Das Ding mit dem Überseering

Überseering in Hamburg Das Gebäude des Überseering 35 (Foto: Mika Stoffer)

Hinter dem Abbild des Shell-Logos steht ein riesiger, komplett verglaster Koloss von einem Gebäude – der Überseering 35. Seit 2017 bietet er der Fakultät für Geisteswissenschaften Zuflucht. Die dort Studierenden stellen sich vor allem die Frage, wann es zurück in den Philosophenturm geht.

Im Norden Hamburgs, hinter dem Abbild einer riesigen Muschel, die den Shell-Konzern repräsentiert, befindet sich der Überseering 35. Dieser liegt in der City Nord, eine bereits in den späten 1950er geplanten Bürostadt. Damals konzipiert, um Büroflächen außerhalb der Innenstadt bereitzustellen, damit die Innenstadt nicht mit Büros überflutet wird. Dementsprechend wird dieser Teil Hamburgs maßgeblich durch Konzerne besiedelt, sei es Tchibo, Vattenfall, Edeka, oder auch andere Mieter wie die Hamburger Polizei, deren Einstellungsstelle sich in eben jenem Überseering 35 befindet und in demselben Gebäude auch anwesend: Die Universität Hamburg.
In diesem riesigen, kreuzförmigen, komplett verglasten Gebäude-Koloss findet die Fakultät für Geisteswissenschaften seit 2017 Zuflucht. Denn das eigentliche Gebäude der Fakultät, der Philosophenturm, wird renoviert.

Sowohl für Studis, die sich noch nie mit dem Überseering beschäftigt haben, als auch für Studis, die dort ihren gesamten Studienalltag verbringen, stellen sich Fragen, unter anderem: Wie erreicht man dieses recht weit vom Uni Campus entfernte Gebiet? Was bietet der Überseering? Und wie sehen die Perspektiven auf die Rückkehr in den Philosophenturms aus?

Odyssee Überseering

Auch wenn der Überseering für viele Studis – vor allem für die Geisteswissenschaftler:innen – den zentralen Ort ihres Studiums darstellt, gibt es ebenso Studis, für die dieses Gebäude nur ein Ort aus Erzählungen ist. Also fangen wir mit dem Grundlegendem an: Wie kommt man zum Überseering?

Wirft man einen Blick auf die Navigation der HVV-App vom Eingang des ESA 1 zum Überseering 35, sieht man folgenden Ablauf: Drei Minuten zu Fuß zur Bushaltestelle Universität/Staatsbibliothek – Vier Minuten mit dem Bus zur U-Bahnstation Stephansplatz fahren – Elf Minuten mit der U-Bahn nach Alsterdorf fahren und von dort aus nochmals 14 Minuten zu Fuß zum Überseering.

Rechnet man diese Wege zusammen kommt man auf eine Gesamtzeit von 34 Minuten. Ein Problem für alle Studis, die zwei aufeinander folgende Seminare an den jeweiligen Orten haben: Die Zeit überschreitet die Dauer der halbstündigen Pause. Selbst wenn man das ‚Glück‘ hat, bereits am Überseering zu sein, ist diese Pause auch eher schwer zu füllen. Die Essensmöglichkeiten sind im Vergleich zum Campus am Von-Melle-Park ein Trauerspiel: Eine Mensa und kein Cafe, aber tausende Baustellen.

Und dann kann das Mittagessen in der Mensa auch noch ziemlich laut werden. So passiert es, dass einige dem Überseering entfliehen möchten, nur um dann aus Versehen einen Alarm am Notausgang auszulösen, der allen Besucher:innen der Mensa eine schöne Geräuschkulisse beschert.

Auch außerhalb des Überseering 35 ist das Angebot spärlich. Einige mögen den Edeka Logos folgen, nur um dann hungrig der Geschäftszentrale des Konzerns gegenüberzustehen. Allgemein sind riesige Gebäude und künstliche Grünflächen keine schöne Pausenumgebung. Die meisten verlassen das Gelände des Überseering 35 nach ihren Veranstaltungen fluchtartig. Sehr verständlich – wer möchte schließlich seine Freizeit in grässlichen, grauen Gängen, die zu keinem Freiraum, mit Ausnahme der Mensa und dem Studentischen Freiraum ‚Üterus‘, führen, verbringen? Der soziale Aspekt des Studiums leidet also beträchtlich im Überseering.

Aber auch die Qualität des Studierens nimmt in derartigen Büroräumen ab. Triste Kellerräume, in denen sich die Fenster nicht einmal vollständig öffnen lassen und für die Vorlesungen genutzt werden, ähneln echten Vorlesungssälen eben nicht und erschweren das Lernen.

Zurück zum Von-Melle-Park?

Aber wie sieht es mit dem eigentlichen Zuhause der Geisteswissenschaften – dem Philosophenturm – aus? Dieser wird nun seit 2017 renoviert, zunächst war eine Wiedereröffnung im Spätsommer 2021 geplant. Ich muss wohl keinem erzählen, dass dieses Datum ein wenig sehr überschritten wurde.

Vermehrt hat sich aber nicht nur die Dauer der Renovierungsarbeiten. Nein, auch die Kosten für die Sanierung sind laut NDR um ca. 18 Millionen Euro angestiegen. Damit werden insgesamt 103 Millionen Euro zu Buche geschrieben. Eine beträchtliche Summe, bedenkt man die anderen Bauprojekte der Universität wie die Renovierung des von Naphthalin bewohnten Pferdestalles, dem Gebäude der Sozialwissenschaften, welches ebenfalls seit 2017 renoviert wird. Naphthalin ist ein Stoff, der Kopfschmerzen, Übelkeit und andere Symptome verursachen kann, aber in erster Linie wird vermutet, dass es krebserregend sein könnte.

Dennoch, es besteht Hoffnung, zumindest für den Philosophenturm: In einem Q&A mit dem Präsidenten der Universität, Hauke Heekeren, vom 25.04 diesen Jahres gibt dieser eine klare Antwort, wann es zurück in den Philosophenturm geht: Im Laufe des nächsten Wintersemesters. Dabei bitte er jetzt schon um Verständnis, da es kein einfacher Prozess sei und Unannehmlichkeiten auftreten könnten. Das passt in das Profil der sich immer wieder erschwerenden Bauprojekte der Universität Hamburg.

Überseering, nur ein Alptraum?

Diese Frage vermag ich nicht in Gänze zu beantworten, jedoch überwiegen für mich leider die negativen Begleitumstände, die mit dem Überseering in den Alltag so vieler Studierender kamen. Eine lange Reise vom Von-Melle-Park, ein enttäuschendes Angebot an Verpflegung und eine Umgebung, welche den Menschen ganz sinnbildlich an den Rand schiebt: Die City Nord besteht aus dem inneren Gebiet, in welchem nur Konzerne angesiedelt sind und darum gebaut sind die Wohnblöcke. Meiner Meinung nach eine schöne Metapher für das hinter der City Nord stehende Prinzip – das private Leben wird an den Rand gedrängt und die Arbeit steht im Zentrum.

Es verbleibt also nur zu hoffen, dass sich die Worte des Uni-Präsidenten bewahrheiten, die Geisteswissenschaftler:innen im kommenden Wintersemester zurückkehren können und damit der Überseering zumindest aus meiner Perspektive nur noch ein verblasster Alptraum ist.