gefragt: Das war ein großer Verrat

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Die zweiundzwanzigjährige Elisa Baş ist Pressesprecherin bei Fridays For Future und Lehramtsstudierende der Chemie und Geographie in Hamburg. Sie engagiert sich für Klimagerechtigkeit mit Fokus auf diejenigen, die am stärksten von den Folgen der Klimakrise betroffen sind. Im Rahmen ihres Aktivismus macht sich Elisa auch für Antirassismus und Geflüchtete stark. Mit KOPFZEILE hat sie über Lützerath, die Grünen und die Zukunft der Klimagerechtigkeitsbewegung gesprochen. 

KOPFZEILE: Du engagierst dich seit zwei Jahren bei Fridays for Future Hamburg. Wie hat das angefangen? 

Elisa Baş: Ich studiere Chemie und Geographie auf Lehramt an der Universität Hamburg. In meinem ersten Semester, im Januar 2021 bin ich zu den Students For Future gekommen, um erstmal auf Hochschulebene für Klimagerechtigkeit zu kämpfen. Durch die Großdemo, die wir für den 19.3.2021 geplant haben, bin ich dann auch schnell in die Fridays For Future Ortsgruppe in Hamburg hineingeraten. Das war damals noch mitten im Lockdown, also haben wir eigentlich alles über Zoom-Meetings organisiert. Unser erstes Treffen in Präsenz war dann der globale Klimastreik selbst, das war natürlich sehr aufregend. Seitdem habe ich verschiedenste Aufgaben übernommen – in der Demoplanung, im Hintergrund in der Finanzverwaltung und seit über einem Jahr auch als gewählte Pressesprecherin in der Öffentlichkeit. Bevor ich zu FFF gekommen bin, habe ich unterschiedliche Demonstrationen besucht mit den Schwerpunktthemen Antirassismus und Geflüchtetenrechte. Der Weg zu einer Klimagerechtigkeitsbewegung war entsprechend kurz, da hier die Sichtbarmachung und Bekämpfung der Unterdrückungssysteme, die maßgeblich zur Klimakrise beigetragen haben zentral sind. Die Klimakrise ist nicht im Vakuum entstanden, oftmals werden die Bedingungen, unter denen die Industrialisierung expandierte, vernachlässigt. Ein sorgfältiger Blick enthüllt, dass die Entstehung der Krise eng mit dem Kolonialismus und der rassistischen Ausbeutung von Mensch und Natur verknüpft ist. Der Wachstumszwang des Kapitalismus nimmt keine Rücksicht auf planetare Grenzen oder menschliche Bedürfnisse und bedient sich an Diskriminierungsformen wie Rassismus, um die Menschen einfacher ausbeuten und ihnen ihre Ressourcen rauben zu können. 

Die Profitgier befeuert die Krise auch in (post)kolonialen Zeiten noch immer. Politische Entscheidungen, wie die in Lützerath, führen uns das unmissverständlich vor Augen. 

"Das war ein dreckiger Deal, den die Regierung versucht hat, als Kompromiss zu verkaufen."

KOPFZEILE: Über 35.000 Menschen haben im Januar gegen die Zerstörung des Dorfes demonstriert. Trotzdem wurde Lützerath geräumt. Was ist dort passiert? 

Elisa Baş: Um Lützerath haben Aktivist:innen jahrelang gekämpft. Unter dem nordrheinwestfälischen Dorf liegen 280 Millionen Tonnen Braunkohle, die der Kohlekonzern RWE abbauen will. Die Kernfrage drehte sich darum, ob es diese Kohle benötigt, um die Energiesicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Die Politik hat damals auf ein Gutachten von RWE selbst gesetzt, um den Kohleabbau zu begründen, obwohl ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu anderen Ergebnissen gekommen ist. Mona Neubaur, die Wirtschaftsministerin in NRW, der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der RWE Vorstandsvorsitzende Markus Krebber haben ihren gemeinsamen Beschluss dann in einer Pressekonferenz vorgetragen. Das war ein dreckiger Deal, den die Regierung versucht hat, als Kompromiss zu verkaufen. Lützerath solle zwar zerstört werden, dafür würde man 2038 keine Braunkohle mehr verbrennen. Das stand aber gar nicht mehr zur Debatte, das war uns allen klar, dass es auch für die Wirtschaft nicht mehr lukrativ sein würde, 2038 noch Kohle zu verbrennen. Jede Person, die im Januar vor Ort war, trägt dieses Erlebnis weiterhin mit sich. Wir haben ein unmissverständliches Zeichen gesetzt, unter den widrigsten Umständen, stundenlanger Protest im Schlamm, bei Wind und Wetter und konfrontiert mit Gewalt seitens der Polizei. Und dennoch haben wir gesehen, dass die Kapitalinteressen RWEs wichtiger gewertet wurden, als die breite Zivilgesellschaft. Uns alle hat geeint, dass wir wütend sind, auch über die Heuchelei der grünen Partei.

KOPFZEILE: Worauf beziehst du dich, wenn du von der „Heuchelei der grünen Partei“ sprichst? 

