Was steckt hinter Deutschlands Abstieg in der Rangliste der Pressefreiheit?

Foto: pixabay
Am 03. Mai ist die Rangliste der Pressefreiheit für 2022 bei Reporter ohne Grenzen erschienen. Die jährlich erscheinende Rangliste der Pressefreiheit vergleicht die Situation für Journalist:innen und Medienschaffende in über 180 Staaten. Dieses Jahr erscheint die Rangliste zum 20. Mal. Deutschland ist das dritte Jahr in Folge abgestiegen, von Rang 16 auf Rang 21. von Lara Haßlberger

Krisen gefährden die Pressefreiheit weltweit

Als Gründe für die Gefährdung der Pressefreiheit nennt Reporter ohne Grenzen neue Krisen und Kriege, sowie immer wieder aufflammende Konflikte. Diese Krisen haben Auswirkungen auf die Arbeitssicherheit von Journalist:innen. Laut Reportern ohne Grenzen seien „Morde und Entführungen, Verhaftungen und körperliche Angriffe bloß unterschiedliche Ausprägungen desselben Problems: Regierungen, Interessengruppen und Einzelpersonen wollen Medienschaffende mit Gewalt daran hindern, unabhängig zu berichten“. In Ländern wie Ägypten, China und sogar Deutschland sind Journalist:innen immer öfter Angriffen und Aggressionen ausgesetzt, die ihre Berichterstattung erschweren und damit die allgemeine Pressefreiheit gefährden. Europa zählt im internationalen Vergleich weiterhin zu der Region auf der Welt, wo Journalist:innen am freisten arbeiten können. Laut Reporter ohne Grenzen ist aber eine besorgniserregende negative Tendenz zu beobachten. Neben Deutschland kam es vor allem in Frankreich und Italien zu gewalttätigen Übergriffe. In Deutschland ist dieser Wert aktuell auf einem Rekordhoch – doch was sind die Gründe dafür?

Warum steigt Deutschland weiter ab?

Reporter ohne Grenzen nennt drei zentrale Gründe: Zum einen eine Gesetzgebung, die Journalist:innen und ihre Quellen gefährdet, gewaltvolle Übergriffe bei Demonstrationen sowie eine Abnahme der medialen Vielfalt.

Das BND-Gesetz

Die kritisierte Gesetzgebung ist das sogenannte BND-Gesetz. Der BND ist der deutsche Auslandsgeheimdienst. Gegen diese Gesetzgebung haben die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GGF) sowie Reporter ohne Grenzen beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde eingereicht. Der Vorwurf lautet: Journalist:innen seien nicht ausreichend vor der Überwachung durch den BND geschützt und somit im vertraulichen Umgang mit Quellen eingeschränkt. Laut den Organisationen kann der BND weiterhin die Daten über diese Kommunikation verarbeiten und somit die Kommunikationswege nachvollziehen. Unterstützt wurde die Klage von zahlreichen deutschen und europäischen Journalist:innen sowie journalistischen Netzwerken. Im Mai 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht die weltweite Überwachung des BND in der bestehenden Form als verfassungswidrig. Das Gesetz ermöglichte es dem BND gezielt Kommunikation im Ausland mitzuschneiden und auszuwerten. Diese Form der Überwachung könnte jeden treffen, auch Journalist:innen, die im Ausland kommunizieren, so die GGF. Die permanente Überwachung wird von den klagenden Organisationen als Gefahr für die Pressefreiheit gesehen, da Quellen nicht auf die Geheimhaltung ihrer Person vertrauen könnten. Dies sei eine große Gefahr für den investigativen Journalismus. Inbegriffen in die Verfassungsbeschwerde war ebenfalls die Kritik an den Regelungen der Kontrolle zur Überwachung und die teils automatisierte Kooperation mit ausländischen Geheimdiensten. Dies stelle auch eine erhebliche Gefahr für Journalist:innen dar, wenn die Kommunikationsdaten in falsche Hände gerate.

Kritik am reformierten BND-Gesetz

Nach der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde, trat das reformierte Gesetz am 01. Januar 2022 in Kraft. Die GGF argumentierte, dass das dieses weiterhin die Freiheitsrechte verletze und kaum eine Verbesserung im Vergleich zu den vorherigen, kritisierten Bestimmungen darstellt. Journalist:innen seien weiterhin nicht ausreichend geschützt. Aufgrund dessen ziehen die GGF, Reporter ohne Grenzen sowie Investigativjournalist:innen aus ganz Europa erneut vor das Bundesverfassungsgericht.

