZEIT“, wie Rainer Esser, Geschäftsführer der ZEIT, das Interview mit dem Bundeskanzler einleitet.

Wie spricht der Kanzler?

Entgegen meiner bisherigen Wahrnehmung von Olaf Scholz, dem für seine trockenen und gerade zu roboterhaften Antworten der Spitzname „Scholz-O-mat“ nachhängt, ist er in Person doch ein sehr beeindruckender Redner. Er spricht in schönen Metaphern, um beispielsweise sein Motiv des „Respekts“, mit welchem er auch Wahlkampf geführt hat, zu verbildlichen. So sei die Frage nicht, ob man einen Latte-Macchiato in einem Hamburger Szene Viertel trinke, sondern ob man die Personen, die jenes Getränk brächten und herstellten, respektiere.

Ein schönes Bild, nur leider wenig konkret, wie vieles, was er in diesem Interview sagte. Bei einer Frage bezüglich des viel diskutierten Heizungs-Gesetzes, war er thematisch ganz schnell bei den Fortschritten der deutschen Autoindustrie im Bezug auf E-Mobilität. So wich Scholz den prekären Fragen fast die ganze Zeit aus. Unter anderem auch einer Frage, die ich stellen durfte: Die Zuschauenden hatte die Möglichkeit über ein Online-Tool vorab Fragen zu stellen. Ich hatte die Frage, wie es „bekloppt“ sein könne aufgrund einer existenziellen Angst zu demonstrieren und ob es nicht viel eher „bekloppt“ sei, jenen Menschen nicht zuzuhören. Denn Scholz hatte die Straßenblockaden der Letzten Generation, konkret das Festkleben der Letzen Generation kürzlich als „völlig bekloppt“ bezeichnet. Auf meine Frage wich er wie gewohnt aus: Es würde zugehört und es sei trotzig zu behaupten man könne alles morgen schaffen. Damit hat er erfolgreich den eigentlichen Inhalt der Frage vermieden, nämlich die die existenziellen Ängste, die hinter den Blockaden stecken.

Trotz dessen war er schlagfertiger als ich ihn bis jetzt wahrgenommen habe. So beschrieb er, dass die bayerische Landesregierung im Bezug auf den Ausbau erneuerbarer Energien den Industriestandort Bayern vernachlässigt habe. Derartige Statements gegen politische Gegner kannte ich von ihm nicht.

Wesentlich überzeugter als von der bayerischen Energiepolitik war Herr Scholz von seiner eigenen. So hätte er in der letzten Legislaturperiode schon darauf aufmerksam gemacht, dass wir mehr Klimaschutz brauchen, jedoch habe er das unter der Unions-geführten Regierung nicht geschafft. Eine schwache Ausrede, wie ich finde, und bei weitem keine Entlastung für die Versäumnisse der letzten Koalition. Denn auch, wenn Herr Scholz es scheinbar nicht so sieht, kann eine Partei auch als Junior-Partner einer Koalition Dinge bewegen. Man sollte meinen, er hätte es in seiner jetzigen Regierung dank der FDP bemerkt haben können, dass auch ein Junior-Partner ein ziemlich starkes Wort in einer Koalition haben kann.

Und auch die Frage, die wohl nahezu immer gestellt wird, wenn junge Menschen anwesend sind, hat Herr Scholz sogar von allein beantwortet, nachdem er sie auf dem Bildschirm erblickte:

Herr Scholz, wann Bubatz legal?

Die Antwort darauf, nach einer kurzen Erläuterung für das Publikum, dass mit „Bubatz“ Cannabis gemeint ist, orientierte sich an dem bereits Bekanntem: Cannabis-Clubs und Modellregionen sollen das Versprechen der Ampel-Koalition einlösen.

In Conclusio

Wenngleich ich meine Kritik an dem Gesagtem habe, wie der Fakt, dass Olaf Scholz die eigene Politik übermäßig glorifiziert oder, dass er den wirklich interessanten und brisanten Fragen ausgewichen ist, war es beeindruckend dem Kanzler zuzuhören. Es war sehr interessant seiner Art des Sprechens beizuwohnen: Sehr bedacht, nüchtern, aber stellenweise auch locker. Er sagt das, was er sagen will und nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist eine Tugend, die ich in der ein oder anderen Diskussion, der ich beiwohnte, vermisst habe.

Der Auftritt des Bundeskanzlers ging dann nach anderthalb Stunden zu Ende, aber wird mir persönlich noch länger im Kopf bleiben. Allein das Audimax zu füllen und für eineinhalb Stunden zu fesseln vermag nicht jede:r, doch geschah dies ein zweites Mal im Laufe der Langen Nacht der ZEIT. Nämlich mit der Aufzeichnung des Podcasts ZEIT Verbrechen, die Rainer Esser sogar als den ‚Ultimativen Höhepunkt‘ des Abends ankündigte.

Was ich von dem Abend mitnehme: Der Bundeskanzler ist vielleicht kein Scholz-O-mat, aber auch er kann dem erfolgreichsten True-Crime-Podcasts Deutschlands nicht das Wasser reichen.