Elisa Baş: Die Wirtschaftsministerin Mona Neubauer posierte im Wahlkampf im Garzweiler Braunkohle Revier mit dem Hashtag #alledörferbleiben. Als sie dann entscheidungsfähig war und ihre Forderungen durchsetzen konnte, hat sie sich explizit dagegen entschieden, indem sie diesen Deal mit RWE eingegangen ist. Das war ein großer Verrat. Auch Robert Habeck hat versucht, die Entscheidung kleinzureden und Lützerath als “falsch gewähltes Symbol” darzustellen. Das bagatellisiert aber die reale Bedeutung dieses Ortes, Lützerath ist nicht bloß ein Symbol. Unter Lützerath liegt reale Kohle, die die Grünen für die realen Kapitalinteressen RWEs real abbaggern lassen, wodurch die Klimakrise real weiter befeuert wird. Die Bedeutung dessen herunterzuspielen ist ein Versuch, von der eigenen Politikunfähigkeit abzulenken. 

"Eine Klimaungerechtigkeit sondergleichen"

KOPFZEILE: Was ist nach eineinhalb Jahren Regierungsbeteiligung der Grünen noch übrig, von der Hoffnung auf eine klimapolitische Wende? 

Elisa Baş: Uns bleibt nichts als die Hoffnung. Die Klimakrise ist menschengemacht. Gesetze und Gesellschaften werden von Menschen geformt und können entsprechend verändert werden. Und das sehen wir auch, dass Ziele angepasst werden, in den letzten Jahren vorrangig in Richtung ambitioniertere Klimapolitik. Was allerdings jetzt passiert ist, mit dem neuen Koalitionsausschuss ist ein weiterer großer Rückschritt. Zwei Wochen, nachdem der IPCC-Bericht konstatiert hat, dass die Regierungen ungenügend handeln, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad einzudämmen, hat die deutsche Bundesregierung beschlossenen, die Einhaltung der Sektorziele nicht mehr zu prüfen. So werden der Verkehrs- und Gebäudesektor, die ihre Ziele verfehlt haben, damit belohnt, zukünftig von der Verantwortung für Klimagerechtigkeit entbunden zu sein. Auch die aktuelle Regierung handelt nicht annähernd ihren Zielen entsprechend: 2022 gingen die klimaschädlichen Treibhausgase der Bundesrepublik nur um 1,9 Prozent zurück. Notwendig wären aber jährlich sechs Prozent, um die Klimaziele der Bundesregierung, die nicht Paris-konform sind, bis 2030 zu erreichen. 

Bereits heute, bei einer Erderwärmung von 1,1 Grad sind laut des IPCC 3,3-3,6 Milliarden Menschen hochgradig gefährdet. Man kann sich ausmalen, wie eine 1,5 Grad wärmere Welt aussieht. Sich als Industrienation, die historisch zu den Hauptverantwortlichen der Klimakrise gehört, dafür zu entscheiden, die eigenen Klimaschutzziele, die sowieso schon ungenügend sind, weiter zu verwässern, ist eine Klimaungerechtigkeit sondergleichen. Das lässt natürlich an der Gewissheit zweifeln, dass die Regierung wirklich intendiert, ambitionierte Klimapolitik voranzutreiben. Aber die Gewissheit darüber, dass das System, dass die Krise hervorruft, menschengemacht ist und deshalb auch von uns Menschen überwunden werden kann und muss, für eine klimagerechte Welt, treibt uns weiter in die Aktion. 

Photo: Jonathan Knodel. Flickr Fridays for Future

KOPFZEILE: Was können das für Aktionen sein?

Elisa Baş: Wir sind ein großes Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen und wir zeigen immer wieder, dass Klimagerechtigkeit unterschiedlichste Komponenten hat. Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit lassen sich nicht gegeneinander ausspielen, sondern funktionieren nur miteinander. Deswegen sind wir gefragt, unsere Kräfte weiter zu bündeln und das klappt auch ziemlich gut. Am 3. März 2023 haben wir gemeinsam mit der Gewerkschaft ver.di unter dem Motto „Wir fahren zusammen“ gestreikt. Die Transformation hin zu klimagerechter Infrastruktur wird nicht einfach nur herbeigezaubert. Wir brauchen entsprechend viele Arbeiter:innen, um diese Wende in die Praxis umzusetzen. Dazu gehören bessere Arbeitsbedingungen, der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und günstigere Tickets. Gegen die ausbeuterischen Verhältnisse im Verkehrssektor anzutreten ist demnach auch in unserem Kerninteresse. 