Gewalt gegen Journalist:innen bei Protesten

Die Gewalt gegen Journalist:innen hat insbesondere durch die Corona-Demonstrationen stark zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie „Feindbild Journalist“. Proteste und Demonstrationen zählten die letzten zwei Jahre laut der Studie zu den gefährlichsten Arbeitsplätzen für Journalist:innen. Reporter ohne Grenzen berichtet von über 80 gewaltsamen Angriffen im Jahr. Dies ist ein neuer Negativrekord ist. Die Dunkelziffer wird noch höher geschätzt. Journalist:innen wurden von Teilnehmer:innen der “Querdenken“-Demonstrationen angespuckt oder sogar mit der Faust geschlagen. Angriffe erfolgten zum Großteil aus dem politisch rechten Spektrum und sind das Resultat einer expliziten Form des Pressehasses. Die Studie fordert als Gegenmaßnahme ein schnelles Durchgreifen von Polizei, Justiz und Politik gegen die Pressefeinde. Es droht ein noch verstärkter Rückzug und Gefahr für die Pressefreiheit, sollten diese strukturellen Probleme nicht schnell angegangen werden. Medienschaffende kritisierten laut Reporter ohne Grenzen die mangelnde Unterstützung durch die Polizei.

Fehlende Reformen und Sexismus

Die finanziellen Probleme, insbesondere der Tageszeitungen, haben sich in Deutschland negativ auf die Pressefreiheit ausgewirkt. Als Gründe werden die Folgen der Corona-Pandemie genannt, aber auch Sexismus und fehlende Reformen im Journalismus Betrieb. Aufgrund steigender Papierpreise kamen viele Pressehäuser in finanzielle Not. Vorwiegend in ländlicheren Regionen ist eine Abnahme der publizistischen Vielfalt zu verzeichnen.  Selbst bei dem Traditionsverlag „Gruner + Jahr“ wurden im Februar über 700 Stellen abgebaut und 23 Magazine eingestellt. Laut Taz sei daran vor allem die verschlafene Digitalisierung schuld. Diese mangelnde Bereitschaft der Anpassung zeigt sich auch im Umgang mit Frauen und queeren Personen im Journalismus. In der Studie „Wie Sexismus Journalistinnen bedroht“ wird der vorherrschende Sexismus in Redaktionen kritisiert sowie die gravierenden Auswirkungen auf die Stellung und Präsenz von Frauen und queeren Personen in den Medien. In 61% der Fälle wurden bei einer Meldung von sexueller Gewalt am Arbeitsplatz in Redaktionen keine Gegenmaßnahmen ergriffen, wie aus der Studie hervorgeht.Auch Benachteiligung gegenüber männlichen Kollegen und Ungerechtigkeiten sind vermehrt im Fokus. Eine Studie der „neuen deutschen Medienmacher*innen“ zu Diversität im Journalismus unterstreicht die strukturellen Probleme. Sie weist auf Defizite hinsichtlich Diversität in deutschen Medienunternehmen hin und die langfristig zu befürchtenden negativen Folgen. Durch den kürzlich veröffentlichten Podcast “BoysClub” wird das Thema weiter in den Fokus gerückt. Der Podcast verdeutlicht anhand des Axel-Springer-Verlags die kritischen Machtstrukturen im Journalismus

Ist die Lage aussichtlos?

Nein, ist sie nicht. Denn trotz der besorgniserregenden Entwicklung der Pressefreiheit in Deutschland in den letzten Jahren gibt es Hoffnung auf positive Veränderungen in der Zukunft. Die Tatsache, dass die Missstände aufgedeckt und diskutiert werden, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die anhaltende Debatte und der öffentliche Druck können dazu führen, dass die Politik und die Verantwortlichen in den Institutionen handeln, um die Freiheit der Presse in Deutschland zu schützen und zu fördern. Es gibt bereits Initiativen und Maßnahmen, die darauf abzielen, die Sicherheit von Journalist:innen zu gewährleisten und die Gesetzgebung zu verbessern. Es gibt einen Aktionsplan der Vereinten Nationen, der die Sicherheit von Journalist:innen weltweit verbessern soll. Eine bessere Sensibilisierung und Schulung von Polizei und Justiz kann dazu beitragen, Gewalt gegen Journalist:innen bei Demonstrationen effektiver zu verhindern und zu ahnden. Ebenso die vermehrte Kritik an zu homogenen Redaktionen und das Aufarbeiten von Machtmissbrauch stärken die Debatte und haben das Potenzial, die Medienlandschaft zu verändern. Insgesamt gibt es also Grund zur Hoffnung, dass die Pressefreiheit in Deutschland gestärkt werden kann. Mit einem verstärkten Engagement aller Beteiligten, einer verbesserten Gesetzgebung und einer besseren Ausbildung und Sensibilisieren können Journalist:innen und ihre Quellen in Zukunft besser geschützt werden. Dadurch kann Deutschland sowie andere Länder im nächsten Jahr hoffentlich wieder ein paar Ränge nach oben klettern.