In letzter Zeit haben wir vor allem unsere Mobilisierung an den Schulen ausgebaut. Wir bieten Workshops an und stellen uns und unsere Arbeit vor. Während der Pandemie, als keine Großdemonstrationen stattfinden konnten, von September 2020 bis September 2021, haben wir ein Klimacamp hinter der Petrikirche in der Mönckebergstraße in Hamburg veranstaltet. So konnten wir ansprechbar sein für Passant:innen, die Fragen hatten und für Menschen, die sich aktivistisch betätigen wollen. Mit einem 70 Meter langen Schriftzug „Wir alle für 1,5 Grad“ haben wir eine Art Mahnmal an die Stadt Hamburg gesetzt, die ebenfalls eine große Verantwortung trägt. Das Herzstück an Aktionsformen bleibt aber der globale Klimastreik, auch um zu zeigen, dass wir eine Massenbewegung sind. Wir wollen der Zivilgesellschaft ermöglichen, an niedrigschwelligen Aktionen teilzunehmen, Familien mit Kindern und Menschen mit ungesicherten Aufenthaltsbedingungen, die Angst vor direkter Konfrontation mit der Polizei haben müssen. Trotzdem sind natürlich viele Menschen parallel in anderen Bewegungen wie Ende Gelände aktiv. 

KOPFZEILE: Wie werden solche Großdemonstrationen organisiert? 

Elisa Baş: Da steckt monatelange Vorbereitung hinter. Dadurch, dass wir in Hamburg so eine große Ortsgruppe haben, können wir uns in verschiedene Ressorts aufteilen, in denen Menschen sich je nach Interesse und Fähigkeiten beteiligen können. Zum Beispiel an der Logistik: Welche Bühne brauchen wir? – oder im Sicherheitsressort: Wie sieht es mit den Fluchtwegen vor Ort aus? Es gibt auch das Programmressort, in dem ich mich häufig beteilige. Bei Demonstrationen, zu denen zuweilen Zehntausende kommen, tragen wir eine große Verantwortung für die Themen, die bespielt werden. Wir machen uns umfassend Gedanken darüber, wer redet, welchen Perspektiven wir eine Stimme geben wollen und welches Bild gesellschaftlicher Diversität wir verkörpern. Einige Monate vor der Demo beginnt dann die Mobilisierung, da brauchen wir vor allem viel Human Power. In einer großen Stadt wie Hamburg gibt es schließlich viele Straßen und Flächen, an denen man für Aufsehen sorgen kann. Die einzelnen Ressorts treffen sich dann meist wöchentlich in Präsenz oder digital und es gibt gemeinsame Plena aller Ressorts, in denen wir uns gegenseitig updaten. Ich bin außerdem auch im Vorstand unseres Spendenvereins. Natürlich geht die Vorbereitung eines Großstreiks auch damit einher, dass wir uns damit auseinandersetzen müssen, ob alle Kosten gedeckt sind. Also organisieren wir Fundraising und Social Media Kampagnen. Und auch auf den wöchentlichen Streiks sammeln wir Spenden für die Großstreiks. Die Spenden kommen zu einem großen Teil von Privatpersonen, außerdem haben wir Partner wie campact im Bündnis, die ein größeres Budget zur Verfügung haben. 

KOPFZEILE: Und was passiert, wenn ihr gerade keinen Streik organisiert? 

Elisa Baş: Auch außerhalb der Organisation der Großstreiks haben wir unser wöchentliches Plenum, alternierend samstags und sonntags. Wir beginnen um 13 oder 14 Uhr, je nachdem, ob man vorher in der Programm-AG mitarbeiten möchte. Zusätzlich haben wir auch regelmäßige Treffen mit anderen Gruppen. Und dann gibt es die Presse-AG und die Social Media AG, das ist so das Hintergrundrauschen, das die ganze Zeit läuft. Ich habe am Anfang in alle AGs reingeschnuppert, um zu gucken, welche Arbeit mir am Besten liegt und wo ich mich am Besten einbringen kann. Für jede Person gibt es einen Bereich, in dem die eigenen Kompetenzen gut genutzt werden können, da braucht man nur Motivation etwas zu verändern und Zeit. 

KOPFZEILE: In welcher Beziehung steht ihr zu der Students for Future Gruppe an der Universität Hamburg? 

Elisa Baş: Die Students for Future sind Teil des Fridays for Future Bündnisses und gleichzeitig, je nach Ortsgruppe, manchmal eine AG innerhalb der Fridays for Future Ortsgruppen. So handhaben wir das zum Beispiel in Hamburg. Sie arbeiten jedoch autonomer als andere AGs. Ihr Schwerpunkt ist es, die Studierenden an den Hochschulen anzusprechen und Klimabildung zu leisten, um ein stärkeres Bewusstsein für die Thematik zu schaffen. Die Students For Future beteiligen sich auch in der Hochschulpolitik in den Studierendenparlamenten um sich für klimaneutrale Hochschulen einzusetzen. Die größte Ringvorlesung an der Universität Hamburg zum Thema Klimagerechtigkeit wurde vorrangig von den Students for Future organisiert. Die überregionale Gruppe Students For Future Deutschland veranstaltet außerdem die Public Climate School und macht so eine Woche im Jahr Klimabildung für alle zugänglich. Da finden dann Livestreams von morgens bis abends statt, es gibt verschiedene Programme für unterschiedliche Altersgruppen. Zudem gibt es Präsenzveranstaltungen an Universitäten, zu denen die Lehrkräfte ihre Schüler:innen dann schicken können. Dieses Jahr soll es vor allem in Leipzig viele Präsenzveranstaltungen geben, auch ich werde dort auf einem Panel über die Rolle der Medien in der Klimakrise sprechen.